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Rückgängigmachen der sittenwidrigen Satzungsänderung auch nach Ablauf der Klagefrist

Wird die Satzung einer GmbH durch einen sittenwidrigen Gesellschafterbeschluss geändert, kann im Einzelfall sogar nach Ablauf der Beschlussanfechtungsfrist ein Anspruch auf Wiederherstellung der ursprünglichen Satzung bestehen. Dies entschied kürzlich der BGH.

Sachverhalt

Dem Urteil des BGH liegt folgender Sachverhalt zugrunde: An einer GmbH waren zwei Gesellschafter beteiligt; die Mehrheitsgesellschafterin (und spätere Klägerin) hielt eine Beteiligung von 80%, die Minderheitsgesellschafterin (und spätere Beklagte eine Beteiligung von 20%.

Dem Rechtsstreit lag ein Streit über die Gesellschafterstellung der Mehrheitsgesellschafterin zugrunde. Die Minderheitsgesellschafterin hatte im Zuge der Auseinandersetzung eine neue Gesellschafterliste beim Handelsregister eingereicht, in der sie als Alleingesellschafterin eingetragen war. Mittels einstweiliger Verfügung ließ die Mehrheitsgesellschafterin dieser Gesellschafterliste einen Widerspruch zuordnen.

In einer Gesellschafterversammlung kurz darauf – zu der die Mehrheitsgesellschafterin weder geladen noch unterrichtet worden war – beschloss die Minderheitsgesellschafterin eine Satzungsänderung, wonach (u.a.) das Quorum für die Beschlussfähigkeit der Gesellschaft von 75% auf 85% angehoben wurde und festgelegt wurde, dass Gesellschafterbeschlüsse grundsätzlich mit einer Mehrheit von 85% der Stimmen zu fassen seien. Die Satzungsänderung wurde auch ins Handelsregister eingetragen. Eine dagegen gerichtete Klage der Mehrheitsgesellschafterin blieb wegen Versäumung der Klagefrist erfolglos.

Die Mehrheitsgesellschafterin erhob eine weitere Klage – und zwar auf Feststellung ihrer Gesellschafterstellung. Mit dieser Klage war sie erfolgreich. Daraufhin verlangte sie mit einer dritten Klage von der Minderheitsgesellschafterin die Zustimmung zur Rückänderung der Satzung der Gesellschaft in den alten Zustand (Quorum 75% und einfaches Mehrheitserfordernis für Beschlüsse). Das Landgericht hatte die Klage abgewiesen, das Berufungsgericht die Minderheitsgesellschafterin antragsgemäß verurteilt. Die Minderheitsgesellschafterin verfolgte ihren Klageabweisungsantrag mit der Revision weiter.

Das Urteil des BGH vom 06.12.2022, (Az. II ZR 187/21)

Der BGH wies die Revision der Minderheitsgesellschafterin zurück. Er stellte fest, dass die Minderheitsgesellschafterin die Mehrheitsgesellschafterin durch die Satzungsänderung vorsätzlich und sittenwidrig gem. § 826 BGB geschädigt hatte; immerhin wäre dadurch das Stimmgewicht der Mehrheitsgesellschafterin wesentlich eingeschränkt worden. Dazu hätte die Minderheitsgesellschafterin eine (selbst geschaffene) formale Rechtsposition ausgenutzt als sie – obwohl sie den Widerspruch zur Gesellschafterliste kannte – die Gesellschafterversammlung ohne Ladung der Mehrheitsgesellschafterin abhielt.

Der BGH stellte weiter klar, dass dem Anspruch der Mehrheitsgesellschafterin auf Rückabwicklung der Satzungsänderung auch nicht entgegenstehe, dass die Klagefrist gegen den Beschluss schon abgelaufen war. Die Unanfechtbarkeit eines sittenwidrig erwirkten Gesellschafterbeschlusses schließe ein darauf gestütztes Schadensersatzverlangen (gerichtet auf Wiederherstellung der ursprünglichen Satzung) nicht aus, soweit nicht schutzwürdige Rechte Dritter entgegenstehen. Zwar könne ein mangelbehafteter Beschluss nach Ablauf der Anfechtungsfrist rechtswirksam werden, die sittenwidrige Ausnutzung einer formalen Rechtsposition sei im Recht der GmbH aber ebenso wenig zulässig wie auf anderen Rechtsgebieten.

Praxishinweis

Die Entscheidung des BGH zeigt auf, dass die (sonst weitreichende) Legitimationswirkung (§§ 16, 40 GmbHG) der beim Handelsregister hinterlegten Gesellschafterliste jedenfalls durch sittenwidriges Handeln begrenzt wird. Gegen einen sittenwidrigen Gesellschafterbeschluss kann deswegen im Einzelfall auch bei Versäumnis der Klagefrist erfolgreich vorgegangen werden.

Der Fall des BGH veranschaulicht, dass bei Gesellschafterstreitigkeiten schnelles und umfassendes Handeln zur Sicherung der Gesellschafterposition und -rechte unabdingbar ist. Denn aus der beim Handelsregister hinterlegten Gesellschafterliste ergibt sich, wer als Gesellschafter der GmbH gilt und die zugehörigen Gesellschafterrechte ausüben kann – die bereits angesprochene Legitimationswirkung erstreckt sich dabei auch auf formell unrichtige Gesellschafterlisten. Dem von einer unrichtigen Gesellschafterliste betroffenen Gesellschafter ist daher zur Absicherung seiner Rechte bis zur endgültigen Klärung der materiellen Rechtslage stets ein Vorgehen im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes anzuraten.

Ist im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes lediglich die Zuordnung eines Widerspruchs zur Gesellschafterliste im Handelsregister möglich, wird zwar die Legitimationswirkung der (unrichtigen) Gesellschafterliste nicht beseitigt. Es wird jedoch die materielle Eigentumsposition des betroffenen Gesellschafters geschützt, da ein gutgläubiger Erwerb der Geschäftsanteile bei eingetragenem Widerspruch unmöglich wird. Umso wichtiger ist in solchen Fällen die konsequente (gerichtliche) Klärung der materiellen Rechtslage. Denn auch wenn durch die (unrichtige) Gesellschafterliste – wie im Fall des BGH geschehen – grundsätzlich Gesellschafterbeschlüsse ohne Ladung und/oder Beteiligung des betroffenen Gesellschafters gefasst werden können, hat der BGH der sittenwidrigen Ausnutzung der formalen Rechtsposition der Gesellschafterliste durch den bzw. die anderen Gesellschafter klare Grenzen gesetzt. Der betroffene Gesellschafter ist bei vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung im Einzelfall auch über die Beschlussanfechtungsfrist bzw. über die Frist des § 242 Abs. 2 S. 1 AktG, wonach unrichtige Eintragungen im Handelsregister jedenfalls nach Ablauf von drei Jahren als geheilt anzusehen sind, hinaus geschützt.

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