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(Innen-)Haftung des Leitungsorgans für kartellrechtswidrige Absprachen

Organhaftung bei der AG und GmbH: Leitungsorgane haften nicht für gegen die Gesellschaft verhängte Kartell-Geldbußen. Ein haftungsrechtlicher „Freifahrtschein“ ist hiermit jedoch nicht verbunden. Dies folgt aus einem Urteil des OLG Düsseldorf.

Sachverhalt

Dem Urteil des OLG Düsseldorf liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Der Beklagte war als Vorstandsvorsitzender bzw. Geschäftsführer der Klägerinnen, einer Holding AG und deren operativer Tochter-GmbH, an mehreren geschäftlichen Absprachen beteiligt, die u.a. die Weitergabe von preisrelevanten Informationen zum Gegenstand hatten. Das Bundeskartellamt verhängte wegen eines kartellrechtlichen Verstoßes Bußgelder in Höhe von insgesamt 355 Mio. Euro gegen alle beteiligten Unternehmen, u.a. die Klägerinnen. Die GmbH verklagte darauf den Beklagten im Wege des Regresses auf Zahlung der gegen sich verhängten Buße, die klagende Holding AG wegen angefallener IT- und Rechtsanwaltskosten. Zudem beantragten die Klägerinnen, festzustellen, dass der Beklagte für alle aus dem Wettbewerbsverstoß resultierenden Schäden in Anspruch genommen werden könne. Das LG Düsseldorf gab den Feststellungsklagen statt, lehnte aber den jeweils begehrten Regress hinsichtlich der Geldbuße und der IT- und Rechtsanwaltskosten ab. Sowohl die Klägerinnen als auch der Beklagte legten gegen die für sie jeweils nachteilige Entscheidung Berufung ein.

Die Entscheidung des OLG Düsseldorf (6. Kartellsenat) vom 27.07.2023 – 6 U 1/22 (Kart)

Das OLG wies die Berufungen zurück und bestätigte die erstinstanzliche Entscheidung.

Zur Begründung dafür, dass der Beklagte nicht für das verhängte Kartell-Bußgeld hafte, führte das Gericht aus, dass diese – würde man einen Regress zulassen – ihren Zweck verfehlen würde. Mit der Geldbuße würde das Ziel verfolgt, das Unternehmen von kartellrechtswidrigem Verhalten abzuschrecken und empfindlich im Vermögen zu treffen. Dieser Zweck würde durch Regressmöglichkeiten konterkariert. Dies gelte insbesondere beim Bestehen einer (solventen) D&O Versicherung. Dass die Geldbuße nur das Unternehmen treffen solle, zeige zudem das Sanktionssystem des Kartellrechts: Eine Bemessungsgröße des Bußgelds sei der mit der Zuwiderhandlung im Zusammenhang stehende Umsatz (tatbezogener Umsatz). Gerade dieser Umsatz könne aber – völlig unabhängig vom Handeln des Leitungsorgans – zu einer enormen Höhe der Geldbuße führen. Eine Inanspruchnahme des Beklagten für die, allein wegen der Unternehmensgröße, vervielfachte Geldbuße sei ungerechtfertigt. Selbiges gelte auch für die im Zusammenhang angefallenen IT- und Rechtsanwaltskosten.

Gerechtfertigt sei jedoch, dass der Beklagte für alle (künftigen) gegen die Klägerinnen gerichteten Schadensersatzansprüche hafte, da er seine Pflicht zum rechtmäßigen Verhalten (so genannte Legalitätspflicht) verletzt habe. Daran ändere auch nichts, dass er im vermeintlichen Gesellschaftsinteresse gehandelt habe, denn es gäbe kein unternehmerisches Ermessen zur Begehung „nützlicher Gesetzesverstöße“.

Praxishinweis

Mit dem Urteil des OLG Düsseldorf ist nun das erste obergerichtliche Urteil zu diesem Thema gefällt worden. Zwar ist es begrüßenswert, dass das OLG sich zu einem eindeutigen Fazit (keine Haftung für Kartell-Geldbußen schlechthin) bekannt und von einer Einzelfall-Kasuistik abgesehen hat. Jedoch ist zweifelhaft, ob diese Rechtsfrage sich nachhaltig erledigt hat. In einem Hinweisbeschluss des LG Dortmund, Beschluss vom 21.06.2023 – 8 O 5/22 (Kart) hatte sich dieses Gericht nur kurz zuvor für eine Ersatzfähigkeit der Kartell-Geldbußen entschieden. Auch nach der Entscheidung des OLG Düsseldorf hielt das LG Dortmund an seiner Entscheidung fest (vgl. LG Dortmund, Beschluss vom 14.08.2023 – 8 O 5/22 (Kart)) und äußerte sein Unverständnis über die Entscheidung des OLG. Es führte u.a. als Gegenargument an, dass der Präventionszweck der Bußgelder nicht primär auf die Gesellschaft abziele, sondern auf die Gesellschafter und Leitungspersonen, da diese die Geschicke der Gesellschaft in der Hand hielten. Der Präventionszweck wäre erst durch die Regress-Möglichkeit erreicht, die das Leitungsorgan von kartellrechtswidrigem Verhalten abschrecke.

Neben den besonderen Fragen in Bezug auf die Ersatzfähigkeit von Kartell-Geldbußen eignet sich das Urteil aber auch dafür, sich nochmals in Erinnerung zu rufen, wie Unternehmen und insbesondere Geschäftsführer (GmbH) oder Vorstände (AG) ihr Unternehmen organisieren und leiten müssen, um Haftungsfälle und „negative Presse“ zu verhindern:

So sollten Organmitglieder zum einen die Einrichtung eines Risiko- und Compliance-Managementsystem erwägen. Dies dient dazu, wirtschaftliche oder rechtliche Risiken bereits im Vorfeld zu erkennen, zu analysieren und präventiv Gegenmaßnahmen vorzusehen, damit sich das Risiko nicht verwirklicht. Daneben ist für Mitglieder der Unternehmensführung die Business Judgement Rule (quasi der gesellschaftsrechtliche kategorische Imperativ) von hoher Bedeutung. Diese besagt, dass Unternehmensentscheidungen stets nach pflichtgemäßem Ermessen, informiert und zum Wohle der Gesellschaft getroffen werden müssen. Eine auf diese Weise getroffene Entscheidung ist so lange nachvollziehbar, wie der Beurteilungsspielraum, der der Unternehmensführung zusteht, nicht in unverantwortlicher Weise überspannt worden ist (Irrationalitätstest).

Sowohl interne Risiko- und Compliance-Managementsysteme, als auch die Business Judgement Rule verfolgen eine wichtige Doppelfunktion: Zum einen dienen Sie der Findung der bestmöglichen Entscheidung im Unternehmensinteresse, zum anderen beugen sie bei korrekter Anwendung der persönlichen Inanspruchnahme des Leitungsorgans vor. Der Antwort auf die Frage, ob sich am Ende die einen Kartell-Bußgeld-Regress bejahende Meinung des LG Dortmund, oder die Gegenauffassung des OLG Düsseldorf durchsetzt, kann dann aus bloßem Interesse entgegengesehen werden – und ganz ohne persönliche Betroffenheit.

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