max maiorano fahr arbeitsrecht webp.jpg

Digitale Entgeltabrechnung nur bei Einwilligung des Mitarbeiters

Eine Entgeltabrechnung, die gem. § 108 Abs. 1 S. 1 GewO auch in Textform nach § 126 b BGB erteilt werden kann, geht dem Arbeitnehmer nur dann im digitalen Mitarbeiterpostfach im Sinne von § 130 BGB zu, wenn er hierzu sein Einverständnis gegeben hat. Andernfalls muss der Arbeitnehmer nicht damit rechnen, dass ihm Entgeltabrechnungen auf digitalem Weg übermittelt werden. Die fehlende Einwilligung des Mitarbeiters kann mangels entsprechendem Mitbestimmungsrecht nicht durch eine (Konzern-)Betriebsvereinbarung ersetzt werden. Das hat das Landesarbeitsgericht Niedersachsen (LAG) in seinem – nicht rechtskräftigen – Urteil vom 16.01.2024 entschieden (Az. 9 Sa 575/23).

Sachverhalt

Die Parteien streiten über die Erteilung von Entgeltabrechnungen über ein digitales Mitarbeiterpostfach.

Die Klägerin ist als Verkäuferin in einem von der Beklagten betriebenen Markt beschäftigt. Die Beklagte schloss mit dem Konzernbetriebsrat unter dem 07.04.2021 eine Konzernbetriebsvereinbarung über die Einführung und Anwendung eines digitalen Mitarbeiterpostfachs, welche auszugsweise lautet:

„Grundsätze zur Einführung und Anwendung

„Alle Personaldokumente werden zukünftig über einen externen Anbieter in einem digitalen Mitarbeiterpostfach mehrsprachig bereitgestellt und können vom Mitarbeiter über einen Online-Zugriff auf dieses Postfach abgerufen werden. Nach einer Übergangsfrist von 9 Monaten erfolgt kein Versand von Papierdokumenten mehr (…).

Die Einwilligung zur Übertragung optionaler Dokumententypen (z.B. Mitarbeiterinformationen und Newsletter) wird im System abgefragt. Ein Widerruf einer erteilten Einwilligung oder einer erteilten Ablehnung ist jederzeit mit Wirkung für die Zukunft möglich.

Sofern für einzelne Arbeitnehmer keine Möglichkeit besteht, über ein privates Endgerät Zugriff auf die im digitalen Mitarbeiterpostfach hinterlegten Dokumente zu nehmen, wird der Arbeitgeber ermöglichen, dass der betroffene Arbeitnehmer die Unterlagen einsehen und ausdrucken kann.

Im digitalen Mitarbeiterpostfach können Dokumente der Entgeltabrechnung eingestellt werden (…).

Alle Personaldokumente stehen mindestens 12 Monate im Portal zur Verfügung. Optionale Dokumententypen stehen mindestens 1 Monat im Portal zur Verfügung.“

Die Klägerin erhielt die letzte Entgeltabrechnung in Papierform für den Monat Februar 2022. Sie forderte die Beklagte per E-Mail vom 22.05.2022 auf, ihr die nachfolgenden Entgeltabrechnungen postalisch zukommen zu lassen. Sie widersprach der Erteilung der Abrechnung über ein digitales Mitarbeiterpostfach. Mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 16.03.2023 wiederholte sie ihren Widerspruch.

Das Arbeitsgericht hat die Klage auf Erteilung der Abrechnungen ab März 2022 mit Urteil vom 14.08.2023 abgewiesen und hierzu im Wesentlichen ausgeführt, dass das digitale Mitarbeiterpostfach die Anforderungen an die Textform nach § 126 b S. 2 BGB erfülle und die Entgeltabrechnungen der Klägerin auch zugegangen seien, da sie mit Hilfe der Zugangsdaten Kenntnis von dem Inhalt des Mitarbeiterpostfachs erlangen könne. Die Zugangsdaten seien insoweit mit einem Briefkastenschlüssel vergleichbar.

Die Berufung der Klägerin zum LAG hatte Erfolg.

Entscheidungsgründe

Anders als die Vorinstanz urteilte das LAG, dass zwar die Anforderungen an die Textform erfüllt seien. Über das digitale Mitarbeiterpostfach würden indessen Entgeltabrechnungen mangels Zugangs im Sinne des § 130 BGB nicht „erteilt“.

Bei einem digitalen Mitarbeiterpostfach handele es sich nur dann um eine für einen möglichen Zugang geeignete Empfangsvorrichtung, wenn der Empfänger sie auch für den Empfang von Willenserklärungen im Rechts- und Geschäftsverkehr bestimmt hat. Andernfalls müsse der Empfänger (Arbeitnehmer) nicht damit rechnen, dass ihm Gehaltsabrechnungen auf digitalem Weg übermittelt werden. Dementsprechend werde in einem Fall, in dem der Empfänger durch Veröffentlichung einer E-Mail-Adresse oder sonstigen Erklärungen im Geschäftsverkehr zum Ausdruck bringt, dass er Rechtsgeschäfte mittels elektronischer Erklärungen abschließt, als sein Machtbereich angesehen, wenn die E-Mail auf dem Mailserver eingeht. Der Empfänger müsse allerdings ein ausdrückliches oder zumindest konkludent erklärtes Einverständnis abgeben, auch elektronische Erklärungen zu empfangen. Auch wenn davon ausgegangen werden kann, dass die zur Verfügung gestellten Zugangsdaten, mit deren Hilfe der Arbeitnehmer den Abruf der dort eingestellten Entgeltabrechnungen vornehmen kann, mit dem Vorhalten eines Briefkastenschlüssels für den von dem Empfänger zur Verfügung gestellten Briefkasten vergleichbar sein kann, werde damit noch nicht das Einverständnis des Arbeitnehmers mit der Empfangsvorrichtung durch das digitale Mitarbeiterpostfach ersetzt. Ein Arbeitnehmer müsste sich andernfalls weitere Briefkästen/digitale Mitarbeiterpostfächer zurechnen lassen, die er selbst nicht zur Verfügung gestellt hat. Das mag bei einem Briefkasten in der Heimatadresse und einem digitalen Mitarbeiterpostfach noch übersichtlich sein, könnte bei der Nutzung mehrerer E-Mail-Accounts und weiterer digitaler Zugangsvorrichtungen aber dazu führen, dass ein Empfänger entsprechend einer Liste seine „Briefkästen“ kontrollieren müsste. § 108 GewO sei auch nicht dahin auszulegen, dass auf die Anforderungen für einen Zugang gem. § 130 BGB verzichtet werden könne. Mangels ausdrücklichen oder konkludenten Einverständnisses der Klägerin mit dem Zugang der Entgeltabrechnungen im digitalen Mitarbeiterpostfach, welchem sie unstreitig widersprochen hat, scheide ein Zugang der Entgeltabrechnungen vorliegend daher aus. 

Das Einverständnis der Klägerin sei auch nicht durch die Konzernbetriebsvereinbarung vom 07.04.2021 ersetzt worden. Unabhängig davon, dass nicht ohne Weiteres ersichtlich sei, warum die Zuständigkeit für den Abschluss der Betriebsvereinbarung beim Konzernbetriebsrat gem. § 58 Abs. 1 BetrVG gelegen habe, bestehe jedenfalls kein Mitbestimmungsrecht hinsichtlich der Art und Weise der Erteilung der Entgeltabrechnung i.S.v. § 108 Abs. 1 S. 1 GewO. § 87 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG erfasse nicht die Form der Entgeltabrechnung, sondern lediglich Modalitäten der Auszahlung des Arbeitsentgelts. Einer insoweit freiwilligen Betriebsvereinbarung zur Ersetzung des Einverständnisses stehe § 108 Abs. 1 GewO als höherrangiges Recht entgegen, zumal ein kollektiver Tatbestand nicht erkennbar sei, weil der Erteilung der Gehaltsabrechnung ausschließlich individuelle Wirkung zukomme. 

Hinweis für die Praxis

Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Das LAG hat aufgrund grundsätzlicher Bedeutung der Frage die Revision zugelassen, die beim BAG (Az. 1 AZR 48/24) anhängig ist. Es bleibt abzuwarten, ob das BAG – wie das erstinstanzliche Arbeitsgericht – eine dahingehende Digitalisierung ggf. auch gegen den Willen einzelner Arbeitnehmer für zulässig erachtet, oder dem LAG folgen wird.

Kontakt > mehr