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Ablösung einer Gesamtzusage durch eine Betriebsvereinbarung bei ausdrücklicher oder stillschweigender Betriebsvereinbarungsoffenheit

Eine Gesamtzusage ist „betriebsvereinbarungsoffen“ gestaltet, wenn sie einen ausdrücklichen oder stillschweigenden Vorbehalt der Ablösung durch eine spätere Betriebsvereinbarung enthält. Eine entsprechende konkludente Vereinbarung kann sich – wie im entschiedenen Fall – aus dem betriebseinheitlichen Regelungsgegenstand, einem Hinweis auf eine Abstimmung mit dem Betriebsrat und einem Widerrufsvorbehalt ergeben. Dies hat das Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 24.01.2024 – 10 AZR 33/23 – entschieden.

Sachverhalt

Dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Der Kläger war seit 1990 bei der Beklagten beschäftigt, welche seit 1978 Mitglied im kommunalen Arbeitgeberverband (KAV) war und bis zur Ablösung durch den TVöD im Jahr 2005 den Vorgängertarifvertrag BMT-G II und den diesen ergänzende Tarifverträge anwendete, unter anderem den Tarifvertrag Urlaubsgeld. Dieser TV-Urlaubsgeld sah die Zahlung eines jährlichen Urlaubsgeldes in Höhe von zuletzt 332,34 Euro vor, anrechenbar auf die etwaige Zahlung eines Urlaubsgeldes aus anderen Anspruchsgrundlagen. Der TVöD sieht seit dem Auslaufen entsprechender Übergangsregelungen in 2007 hingegen keine Zahlung eines Urlaubsgeldes mehr vor.

Unter dem 30.09.1992 richtete der Geschäftsführer der Beklagten an alle Mitarbeiter ein Schreiben mit dem Betreff „Gewährung eines Urlaubsgeldes an die Beschäftigten der F GmbH“ mit auszugsweise folgendem Wortlaut:

„Liebe Mitarbeiterinnen, liebe Mitarbeiter,

(…). Für die bei der F GmbH in Vollzeit- oder Teilzeitarbeitsverhältnissen (nicht geringfügig Beschäftigte) tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter galt es, noch eine Regelung über die Gewährung eines Urlaubsgeldes zu treffen (…).

Ich habe dazu dem Vorstand einen konkreten Vorschlag unterbreitet, der für die einzelnen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter folgende Regelung vorsieht:

Auf jederzeitigen Widerruf wird die F GmbH ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ab 1993 ein Urlaubsgeld zahlen.

Der tarifliche Anspruch auf Gewährung eines Urlaubsgeldes wird auf die Leistung der F GmbH angerechnet.

Das Urlaubsgeld wird nur voll- oder teilzeitbeschäftigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gewährt, die mindestens zwölf Monate vor dem Monat der Gewährung des Urlaubsgeldes ununterbrochen bei der F GmbH beschäftigt waren.

Die Gewährung des Urlaubsgeldes ist von der weiteren Verbesserung des Betriebsergebnisses abhängig.

Die Höhe des Urlaubsgeldes für die schon bei der Gesellschaft beschäftigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist unter Anrechnung eines noch zu bestimmenden Teiles der Vergütung wie folgt gestaffelt: (…).

Die weiteren Einzelheiten über das Urlaubsgeld werden nach Abstimmung mit dem Betriebsrat bekanntgegeben.

Ich glaube, daß mit dieser Regelung eine gute Grundlage für eine weitere vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und der Geschäftsführung der F GmbH gegeben ist (…)

Ab dem Jahr 1993 wurde dann ein Urlaubsgeld entsprechend der vorgestellten Regelung ausgezahlt, ohne dass es eine weitere Kommunikation von Seiten der Beklagten gab. Im November 1999 schloss die Beklagte mit dem Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung Urlaubsgeld ab, die weitgehend der zuvor praktizierten Regelung entsprach. Vor dem Hintergrund des Entfallens des tariflichen Urlaubsgeldes zum 1. Januar 2007 ergänzten Arbeitgeber und Betriebsrat die Betriebsvereinbarung am 20.11.2006 dahingehend, dass das Urlaubsgeld um den Betrag des bis dahin gewährten tariflichen Teils (im Fall des Klägers zuletzt 332,34 Euro) gekürzt werde.

Zum 30.06.2021 kündigte die Beklagte die Betriebsvereinbarung und zahlte im Juli 2021 kein Urlausgeld mehr aus. Der Kläger verlangte mit dem Argument, sein Anspruch auf Zahlung eines jährlichen Urlaubsgeldes bestehe auf Grundlage einer Gesamtzusage oder einer betrieblichen Übung fort, Zahlung eines Urlaubsgeldes für das Jahr 2021. Die Klage blieb in allen Instanzen erfolglos.

Entscheidungsgründe

Ein Anspruch auf Zahlung des übertariflichen Urlaubsgeldes für das Jahr 2021 ergibt sich nach Auffassung des BAG nicht aus einer Gesamtzusage. Eine Gesamtzusage ist die an alle Mitarbeiter des Betriebs oder einen nach abstrakten Merkmalen bestimmten Teil von ihnen in allgemeiner Form gerichtete ausdrückliche Willenserklärung des Arbeitgebers, bestimmte Leistungen erbringen zu wollen. Diese Erklärung führt zu einer verbindlichen Vereinbarung zwischen Mitarbeiter und Arbeitgeber, ohne dass es einer Erklärung des Mitarbeiters bedarf. Zwar sei in dem Schreiben des Geschäftsführers vom 30.09.1992 eine Gesamtzusage zu sehen, diese Gesamtzusage sei jedoch durch die Betriebsvereinbarung Urlaubsgeld aus dem Jahr 1999 abgelöst worden. Denn die Gesamtzusage in Form des Schreibens aus 1992 sei „betriebsvereinbarungsoffen“ formuliert gewesen. Eine Regelung sei betriebsvereinbarungsoffen, wenn sie einen ausdrücklichen oder stillschweigenden Vorbehalt der Ablösung durch eine spätere Betriebsvereinbarung enthält. Nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts ergibt sich im entschiedenen Fall sowohl aus dem Regelungsgegenstand, dem Widerrufsvorbehalt und der Formulierung des Schreibens im Übrigen, dass eine Betriebsvereinbarungsoffenheit gewollt war.

So handele es sich bei dem Thema Urlaubsgeld um eine das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats berührende Materie. Ferner habe die Beklagte in dem Schreiben mitgeteilt, dass noch eine Abstimmung mit dem Betriebsrat erfolge. Schließlich habe die Beklagte sich den jederzeitigen Widerruf vorbehalten.

Damit sei für die Mitarbeiter klar erkennbar gewesen, dass die Leistung in Abstimmung mit dem Betriebsrat aus- und umgestaltet und zukünftig auch verschlechtert oder vollständig eingestellt werden könne. Mit dem Abschluss der Betriebsvereinbarung Urlaubsgeld habe die Beklagte von der Betriebsvereinbarungsoffenheit Gebrauch gemacht und die Gesamtzusage final und wirksam abgelöst. Ab diesem Zeitpunkt ergebe sich ein Anspruch auf das übertarifliche Urlaubsgeld nur noch aus der Betriebsvereinbarung.

Die Betriebsvereinbarung verstoße vorliegend auch nicht gegen die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 BetrVG, weil der einschlägige Tarifvertrag eine anderweitige Regelung ausdrücklich zulasse.

Ein Anspruch aus betrieblicher Übung scheide bereits deshalb aus, weil die Beklagte das übertarifliche Urlaubsgeld zunächst auf der Grundlage des Schreibens vom 30.09.1992 gezahlt habe. Für die Entstehung einer betrieblichen Übung bedürfe es jedoch Anhaltspunkte, dass der Arbeitgeber eine Leistung erbringen wolle, ohne hierzu bereits aus anderen Gründen verpflichtet zu sein. Solche Anhaltspunkte seien vorliegend nicht erkennbar, da die Beklagte mit der Auszahlung des Urlaubsgeldes ab dem Jahr 1993 lediglich das in dem Schreiben angekündigte Verhalten praktiziert habe.

Mit der Kündigung der Betriebsvereinbarung Urlaubsgeld seitens der Beklagten mit Wirkung zum 30.06.2021 sei der aus ihr erwachsene Zahlungsanspruch erloschen. Eine Umdeutung der Betriebsvereinbarung in eine (erneute) Gesamtzusage komme nicht in Betracht. Weil die Frage, ob überhaupt ein Urlaubsgeld gezahlt wird, mitbestimmungsfrei ist, wirke die gekündigte Betriebsvereinbarung auch nicht nach. Da die Beklagte die Zahlung eines Urlaubsgeldes vollständig einstellte, endete die Betriebsvereinbarung mit ihrer Kündigung zum 30. Juni 2021 vollständig.

Hinweis für die Praxis

Bei der Formulierung von Gesamtzusagen ist große Vorsicht geboten, insbesondere sollte eine klare Aufnahme von Widerrufsmöglichkeiten und die Sicherstellung der Betriebsvereinbarungsoffenheit erfolgen, und zwar auch dann, wenn im Betrieb (noch) kein Betriebsrat existiert, weil ein solcher in der Zukunft ja noch gewählt werden kann. Durch Gesamtzusagen zugesagte Leistungen können sonst nur einvernehmlich oder per Änderungskündigung eingestellt werden, wobei letztere strengen Voraussetzungen unterliegt, die in der Praxis häufig nicht erfüllbar sind.

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