
Rechtsschutzmöglichkeiten gegen fehlerhafte/unvollständige RAPEX-Meldungen
Ein Wirtschaftsakteuer, dessen Rechte durch eine unvollständige RAPEX-Meldung betroffen sind, kann von den zuständigen Behörden des meldenden Mitgliedsstaates verlangen, dass die Meldung vervollständigt wird. Dazu muss ihm im meldenden Mitgliedstaat ein Rechtsbehelf zur Verfügung stehen, um zu erreichen, dass die diesem Mitgliedstaat insoweit obliegenden Verpflichtungen eingehalten werden. Das hat der EuGH jüngst entschieden (Urteil vom 17.05.2023 – C-626/21).
Zum Sachverhalt
Dem Urteil liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Nachdem die österreichischen Marktüberwachungsbehörden bei einem Händler nicht sichere pyrotechnische Gegenstände feststellten, verhängten diese gegenüber dem Händler ein Verkaufsverbot und ordneten deren Rückruf an. Daraufhin übermittelten die österreichischen Behörden der Europäischen Kommission über die nationale RAPEX-Kontaktstelle drei unvollständige Meldungen zu diesen Gegenständen. Die in Polen ansässige Einführerin der Produkte beantragte bei der meldenden österreichischen Behörde erfolglos die Vervollständigung der betreffenden Meldungen durch die Ergänzung der Chargennummern der in Rede stehenden Gegenstände und Akteneinsicht. Verwaltungsgerichtlich wurde die zurückweisende Behördenentscheidung bestätigt. Eine RAPEX-Meldung an die Kommission sei ein Realakt. Gerichtlicher Rechtsschutz werde grundsätzlich dadurch gewährleistet, dass die dem RAPEX-Meldeverfahren zugrunde liegenden behördlichen Maßnahmen vor den Verwaltungsgerichten bekämpft werden könnten. Außerdem ergebe sich weder aus dem österreichischen Recht noch aus den RAPEX-Leitlinien, dass ein Wirtschaftsakteur ein Recht auf Vervollständigung einer RAPEX-Meldung oder Akteneinsicht habe. Der EuGH stellte nun klar, dass ein beeinträchtigter Wirtschaftsbeteiligter unmittelbar aus den Vorschriften des Unionsrechts ein Recht auf Vervollständigung der RAPEX-Meldungen gegenüber der meldenden Behörde hat.
Zu den Entscheidungsgründen
Der EuGH urteilte, dass Wirtschaftsakteure, die nachweislich in Bezug auf Produkte tätig sind, die Gegenstand einer über RAPEX übermittelten Meldung sind, wie z. B. Einführer dieser Produkte, durch eine Meldung geschädigt werden können, wenn die Identifizierung der gemeldeten Produkte unrichtig oder unvollständig ist. Diese müssten nicht nur in der Lage sein, eine solche Meldung vor den zuständigen nationalen Behörden dieses Mitgliedstaats anzufechten, sondern gegebenenfalls auch in der Lage sein, die zuständigen nationalen Gerichte anzurufen, wenn sie der Auffassung sind, dass die einschlägigen Vorschriften des Unionsrechts verletzt worden sind. Daher seien die für die RAPEX geltenden Vorschriften im Lichte des in Art. 47 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankerten Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf dahin auszulegen, dass einem Wirtschaftsakteuer wie einem Einführer der in der Meldung genannten Produkte, der zwar nicht Adressat der dieser Meldung zugrunde liegenden Maßnahme ist, dessen Interessen aber durch die Unvollständigkeit der Meldung beeinträchtigt werden, ein Rechtsbehelf in dem meldenden Mitgliedsstaat zur Verfügung stehen muss.
Ausblick
Die europäischen Schnellwarnsysteme RASFF (Rapid Alert System for Food and Feed) und RAPEX (Rapid Exchange of Information System) sind ein europaweites Behördenkommunikationssystem, das im Falle von einem ersten Risiko für die Gesundheit von Verbrauchern einem raschen Informationsaustausch zwischen den Mitgliedsstaaten dient.
Beiden Schnellwarnsystemen liegt ein im Wesentlichen dreistufiges Verfahren zugrunde. Die zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats übermitteln, wenn die Voraussetzungen vorliegen und insbesondere eine marktbezogene Maßnahme erlassen wurde, der Kommission diese Maßnahmen über die nationalen Kontaktstellen (Meldestufe). Die Kommission überprüft diese Meldung und leitet sie dann an die Mitgliedstaaten weiter, wobei im Übrigen eine Veröffentlichung erfolgt (Validierungs- und Verbreitungsstufe). Nach Erhalt einer RAPEX/RASFF-Meldung überprüfen die Mitgliedsstaaten die übermittelten Informationen und ergreifen geeignete Maßnahmen, die sie auch der Kommission melden (Folgemaßnahmenstufe).
Einmal ausgelöste Schnellwarnmeldungen und deren Veröffentlichungen lassen sich nur schwer wieder beseitigen. Ein Vorgehen gegen die Kommission wegen einer veröffentlichten Schnellwarnmeldung, deren Weiterleitung bzw. das Unterlassen der Weiterleitung ist nicht möglich. Da die Maßnahmen der Kommission als rein tatsächliches Verwaltungshandeln ohne Rechtswirkung einzustufen sind, scheidet eine Nichtigkeitsklage aus. Zudem trägt die Europäische Kommission für die über die RAPEX-Anwendung übermittelten Informationen keine eigene Verantwortung. Diese verbleibt vielmehr weiterhin beim meldenden Mitgliedstaat, wie der EuGH in seinem Urteil bestätigt hat.
Mit dem EuGH-Urteil wurde nun entscheidend die Position der Wirtschaftsbeteiligten in den national geführten Verfahren gestärkt, sich gegen unvollständige Meldungen und damit wohl auch unberechtigte Meldungen wehren zu können, auch wenn sie nicht Adressat der einer Schnellwarnmeldung zugrunde liegenden Maßnahme sind. Das Verwaltungsgerichts Münster hat bereits mit Urteil vom 13.11.2019 – 9 K 2514/16 (nicht rechtskräftig) in diese Richtung entschieden. Es urteilte zugunsten eines Herstellers/Einführers, dass dieser im Wege eines allgemeinen Folgenbeseitigungsanspruchs die Verurteilung der Marktüberwachungsbehörde erreichen kann, bei der Europäischen Kommission nach den Maßgaben der RAPEX-Leitlinien einen Antrag auf Entfernung einer RAPEX-Meldung zu stellen.
15. Juni 2023