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Verwirkung eines Anspruchs auf Zeugnisberichtigung

Der Arbeitgeber hat kein schutzwürdiges Vertrauen auf den Bestand des erteilten Zeugnisses, wenn er den Arbeitnehmer böswillig mit "ungenügend" beurteilt hat und der Arbeitnehmer das Zeugnis als "sittenwidrig", "unterirdisch" und von vorsätzlicher Schädigungsabsicht getragen beanstandet hat. Das gilt auch dann, wenn zwischen Beanstandung und Klageerhebung zwei Jahre liegen. So hat das LAG Baden-Württemberg mit Urteil vom 31.05.2023 (4 Sa 54/22) in einer Einzelfallentscheidung entschieden.

Sachverhalt

Dem Urteil des LAG Baden-Württemberg liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Die Parteien streiten über die Berichtigung des Arbeitszeugnisses des Klägers. Der Kläger war bei der Beklagten bis 31.03.2019 beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete aufgrund einer Eigenkündigung des Klägers. Dem gingen mehrere erfolglose Versuche der Beklagten voraus, das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger durch Arbeitgeberkündigungen zu beenden.

Mit Schreiben vom 30.07.2019 übersandte die Beklagte dem Kläger ein Zeugnis, welches der Kläger mit Rechtsanwaltsschreiben vom 28.08.2019 als „völlig inakzeptabel“ beanstandete.

Nachdem die Beklagte daraufhin mit Schreiben vom 17.09.2019 dem Kläger ein in der Tätigkeitsbeschreibung leicht korrigiertes Zeugnis übersandte, ließ der Kläger dieses Zeugnis über seinen Prozessbevollmächtigten mit Schreiben vom 02.10.2019 erneut beanstanden. Er ließ u.a. ausführen, dass das Zeugnis weiter vollkommen „unterirdisch“ sei und ganz offensichtlich nicht den gesetzlichen Anforderungen entspreche. Die Beklagte würde den Kläger vorsätzlich und sittenwidrig schädigen, weil sie in Kauf nehme, dass der Kläger durch die Erteilung eines rechtswidrigen Arbeitszeugnisses schwere Nachteile im beruflichen Fortkommen erleide. Die Beklagte ließ den Vorwurf der sittenwidrigen Schädigungsabsicht mit Rechtsanwaltsschreiben vom 18.10.2019 zurückweisen und lehnte die Leistung von Schadenersatz ab. Am 14.10.2021 erhob der Kläger Klage auf Zeugnisberichtigung.

Das Arbeitsgericht wies die Klage ab, wobei es sich der Argumentation der Beklagten anschloss, wonach der Anspruch des Klägers auf Zeugnisberichtigung verwirkt sei. Die Berufung des Klägers vor dem LAG hatte Erfolg.

Entscheidungsgründe

Nach Auffassung des LAG sei der Anspruch des Klägers nicht verwirkt. Die Verwirkung sei ein Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung. Sie setze voraus, dass der Berechtigte ein Recht längere Zeit nicht geltend mache, obwohl er dazu in der Lage war (Zeitmoment) und der Verpflichtete sich mit Rücksicht auf das gesamte Verhalten des Berechtigten darauf einrichten durfte und sich darauf eingerichtet hat, dieser werde sein Recht auch künftig nicht mehr geltend machen (Umstandsmoment).

a) Das Zeitmoment sei vorliegend auch gegeben, da seit der letzten Beanstandung des Zeugnisses durch den Kläger mit Schreiben vom 02.10.2019 und der Antwort der Beklagten vom 18.10.2019 bis zur Klageerhebung immerhin zwei Jahre vergangen seien.

b) Es fehle jedoch am Umstandsmoment. Die Beklagte habe nicht darauf vertrauen können, dass der Kläger seinen Anspruch auf eine Zeugnisberichtigung fallengelassen hätte. Denn der Kläger habe bereits zeitnah nach der Erteilung des Zeugnisses dieses mit harschen Worten zurückgewiesen. Schon in seinem ersten Schreiben habe er beanstandet, dass das Zeugnis „völlig inakzeptabel“ sei. Der Ton der Beanstandung sei sodann mit Schreiben vom 02.10.2019 verschärft worden, indem der Kläger deutlich gemacht habe, dass er das erteilte Zeugnis weiterhin für „vollkommen unterirdisch“ halte, das „ganz offensichtlich nicht den gesetzlichen Anforderungen“ entspreche. Angesichts des drastischen Vorwurfs der sittenwidrigen Schädigung habe die Beklagte nicht darauf vertrauen können, dass der Kläger von einer Weiterverfolgung seiner Ansprüche Abstand nehmen werde.

Hinweise für die Praxis

Auch der Zeugnisberichtigungsanspruch unterliegt der Verwirkung. Dies setzt voraus, dass der Arbeitnehmer seinen Anspruch längere Zeit nicht geltend gemacht hat (Zeitmoment) und der Arbeitgeber sich darauf einstellt (Umstandsmoment).

Da die Verwirkung immer von den Umständen des Einzelfalles abhängt, können keine pauschalen Aussagen erfolgen. So wurde das Zeitmoment der Verwirkung vom LAG Köln bereits nach 12 Monaten als gegeben angesehen (LAG Köln, Urteil vom 08.02.2000 – 13 Sa 1050/99), während andere eine Verwirkung bereits nach 15 Monaten anerkennen (LAG Hamm, Urteil vom 03.07.2002 – 3 Sa 248/02).

Neben dem Zeitmoment muss jedoch noch das Umstandsmoment hinzukommen. Dieses kann bei einem Streit um eine Zeugnisberichtigung daraus folgen, dass der Arbeitgeber ein überdurchschnittlich gutes Zeugnis erteilt hat, so dass er dann nicht mit weiteren Einwänden des Arbeitnehmers rechnen muss (LAG Hessen, Urteil vom 31.03.1999 – 2 Sa 570/96).

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