Anforderung an die Wahl des Versammlungsortes bei Gesellschafterversammlungen
Fehlt es an einer Regelung in einer GmbH-Satzung, die den Versammlungsort für Gesellschafterversammlungen bestimmt, ist dieser grundsätzlich am Sitz der Gesellschaft. Die Einberufung einer Versammlung an einem anderen Ort durch den Geschäftsführer bedarf insofern eines rechtfertigenden Grundes und darf nicht willkürlich sein – sonst droht die Nichtigkeit gefasster Beschlüsse. Dies folgt aus einem Urteil des OLG München vom 22.03.2023 (Az. 7 U 1995/21).
Sachverhalt
Dem Urteil des OLG München liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Der Kläger war – genau wie seine Mitgesellschafterin – im Besitz von 50% der Geschäftsanteile an der Beklagten, einer GmbH mit Sitz in München. Neben seiner Gesellschafterposition war der Kläger zudem Geschäftsführer der Beklagten. Neben dem Kläger gab es eine weitere Fremd-Geschäftsführerin, die nicht zugleich Gesellschafterin war. Besagte Geschäftsführerin lud mit Schreiben vom 09.04.2020 zu einer außerordentlichen Gesellschafterversammlung am 27.04.2020 in den Räumlichkeiten einer Kanzlei in Frankfurt ein, in der der Vater der Mitgesellschafterin als Rechtsanwalt tätig war. In der Einladung war als Tagesordnungspunkt unter anderem die Abberufung des Klägers als Geschäftsführer aus wichtigem Grund vorgesehen. Der Kläger ließ sich in der Gesellschafterversammlung von einem Rechtsanwalt vor Ort vertreten und rügte vor und während der Versammlung mehrmals die aus seiner Sicht unzulässige Wahl des Versammlungsorts, der allerdings in der Satzung der Beklagten nicht geregelt war. Das LG München erklärte die in der Versammlung gefassten Beschlüsse wegen unzulässiger Wahl des Versammlungsortes für nichtig. Hiergegen wandte sich die Beklagte mit der Berufung.
Die Entscheidung des OLG München vom 22.03.2023 (Az. 7 U 1995/21)
Das OLG wies die Berufung zurück und bestätigte die Auffassung des LG zur Unzulässigkeit des gewählten Versammlungsortes. Nach Ansicht des Gerichts seien für den Fall, dass die Satzung einer GmbH den Versammlungsort nicht vorgibt, die Regelungen des Aktiengesetzes entsprechend heranzuziehen. Dieses sieht vor, dass Versammlungsort der Sitz der Gesellschaft ist. Zweck dieser Regelung sei es, die Gesellschafter vor einer willkürlichen Wahl des Versammlungsortes und der damit einhergehenden Beeinträchtigung des Teilnahmerechts zu schützen. Ausnahmen von der Grundregel seien beispielsweise dann zulässig, wenn kein geeignetes Versammlungslokal vorhanden oder die Verkehrsanbindung gestört sei. Nach Ansicht des Gerichts seien geeignete Räumlichkeiten in München indes vorhanden gewesen. Darüber hinaus sei für die Wahl des Ortes nicht relevant, dass die Mitgeschäftsführerin, wie von der Beklagten vorgebracht, in den genannten Räumlichkeiten ihre tägliche Tätigkeit verrichte. Ebenso entfalte eine frühere Gesellschafterversammlung in der Kanzlei keine Bindungswirkung für weitere Versammlungen, sodass im Ergebnis der Ortswechsel nach Frankfurt ungerechtfertigt und damit unzulässig bleibe.
Dass der Kläger letztlich doch (vertreten durch seinen Rechtsanwalt) teilnehmen konnte, führe ebenfalls nicht zu einer Wirksamkeit des Beschlusses. Vielmehr sei ein solcher Beschluss „nur“ anfechtbar, da keine Verhinderung der Teilnahme vorliege, die umgehend zur Nichtigkeit geführt hätte.
Praxishinweis
Das Urteil des OLG München betont zum einen die Bedeutung des Sitzes der Gesellschaft: Regelt die Satzung den Versammlungsort der Gesellschafterversammlung nicht, muss diese am Sitz der Gesellschaft stattfinden. Sitz der Gesellschaft ist die politische Gemeinde, die auch in der Satzung bezeichnet ist und das gesamte Gemeindegebiet umfasst. Es empfiehlt sich daher regelmäßig die Geschäftsräume der Gesellschaft als Versammlungslokal zu wählen. Ein vom Sitz der Gesellschaft abweichender Versammlungsort ist nur in Ausnahmefällen zulässig, deren Vorliegen immer im Einzelfall rechtlich geprüft werden sollte, bevor u.U. falsch eingeladen wird. Insbesondere willkürlich oder bewusst zu Lasten eines Gesellschafters gewählte Versammlungsorte sind unzulässig.
Zum anderen zeigt das Urteil an einem – eher simplen – Beispiel den Wert einer „guten“ Satzung. Wenn neben Mindestinhalten auch wichtige Detailfragen geregelt werden, lassen sich Streitigkeiten häufig vermeiden. So auch im vorliegenden Fall: Hätten die Gesellschafter bereits bei Gründung eine Regelung zum Versammlungsort – wahrlich keine ungewöhnliche Regelung – aufgenommen, wäre die Geschäftsführerin vermutlich nicht in Versuchung gekommen, diesen nach Frankfurt zu verlegen; immerhin knapp 400 km von München entfernt. Bei seit längerem nicht überarbeiteten Satzungen oder anstehenden Veränderungen im Gesellschafterkreis empfiehlt es sich, die Satzung auf wirksame und ausreichende Regelungen prüfen zu lassen. Möglicherweise „passen“ die Satzungsregelungen nicht mehr zum angedachten, erweiterten Gesellschafterkreis oder sie entsprechen in wichtigen Punkten (Beispiel: Abfindungsregelungen für ausscheidende Gesellschafter) nicht mehr aktueller Rechtsprechung. Verpasst man die Gelegenheit zur vorausschauenden Satzungsgestaltung, kommt diese möglicherweise so schnell nicht wieder: So bedürfen Satzungsänderungen von Gesetzes wegen einer Mehrheit von 75% der abgegebenen Stimmen – niedrigere Mehrheitserfordernisse können auch in der Satzung nicht vereinbart werden. Wohl dem, der dies im Blick hatte, bevor er einen scheinbar machtlosen Mitgesellschafter mit mehr als 25% Beteiligung an „Bord“ holte.
Ebenso sind Gesellschafter und Geschäftsführer gut beraten, sich bei der Vorbereitung und Durchführung einer Gesellschafterversammlung rechtlichen Rat einzuholen. Gerade bei wichtigen Beschlussgegenständen sollten die Schritte vorab rechtlich geprüft sein und sauber vollzogen werden. Beispielsweise muss bei der Einladung zur Versammlung darauf geachtet werden, dass sich die Gesellschafter angemessen über alle Tagesordnungspunkte und deren Hintergrund informieren können. Der Grad der erforderlichen Detaillierung der Tagesordnungspunkte variiert hierbei je nach Beschlussgegenstand: Während tendenziell untergeordnete, selbsterklärende Maßnahmen nicht im Einzelnen beschrieben werden müssen, ist z.B. bei Satzungsänderungen eine vorherige Information über den wesentlichen Inhalt der angedachten Änderungen erforderlich (z.B. „Änderung des Versammlungsortes für Gesellschafterversammlungen von München zu Frankfurt.“ o.ä.). Unterbleibt dies, droht wiederum die Anfechtbarkeit von Beschlüssen – und ein verlorenes Gerichtsverfahren.
4. Juli 2023