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Schlechterstellung von Leiharbeitnehmern hinsichtlich Vergütung gerechtfertigt

Ein Tarifvertrag darf vom Gleichstellungsgrundsatz (§ 8 Abs. 1 S. 1 AÜG) nach „unten“ abweichen und ein niedrigeres Entgelt als das der Stammarbeitnehmer regeln. Der vom EuGH (15.12.2022 – C-311/21) aufgetragene Ausgleich einer Schlechterstellung durch Gewährung von Ausgleichsvorteilen wird vor allem durch die Fortzahlung der Vergütung in verleihfreien Zeiten kompensiert. In zeitlicher Hinsicht darf die Schlechterstellung hinsichtlich der Vergütung nur in den ersten neun Monaten des Leiharbeitsverhältnisses erfolgen, § 8 Abs. 4 S. 1 AÜG. Dies hat das Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil vom 31.05.2023 (Az. 5 AZR 143/19) entschieden.

Sachverhalt

Die Parteien streiten darüber, ob der Klägerin noch offene Entgeltzahlungen in Höhe von EUR 1.296,72 brutto zustehen. Die Klägerin war aufgrund eines nach § 14 Abs. 2 TzBfG befristeten Arbeitsverhältnisses bei der Beklagten, einem Unternehmen für Arbeitnehmerüberlassung, als Leiharbeitnehmerin in Teilzeit beschäftigt. Während des Streitzeitraums von Januar bis April 2017 wurde sie hauptsächlich einem Einzelhandelsunternehmen als Kommissioniererin überlassen und erhielt zuletzt einen Stundenlohn von EUR 9,23 brutto. Die Klägerin behauptet, dass vergleichbare Stammarbeitnehmer des Entleihers einen Stundenlohn von EUR 13,64 Euro erhielten.

Sie erhob daraufhin Klage beim Arbeitsgericht, mit der sie für den Zeitraum von Januar bis April 2017 die Differenz des Entgelts zu den Stammarbeitnehmern geltend macht. Sie beruft sich dabei auf das Gleichstellungsgebot aus § 8 Abs. 1 S. 1 AÜG (§ 10 Abs. 4 S. 1 AÜG aF) und argumentiert, dass der auf sie anwendbare Tarifvertrag von iGZ und ver.di nicht mit den europarechtlichen Vorgaben des Art. 5 Abs. 3 Leiharbeitsrichtlinie (RL 2008/100/EG) und der dort verlangten Achtung des Gesamtschutzes der Leiharbeitnehmer vereinbar sei.

Die Beklagte hat die Klageabweisung beantragt und vorgetragen, dass das Tarifwerk den gesetzlichen Vorgaben entspreche und die behauptete Vergütung der Stammarbeitnehmer mit Nichtwissen bestritten.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Das BAG hat mit Beschluss vom 16.12.2020 das Revisionsverfahren ausgesetzt und zur Vorabentscheidung dem EuGH vorgelegt. Der EuGH beantwortete die aufgeworfenen Fragen am 15.12.2022 (AZ.: C-311/21, vgl. Kommentierung meiner Kollegin Annette Rölz).

Entscheidungsgründe

Das BAG wies die Revision der Klägerin zurück. Das Gericht stellte fest, dass die Klägerin keinen Anspruch auf gleiches Entgelt wie die Stammarbeitnehmer des Entleihers hatte. Die Beklagte war nur verpflichtet, den tariflich geschuldeten Lohn aufgrund der beiderseitigen Tarifgebundenheit zu zahlen, § 8 Abs. 2 S. 2 AÜG (§ 10 Abs. 4 S. 2 AÜG). Der Tarifvertrag genügt den Anforderungen des Art. 5 Abs. 3 Leiharbeitsrichtlinie. Dieser lässt Nachteile sogar ausdrücklich zu, und zwar unabhängig von der Frage der Befristung des Leiharbeitsverhältnisses. Im Gegenzug muss dem Leiharbeitnehmer ein Vorteilsausgleich hinsichtlich der wesentlichen Arbeitsbedingungen gewährt werden, sodass das Gesamtschutzniveau der Leiharbeitnehmer insgesamt gewahrt bleibt.

Vorliegend hätte die Klägerin – die Wahrheit des Sachvortrags der Klägerin vorausgesetzt – einen Nachteil erlitten. Sie hätte einen niedrigeren Lohn erhalten, als wenn sie unmittelbar beim Entleiher eingestellt worden wäre. Ein Ausgleichsvorteil ist aber vor allem darin zu sehen, dass die Beklagte Verleiherin der Klägerin in Zeiten zwischen den Überlassungen dennoch zur Entgeltfortzahlung verpflichtet ist. Das Tarifwerk sieht eine solche Entgeltfortzahlungspflicht ausdrücklich vor. Zudem hat der deutsche Gesetzgeber in § 11 Abs. 4 S. 2 AÜG geregelt, dass der Verleiher das Wirtschafts- und Betriebsrisiko für verleihfreie Zeiten uneingeschränkt tragen muss. § 615 S. 1 BGB, der die Annahmeverzugsvergütung regelt, kann im Leiharbeitsverhältnis nicht abbedungen werden. Weiterhin können die Tarifvertragsparteien den gesetzlichen Mindestlohn und die Lohnuntergrenzen (§ 3a AÜG) nicht unterschreiten. Letztlich ist die Möglichkeiten der Tarifvertragsparteien der Schlechterstellung der Leiharbeitnehmer hinsichtlich des Arbeitsentgelts auf die ersten neun Monate des Leiharbeitsverhältnisses beschränkt, § 8 Abs. 4 S. 1 AÜG. Durch diese Vorteile wird eine Neutralisierung der Schlechterstellung erreicht, womit insgesamt der Gesamtschutz des Leiharbeitnehmers geachtet wird.

Hinweis für die Praxis

Das BAG hat für Branche der Leiharbeitnehmer eine entscheidende Frage entschieden und sichert die Tarifautonomie auch im Bereich der Leiharbeit ab. Der hier anzuwendende Tarifvertrag von iGZ und ver.di kann damit wirksam vom Equal Pay Grundsatz des AÜG abweichen. Nach der Rechtsprechung des EuGH muss die Schlechterstellung von Leiharbeitnehmern mit Vorteilen hinsichtlich wesentlicher Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen ausgeglichen werden. Das BAG hat den Ausgleich der niedrigeren Vergütung in der gesetzlichen Übernahme des Wirtschafts- und Betriebsrisikos für verleihfreie Zeiten gesehen. Welche weiteren Vorteile noch in Betracht kommen, wird sich in Zukunft zeigen. Es ist aber z.B. an mehr Urlaubstage, längere Ruhezeiten oder Reduzierung der Arbeitszeit zu denken.

Es bleibt abzuwarten, ob das BAG diese Rechtsprechung gerade bei befristeten Leiharbeitsverhältnissen aufrechterhalten wird. Der EuGH weist in Rn. 56 seines Urteils darauf hin, dass bei befristeten Leiharbeitsverhältnissen der Vorteilsausgleich „erheblich“ sein muss, um die Schlechterstellung hinsichtlich des Entgelts zu kompensieren. Hier wird es vermehrt auf die Ausgestaltung des konkreten Einzelfalls ankommen.

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