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Gehören Wurstclipsen zur Tara?

Das Verwaltungsgericht Münster hat mit Urteil vom 28.03.2023 (Az.: 9 K 2549/19) entschieden, dass nicht essbare Wurstclipsen zur Tara gehören.

Sachverhalt

Dem Urteil des Verwaltungsgerichts Münster liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Geklagt hatte eine Wurstwarenherstellerin, in deren Betrieb es zu Füllmengenunterschreitungen kam. Bei den betroffenen Produkten handelte es sich um Wurstwaren, welche mit zwei Wurstendenabbindern in Form von Wurstclipsen und einer Wursthülle versehen waren. Die zuständige Eichbehörde beanstandete, dass die Wursthülle und Wurstclipsen der Nettofüllmenge des Lebensmittels zugerechnet und nicht als Tara abgezogen wurden. Nachdem der Klägerin durch die Eichbehörden das Inverkehrbringen von Fertigpackungen mit Wurstwaren untersagt wurde, bei denen die Wursthüllen und Wurstclipsen nicht austariert, sondern der Nettofüllmenge hinzugerechnet werden, klagte das Unternehmen hiergegen.

Entscheidung

Das Verwaltungsgericht Münster urteilte, dass es sich bei den nicht essbaren Wurstclipsen und der nicht essbaren Wursthülle um Tara-Material handelt, das nicht dem Nettogewicht des Lebensmittels hinzuzurechnen ist. Dies folge aus der Anwendung der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 („LMIV“), die auch nach der Neufassung der Fertigpackungsverordnung zum 1. Dezember 2020 weiterhin anwendbar sei. Die bisherige Verwaltungspraxis, auf die Richtlinie zur Füllmenge von Fertigpackungen und Prüfung von Maßverhältnissen durch die zuständigen Behörden („RFP“) abzustellen, stehe dem nicht entgegen.

Nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. e) i.V.m. Art. 23 Abs. 1 und 3 i.V.m. Anh. IX LMIV ist bei vorverpackten Lebensmitteln die Nettofüllmenge des Lebensmittels anzugeben. Bei Lebensmitteln handelt es sich um alle Stoffe oder Erzeugnisse, die dazu bestimmt sind oder von denen nach vernünftigem Ermessen erwartet werden kann, dass sie in verarbeitetem, teilweise verarbeitetem oder unverarbeitetem Zustand von Menschen aufgenommen werden gemäß Art. 2 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002. Das Verwaltungsgericht Münster urteilte, dass aus der Definition des Begriffs „Lebensmittel“ folge, dass Wurstclipsen und Wursthüllen dem Tara-Material und nicht dem Lebensmittel zuzuordnen seien, da diese nicht essbar seien. Die RFP könne wegen des Vorrangs des EU-Rechts nicht berücksichtigt werden. Außerdem handele es sich bei der RFP lediglich um eine Empfehlung zum Verwaltungshandeln. Das betroffene Unternehmen könne hieraus keine Rechtsansprüche ableiten.

Aus dem Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 06.09.2012 (Az.: 8 K 1620/10), wonach bei einem Fleischspieß der Holzspieß zum Nettogewicht des Lebensmittels zähle und nicht auszutarieren sei, da die Holzspieße dem Erzeugnis das konkrete Gepräge als Fleischspieß gäben, ergebe sich nichts anders. Die Rechtsprechung sei bereits deshalb nicht auf den vorliegenden Fall übertragbar, da die Rechtslage mit Inkrafttreten der LMIV überholt sei. 

Der Vergleich zu Kirschkernen oder Knochen sei neben der Sache, da es sich hierbei nicht um künstlich hinzugefügte, sondern um natürlich gewachsene Bestandteile des Lebensmittels handele, was eine Austarierung von vornherein unmöglich mache. Die Differenzierung sei daher gerechtfertigt.

Ausblick

Die Entscheidung des Verwaltungsgericht Münster ist nicht rechtskräftig. Sie bestätigt die seit einigen Jahren von den Mess- und Eichämtern vertretene Rechtauffassung, dass nicht natürliche und nicht essbare Bestandteile eines Lebensmittels nicht zur Nettofüllmenge des Lebensmittels gehören.

Die Frage der Bestimmung der Nettofüllmenge ist bei Verbrauchern ein Dauerthema. Fast zeitgleich mit der Veröffentlichung der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Münster wurde auf dem Portal „Lebensmittelklarheit“ die Frage veröffentlicht, ob künstliche Käserinden zum Nettogewicht zählen. Wie das Gewicht der Käserinde ermittelt werden soll, da ein Entfernen der Käserinde praktisch unmöglich ist und sich zudem auch nachteilig auf den Geschmack des Erzeugnisses auswirken würde, bleibt unklar. Fakt ist, dass sich Verbraucher zunehmend getäuscht fühlen, wenn nicht essbare und auch formgebende Bestandteile eines Lebensmittels dem Nettogewicht hinzugerechnet werden.

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