Zulässigkeit einer betriebsbedingten Kündigung bei Fremdvergabe von Arbeiten
Das Bundesarbeitsgericht hat bestätigt, dass zu der von den Art. 12, 14 und 2 Abs. 1 GG geschützten unternehmerischen Freiheit auch das Recht gehört, festzulegen, ob bestimmte Arbeiten weiter im eigenen Betrieb ausgeführt oder an Drittunternehmen vergeben werden sollen – dies gilt auch für die Aufgabenverlagerung zwischen Konzernunternehmen.
Sachverhalt
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen betriebsbedingten Kündigung.
Der klagende Arbeitnehmer war bei der Beklagten seit dem Jahr 2018 zuletzt im Vertrieb als sog. Vice President & Country Manager Germany tätig. Die Beklagte ist die deutsche Tochtergesellschaft der in London ansässigen Muttergesellschaft M Inc., die Branchenlösungen im Bereich der KI-Technologie anbietet. Die Beklagte beschäftigte in der Abteilung Vertrieb neben dem Kläger sechs weitere Sales Directors. Der Kläger war Bindeglied zwischen dem jeweils zuständigen Vertriebsleiter, dem Area Vice President, und jedenfalls fünf der sechs Sales Directors. Area Vice President war zuletzt Frau M, die bei der M Ltd. beschäftigt ist und ihre Tätigkeit von Österreich aus erbringt.
Die M Inc. bedient sich einer Matrixorganisation, die Abteilungen werden von den sog. Matrixmanagern außerhalb Deutschlands geleitet. Die Geschäftsführerin der Beklagten entschied am 11.05.2020, dass zukünftig sämtliche Sales Directors der Beklagten unmittelbar an den Area Vice President berichten sollen, weshalb die Stelle des Country Managers Germany mit Wirkung zum 01.07.2020 entfalle, dessen Aufgaben nunmehr von der M Ltd. und dort im Wesentlichen von Frau M wahrgenommen werden.
Gegen die betriebsbedingte Kündigung der Beklagten mit Schreiben vom 11.05.2020 zum 30.06.2020 hat der Kläger Klage eingereicht. Er meint, die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt, es liege kein betriebsbedingter Grund vor, die Unternehmerentscheidung der Beklagten verfolge allein das Ziel, sein Vertragsverhältnis kündigen zu können. Sachliche Gründe für die behauptete Verlagerung zur M Ltd. lägen nicht vor, der Beschäftigungsbedarf sei nicht entfallen, es werde nur der Arbeitgeber ausgewechselt.
Das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht München haben die Klage abgewiesen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers war nicht erfolgreich. Das Bundesarbeitsgericht hat seine bisherige Rechtsprechung zur Fremdvergabe von Arbeiten bestätigt.
Ein Arbeitgeber ist grundsätzlich nicht gehalten, nicht mehr benötigte Arbeitsplätze und Arbeitskräfte weiterhin zu besetzen bzw. zu beschäftigen. Es gehört zu der durch die Art. 12, 14 und 2 Abs. 1 GG geschützten unternehmerischen Freiheit, durch eine Unternehmerentscheidung festzulegen, ob bestimmte Arbeiten weiter im eigenen Betrieb ausgeführt oder an Drittunternehmen vergeben werden sollen, wobei dies auch für die Aufgabenverlagerung zwischen Konzernunternehmen gilt. Es kommt dabei grundsätzlich nicht darauf an, ob hierdurch Kosten gespart werden können. Ein Arbeitgeber ist bis zur Grenze der Willkür nicht daran gehindert, auch wirtschaftlich nicht zwingend notwendige Organisationsentscheidungen zu treffen. Eine Unternehmerentscheidung ist indes nicht schrankenlosen für einen Kündigungsschutzprozess bindend: Eine solche darf nicht lediglich als Vorwand benutzt werden, um Arbeitnehmer aus dem Betrieb zu drängen, obwohl Beschäftigungsbedarf und Beschäftigungsmöglichkeit fortbestehen und lediglich die Arbeitsvertragsinhalte und die gesetzlichen Kündigungsschutzbestimmungen als zu belastend angesehen werden. Auch findet stets eine vom BAG als sog. „Missbrauchskontrolle“ bezeichnete Prüfung daraufhin statt, ob die Unternehmerentscheidung offensichtlich unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist. Will sich ein Arbeitnehmer im Prozess auf Willkür berufen, hat er die Umstände darzulegen und ggf. zu beweisen, aus denen sich ergeben soll, dass die beschlossene Organisationsmaßnahme offenbar unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist. Die Arbeitsgerichte müssen erst dann auf Basis einer Gesamtschau bewerten, ob die Grenze der geschützten unternehmerischen Freiheit überschritten ist. Hierzu hatte der Arbeitnehmer im Streit keine Tatsachen vorgetragen.
Hinweise für die Praxis
Die Entscheidung fasst die bisherige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zusammen und bestätigt, dass ein Arbeitgeber unternehmerische Organisationsentscheidungen treffen darf, aufgrund derer ein Arbeitsplatz wegfallen und eine betriebsbedingte Kündigung ausgesprochen werden kann.
Ein Arbeitgeber ist gut beraten, die Unternehmerentscheidung vor Ausspruch der Kündigung sorgfältig vorzubereiten und zum Nachweis möglichst auch schriftlich zu fixieren. Er sollte genau überlegen, welche Auswirkungen die Umsetzung auf vorhandene Arbeitsplätze hat. Er muss im Streit vor dem Arbeitsgericht auch vortragen können, dass mit Umsetzung der Unternehmerentscheidung (alle) Tätigkeiten eines Arbeitnehmers entfallen und dieser nicht weiter beschäftigt werden kann, und zwar auch nicht zu geänderten Bedingungen, sonst müsste als milderes Mittel eine Änderungskündigung ausgesprochen werden). Hierzu ist eine genau Kenntnis dazu erforderlich, was betroffene Arbeitnehmer alles machen.
Mit der getroffenen Unternehmerentscheidung ist die Prüfung der Wirksamkeit einer Kündigung nicht abgeschlossen. Der Arbeitgeber muss bei einer betriebsbedingten Kündigung regelmäßig auch eine Sozialauswahl durchführen und weiter prüfen, ob es anderweitige Beschäftigungsmöglichkeiten im Unternehmen gibt. Hierzu hatte der Arbeitnehmer im entschiedenen Streit nichts vorgetragen, so dass solche Punkte nicht geprüft werden mussten.
17. Mai 2023