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Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates bei agiler Arbeit („Scrum Teams“)

Das Arbeitsgericht Bonn hat mit Beschluss vom 06.10.2022 (Az. 3 BV 116/21) entschieden, dass agiles Arbeiten in Teams in Form teilautonomer Gruppenarbeit dem Mitbestimmungsrecht gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 13 BetrVG unterfällt, wenn die agile Arbeitsform von autark handlungsfähigen und selbstorganisierten Teams geprägt ist, und zwar unabhängig davon, ob dies nach Scrum oder anderen Arbeitsmethoden erfolgt.

Sachverhalt

Dem Beschluss des Arbeitsgerichts Bonn liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Die Beteiligten streiten über das Bestehen von Mitbestimmungsrechten des Betriebsrates bei der Durchführung von Gruppenarbeit im Rahmen von agiler Arbeit. So werden Arbeitnehmer, wenn sie im Rahmen von Projekteinsätzen tätig sind, innerhalb sogenannter HUBs der Arbeitgeberin eingesetzt. Innerhalb dieser Einheiten werden agil arbeitende Gruppen gebildet, die aus einem Scrum Master, Product Owner und dem Entwicklungsteam bestehen und gemeinsam das sogenannte Scrum Team bilden. Innerhalb des Scrum Teams ist der Product Owner verantwortlich für den geschäftlichen Erfolg des Produkts. Er verwaltet das sogenannte Product Backlog, eine dynamische Liste aller Anforderungen für das zu erstellende Produkt und erklärt eventuell notwendige Priorisierungen. Der Scrum Master ist für die Umsetzung der Scrum-Methode und für die Einhaltung der Regeln in der Gruppe zuständig. Er sorgt für möglichst gute Arbeitsbedingungen und unterstützt die Gruppe bei ihrer Organisation. Das Entwicklungsteam entwickelt das Produkt, ist für die technische Ausprägung und die Produktqualität verantwortlich und setzt dabei die Anforderungen aus dem sogenannten Product Backlog um.

Der Gesamtbetriebsrat hält dieses Vorgehen für mitbestimmungspflichtig, da es sich um eine Art der Gruppenarbeit im Sinne von § 87 Abs. 1 Nr. 13 BetrVG handele. Nachdem eine Einigung über den Abschluss einer Gesamtbetriebsvereinbarung hierüber nicht erzielt werden konnte, rief der Gesamtbetriebsrat die Einigungsstelle an und beantragte vor Gericht, die weitere Durchführung teilautonomer Gruppenarbeit in Form des agilen Arbeitens zu unterlassen.

Entscheidungsgründe

Das Arbeitsgericht gab den hilfsweise gestellten Anträgen des Gesamtbetriebsrates statt, soweit die einzelnen Teams der jeweiligen HUBs konkret benannt wurden. Anträge, die nur allgemein die Unterlassung von agilem Arbeiten ohne Mitbestimmung des Betriebsrates begehrte, wertete das Gericht als Globalanträge und wies diese als unbegründet ab.

Das Gericht war überzeugt, dass die in den Anträgen genannten Teams Gruppenarbeit im Sinne von § 87 Abs. 1 Nr. 13 BetrVG verrichten. Für die rechtliche Einordnung als Gruppenarbeit sei in jedem Einzelfall die konkrete Ausgestaltung der Zusammenarbeit im agilen Team und der Bedeutung des agilen Teams in der Gesamtorganisation zu prüfen. Dabei sei für die Eigenverantwortlichkeit auf die von der Gruppe zu erbringende Arbeitsleistung abzustellen, nicht auf das Arbeitsergebnis. In der Praxis komme es für die Einordnung darauf an, in welchem "Reinheitsgrad" eine agile Arbeitsmethode angewendet werde, oder ob und in welcher Weise diese mit Elementen klassischer Arbeitsmethoden vermischt würden.

Seine Entscheidung stützt das Gericht trotz des im Beschlussverfahren geltenden Untersuchungsgrundsatzes gemäß § 83 Abs. 1 ArbGG maßgeblich auf den als „rudimentär“ gewerteten Sachvortrag. Hat der Betriebsrat tatsächliche Umstände für das Bestehen eines Mitbestimmungsrechts vorgetragen, müsse der Arbeitgeber dem durch eigenen Sachvortrag entgegentreten. Unsubstantiiertes Bestreiten und eigene Wertungen genüge dieser Darlegungslast nicht.

Hinweis für die Praxis

Es ist davon auszugehen, dass – branchenabhängig – moderne Formen eigenverantwortlicher Teamarbeit weiter zunehmen werden. Bei Einführung solcher Arbeitsmethoden in Unternehmen mit Betriebsräten ist deren Beteiligung gewissenhaft zu prüfen, um unnötige Konflikte zu vermeiden.

Die Entscheidung des Arbeitsgerichts Bonn zeigt aber auch, dass es im Streitfall vor Gericht auch in Beschlussverfahren lohnt, ausreichend Sorgfalt auf den eigenen Sachvortrag zu legen. Das hatte die Arbeitgeberin im konkreten Fall versäumt.

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