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Urlaubsabgeltung als Teil der ordnungsgemäßen Abrechnung – trotz umfassender Abgeltungsklausel im gerichtlichen Vergleich

Die in einem gerichtlichen Vergleich enthaltene Klausel, wonach das Arbeitsverhältnis bis zu dessen Beendigung ordnungsgemäß unter Zugrundelegung eines bestimmten Bruttomonatsgehalts abzurechnen und der sich ergebende Nettobetrag auszuzahlen ist, führt dazu, dass Zahlungsansprüche – und insbesondere der Anspruch auf Urlaubsabgeltung –, die anhand der Bruttomonatsvergütung zu errechnen sind, trotz einer Klausel im gerichtlichen Vergleich, wonach mit Erfüllung des Vergleichs sämtlich finanzielle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und aus Anlass von dessen Beendigung abgegolten sind, nicht abgegolten sind. Dies hat das Landesarbeitsgericht München (LAG) in seinem Urteil vom 24.01.2023 entschieden (Az. 6 Sa 326/22).

Sachverhalt

Die Parteien streiten im Berufungsverfahren noch über einen Urlaubsabgeltungsanspruch des Klägers gegen die Beklagte.

Der Arbeitsvertrag der Parteien sah einen Anspruch des Klägers als Arbeitnehmer der Beklagten auf jährlichen Erholungsurlaub von 30 Arbeitstagen auf Basis einer fünf Tage Woche vor. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 04.02.2021 fristlos. Bei Zugang der Kündigung standen dem Kläger aus dem Vorjahr noch zehn Tage Resturlaub zu, für das laufende Jahr wurde jedenfalls bis zum 31.01.2021 kein Urlaub gewährt. Nach gegen die Kündigung erhobener Kündigungsschutzklage endete der Rechtsstreit durch mit Beschluss vom 06.04.2021 festgestellten gerichtlichen Vergleich der Parteien mit folgendem Inhalt:

„1. Die Parteien sind sich einig, dass das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis aufgrund ordentlicher betriebsbedingter Kündigung der Beklagkten mit Schreiben vom 04.02.2021 mit Ablauf des 15.03.2021 geendet hat. Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordnungsgemäß unter Zugrundelegung eines Bruttomonatsgehalts von 3.900 Euro abrechnen und den sich ergebenden Nettobetrag an den Kläger auszahlen.

2. Die Beklagte erklärt, die Vorwürfe, welche der fristlosen Kündigung vom 04.02.2021 zugrunde lagen, nicht länger aufrechtzuerhalten.

3. Die Beklagte verpflichtet sich, an den Kläger als sozialen Ausgleich für den Verlust seines Arbeitsplatzes entsprechend §§ 9,10 KSchG eine Abfindung iHv 3.000 Euro (in Worten: dreitausend) brutto zu zahlen.

6. Mit Erfüllung dieses Vergleichs sind sämtliche finanziellen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und aus Anlass dessen Beendigung abgegolten und erledigt.

7. Damit ist der Rechtsstreit erledigt.“

Im anschließenden Prozess machte der Kläger Urlaubsabgeltung – soweit für das Berufungsverfahren von Interesse – in Höhe von 2.836,36 Euro nebst Zinsen geltend. Er vertrat die Ansicht, er habe einen Anspruch auf Abgeltung von zehn Resturlaubstagen aus dem Jahr 2020 sowie sechs Urlaubstagen aus dem Jahr 2021. Dem stehe die Abgeltungsklausel im gerichtlichen Vergleich nicht entgegen, da diese die Erfüllung des Vergleichs voraussetze und Nr. 1 des Vergleichs regle, dass das Arbeitsverhältnis bis zu dessen Beendigung ordnungsgemäß abgerechnet werde. Es sei bewusst davon abgesehen worden, den Zahlungsanspruch im Vergleich abschließend zu beziffern, da er seinem damaligen Bevollmächtigten die tatsächlichen Urlaubsabgeltungs- und Überstundenvergütungsansprüche nicht rechtzeitig habe mitteilen können.

Die Beklagte begründete ihren Klageabweisungsantrag mit der Behauptung, der Kläger sei nach dem Ende seiner – zwischen den Parteien unstreitigen Arbeitsunfähigkeit am 31.01.2021 – ab dem 01.02.2021 unter Anrechnung auf Erholungsurlaub und Überstunden bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses freigestellt gewesen, der Urlaubsanspruch des Klägers sei daher erfüllt worden. Überdies sei ein etwaiger Anspruch auf Urlaubsabgeltung durch die Abgeltungsklausel im gerichtlichen Vergleich erloschen. Dies habe das LAG Schleswig-Holstein mit Urteil vom 09.06.2021 (3 Sa 82/21, BeckRS 2021, 18456) in einem gleichgelagerten Fall ebenso entschieden.

Das Arbeitsgericht hat den Klageantrag abgewiesen. Hierzu hat es – unter Heranziehung der Begründung der von der Beklagten zitierten Entscheidung des LAG Schleswig-Holstein – die Ansicht vertreten, dass die Abgeltungsklausel in dem gerichtlichen Vergleich der Parteien als konstitutives negatives Schuldanerkenntnis zu werten sei. Zu erfüllen seien nur die im Vergleich aufgeführten Ansprüche. Hierzu zähle nicht ein im Wortlaut des Vergleichs nicht erwähnter Urlaubsabgeltungsanspruch. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus der Verpflichtung zur ordnungsgemäßen Abrechnung des Arbeitsverhältnisses auf der Grundlage eines bezifferten Bruttomonatsgehalts. Das Bruttomonatsgehalt sei zweifelsfrei und eindeutig die Referenzgröße für das abzurechnende Gehalt je Monat für den noch abzurechnenden Zeitraum und beruhe auf § 612 BGB. Ein Urlaubsabgeltungsanspruch sei ein völlig anderer Streitgegenstand und beruhe auf § 7 IV BUrlG. Mit der Benennung des Bruttomonatsgehalts hätten die Parteien den Bezug zum geschuldeten Gehalt hergestellt und damit auch die noch zu erfüllenden Verpflichtungen der Beklagten entsprechend begrenzt.

Die Berufung des Klägers gegen diese Entscheidung hatte überwiegend Erfolg.

Entscheidungsgründe

Das LAG ist der Auffassung, dem Kläger habe zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein offener Urlaubsanspruch im Umfang von 15 Tagen zugestanden. Mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses sei nach § 7 Abs. 4 BUrlG ein entsprechender Urlaubsabgeltungsanspruch entstanden, welcher nicht durch die Vereinbarung in Nr. 6 des gerichtlichen Vergleichs der Parteien vom 06.04.2021 abgegolten worden sei. Der Anspruch sei nicht durch Urlaubsgewährung ab dem 01.02.2021 erfüllt worden, weil eine Freistellungserklärung nach der Rechtsprechung des BAG das Erlöschen des Urlaubsanspruchs nur dann bewirken könne, wenn sie unwiderruflich erfolgt. Ferner sei eine auf die Erfüllung des Urlaubsanspruchs gerichtete Erklärung des Arbeitgebers nur geeignet, das Erlöschen des Urlaubsanspruchs zu bewirken, wenn der Arbeitnehmer erkennen muss, dass der Arbeitgeber ihn zur Erfüllung des Anspruchs auf Erholungsurlaub von der Arbeitspflicht freistellen will. Andernfalls sei nicht feststellbar, ob der Arbeitgeber als Schuldner des Urlaubsanspruchs eine Erfüllungshandlung bewirken oder als Gläubiger der Arbeitsleistung auf deren Annahme mit den in § 615 BGB bezeichneten Folgen verzichten will.

Eine in diesem Sinne ausreichende Urlaubsfreistellung habe die Beklagte durch ihre pauschale Behauptung, der Kläger sei nach Ende seines Krankenstandes unter Anrechnung von Urlaubsansprüchen freigestellt gewesen, nicht dargetan. Mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 15.03.2021 habe der Urlaub nicht mehr gewährt werden können, so dass an dessen Stelle ein Urlaubsabgeltungsanspruch entstanden sei.

Dieser Urlaubsabgeltungsanspruch sei nicht nach Nr. 6 des gerichtlichen Vergleichs vom 06.04.2021 untergegangen, das ergebe die Auslegung dieser Erledigungsklausel. Die Parteien wollten zwar, wenn in einem gerichtlichen Vergleich eine umfassende, sich auf alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis erstreckende Abgeltungsklausel aufgenommen und nicht nur der Rechtsstreit erledigt wird, in der Regel das Arbeitsverhältnis abschließend umfassend bereinigen und alle Ansprüche erledigen. Von einem Willen, einen umfassenden Anspruchsausschluss zu vereinbaren, könne hingegen nicht ausgegangen werden, wenn die Parteien vereinbart haben, dass neben den im Prozessvergleich gegebenenfalls ausdrücklich genannten noch weitere, nicht näher bezeichnete Ansprüche zu erfüllen sind.

Die vorliegende Erledigungsklausel beziehe sich zwar auf sämtliche finanzielle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und aus Anlass von dessen Beendigung, wovon grundsätzlich auch ein Urlaubsabgeltungsanspruch erfasst sei. Allerdings setze die Erledigungsklausel die Erfüllung der Verpflichtungen aus dem Vergleich voraus, woraus angesichts der in Nr. 2 des Vergleichs geregelten Verpflichtung der Beklagten, das Arbeitsverhältnis bis zum Beendigungszeitpunkt ordnungsgemäß abzurechnen, folge, dass der Anspruch auf Urlaubsabgeltung von der Erledigungsklausel nicht erfasst sei. Denn die Verpflichtung zur ordnungsgemäßen Abrechnung und Bezahlung erfasse auch weitere nicht näher konkretisierte Zahlungsansprüche des Klägers, ein etwaiges engeres Verständnis hätten die Parteien – wenn sie dies gewollt hätten – naheliegenderweise sprachlich eindeutig zum Ausdruck gebracht. Die Erledigungsklausel laufe mit dieser Auslegung auch nicht leer, weil anderweitige Ansprüche wie beispielsweise Schadensersatzansprüche, von ihr auch bei Zugrundelegung dieses Verständnisses erfasst wären.

Hinweis für die Praxis

Das LAG hat die Revision zugelassen. Es bleibt abzuwarten, ob das BAG die Gelegenheit erhält, diese umstrittene Frage nun zu klären. In jedem Fall ist bei der Formulierung von umfassenden Erledigungsklauseln in Vergleichen und sonstigen Beendigungsvereinbarungen wie Aufhebungs- oder Abwicklungsverträgen Vorsicht geboten und stets der gesamte Vertragstext mit einzubeziehen, um spätere Überraschungen zu vermeiden.

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