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Anfechtbarkeit von satzungsdurchbrechenden Hauptversammlungsbeschlüssen

Verstößt der Hauptversammlungsbeschluss einer Aktiengesellschaft gegen ihre Satzung, ohne die Voraussetzungen einer Satzungsänderung einzuhalten, ist der Beschluss anfechtbar.

Sachverhalt

Der BGH hatte über die Wirksamkeit eines satzungsdurchbrechenden Hauptversammlungsbeschluss zu entscheiden.

Die Satzung einer nicht-börsennotierten Aktiengesellschaft sah vor, dass der Vorstand in den ersten drei Monaten des Geschäftsjahres für das vergangene Geschäftsjahr den Jahresabschluss nebst Lagebericht aufzustellen und dem Abschlussprüfer vorzulegen hatte. In den Jahren vor 2017 wurde dies aber versäumt. Daraufhin beschloss die Hauptversammlung im Jahr 2019 mehrheitlich, dass auf eine Prüfung der Berichte vor 2017 verzichtet wird.

Die Kläger – Aktionäre der Gesellschaft – widersprachen und klagten erfolglos auf Nichtigerklärung, hilfsweise auf Feststellung der Nichtigkeit des Beschlusses. Das Berufungsgericht wies die Berufung der Kläger zurück. Daraufhin legten die Kläger Revision ein.

Die Entscheidung des BGH vom 11.07.2023 (Az. II ZR 98/21)

Die Revision hatte Erfolg. Der BGH führte aus, dass der Verzicht der Hauptversammlung auf die Prüfung der Jahresabschlüsse und Berichte vor 2017 nichtig sei, weil er gegen die Satzung verstoße. Weil dabei die Formvorschriften für Satzungsänderungen nicht eingehalten worden sei, sei der Beschluss der Hauptversammlung anfechtbar.

Praxishinweis

Die Entscheidung zeigt, wie wichtig eine sorgfältige Vorbereitung von Hauptversammlungsbeschlüssen (bei der Aktiengesellschaft) und Gesellschafterbeschlüssen (bei der GmbH) ist. Das gilt gerade dann, wenn Beschlüsse gefasst werden sollen, die der Satzung widersprechen.

Grundsätzlich gilt: Was in der Satzung geregelt ist, ist verbindlich. Denn: Die Satzung hat nicht nur Bedeutung für die Gesellschaft selbst und ihre Gesellschafter, sondern auch für den Rechtsverkehr. Dieser kann die Satzung im Handelsregister einsehen und soll sich auf die Richtigkeit ihres Inhalts verlassen können. Satzungsdurchbrechungen sind deshalb auf enge Ausnahmefälle begrenzt – das Stichwort in diesem Zusammenhang ist „punktuelle Satzungsdurchbrechung“. Punktuelle Satzungsdurchbrechungen beschränken sich auf einzelne Regelungen; die Wirkung des Beschlusses erschöpft sich also in der getroffenen Maßnahme. Das ist beispielsweise der Fall, wenn im Einzelfall eine der Satzung widersprechende Gewinnverteilungsabrede beschlossen wird.

Punktuelle Satzungsdurchbrechungen sind anfechtbar. Daran ändert sich auch dann nichts, wenn in jahrelanger Praxis gegen eine Bestimmung der Satzung verstoßen wurde. Gesellschafter, die mit der Beschlussfassung nicht einverstanden sind, können also – wie im Fall des BGH – den satzungsdurchbrechenden Beschluss klageweise anfechten. In der Regel gilt dafür eine Anfechtungsfrist von einem Monat.

Unzulässig sind die sog. „zustandsbegründenden Satzungsdurchbrechungen“, die über eine punktuelle Wirkung hinausgehen. Darunter fallen Beschlüsse, die entgegen der Satzung einen dauerhaft wirkenden Zustand statt einer einzelnen Maßnahme begründen (z.B. die Bestellung eines Geschäftsführers oder Vorstands entgegen der Satzung). Solche Beschlüsse sind nichtig – außer es werden die für Satzungsänderungen geltenden Vorschriften eingehalten (notarielle Beurkundung, qualifizierte Mehrheit und Eintragung in das Handelsregister). Da das selten der Fall ist, sind und bleiben diese Beschlüsse meistens unwirksam.

Das bedeutet: Bei der Vorbereitung einer Haupt- bzw. Gesellschafterversammlung ist zu prüfen, ob die zu treffenden Beschlüsse mit der Satzung im Einklang stehen. Ist dies nicht der Fall, besteht ein Anfechtungs- oder sogar Nichtigkeitsrisiko. Dieses Risiko kann nur ausgeschlossen werden, wenn die Beschlussfassung wie eine Satzungsänderung behandelt wird – die Versammlung also ordnungsgemäß einberufen ist, die erforderlichen (qualifizierten) Mehrheiten erreicht werden und die Beschlussfassung notariell beurkundet und in das Handelsregister eingetragen wird.

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