
Vorwurf Staatsfaschismus
Eine Mitarbeiterin der Gedenkstätte Dachau ist nicht mehr geeignet Führungen in einer KZ-Gedenkstätte abzuhalten, wenn sie auf einer Demonstration gegen Corona-Maßnahmen dem Staat Faschismus vorwirft. Dies hat das LAG München mit Urteil vom 18.07.2023 (7 Sa 71/23) entschieden.
Sachverhalt
Dem Urteil liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Die Klägerin hatte laut Gericht Ende Januar 2022 bei einer Kundgebung gegen die Corona-Maßnahmen vor etwa 3.000 Teilnehmern von einem "reaktionär faschistoiden" Staat gesprochen. "Wir habens hier mit der schärfsten Faschisierung im Staat und Gesellschaft zu tun. Seit der Gründung der Bundesrepublik", sagte sie demnach weiter.
Entscheidungsgründe
Das LAG München hat – ebenso wie das erstinstanzliche Gericht – mit der gebotenen Klarheit die Klage zurückgewiesen. Wer Führungen in einer KZ-Gedenkstätte wie Dachau mache und die Besucher betreue, dürfe seinen demokratisch gewählten, staatlichen Arbeitgeber nicht mit einem Faschistenstaat gleichstellen, begründete das LAG nun seine Entscheidung. Eine solche Geisteshaltung und die damit einhergehende Herabwürdigung der Demokratie stünden auch nicht im Einklang mit dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder.
Die Aufgabe der Klägerin habe gerade darin bestanden, Besucher durch das ehemalige Lager der Gedenkstätte Dachau zu führen, die historischen Abläufe zu erläutern und über das Lagerleben und das Schicksal der Häftlinge zur berichten. Die zutreffende Wiedergabe von historischen Fakten und der Respekt vor der Geschichte der Gedenkstätte sei essenzielle Voraussetzung für diese Tätigkeit. Die Fortsetzung eines Arbeitsverhältnisses sei der Arbeitgeberin somit nicht zuzumuten, so das LAG München. Die Frau war seit Januar 2019 für 450 Euro brutto beschäftigt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Hinweise für die Praxis
Das Berufungsgericht gibt ein gutes Signal für den Umgang mit rechtsradikalem Gedankengut. Die Berufungsgerichte verfolgen jedoch bislang keine einheitliche Linie. Im Fall eines Lehrers, der die Impfpolitik mit der Unrechtsherrschaft im Nationalsozialismus verglichen hatte, entschied das LAG Berlin-Brandenburg noch anders: Das Gericht betonte die Meinungsfreiheit und maß dem Lehrerberuf des Klägers keine besondere Bedeutung zu.
Mitgliedschaft und aktives Eintreten des Arbeitnehmers für eine verfassungsfeindliche Organisation können Zweifel des Betroffenen erwecken. Sie führen aber nicht ohne weiteres zur sozialen Rechtfertigung einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Entscheidend ist, inwieweit die außerdienstlichen politischen Aktivitäten in die Dienststelle hineinwirken und entweder die allgemeine Aufgabenstellung des öffentlichen Arbeitgebers oder das konkrete Aufgabengebiet des Arbeitnehmers berühren. Das wiederum hängt maßgeblich davon ab, welche staatlichen Aufgaben der Arbeitgeber wahrzunehmen hat, welche Verhaltenspflichten dem Arbeitnehmer obliegen und welches Aufgabengebiet innerhalb der Verwaltung er zu bearbeiten hat.
Einfach zu entscheiden ist es, insbesondere für den weitgehend privaten agierenden Arbeitgeber, also unverändert nicht, sich jenseits den „links oder rechts der verfassungsmäßigen Grenzen“ im Privatbereich engagierende Mitarbeiter arbeitsrechtlich zu sanktionieren.
13. September 2023