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Mindestlohn statt Taschengeld für Vereinsmitglied im Yoga-Ashram

Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 25.04.2023 (Az. 9 AZR 253/22) entschieden, dass ein in einem Yoga-Ashram lebendes Vereinsmitglied Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn hat, wenn die vertragliche Verpflichtung zur Leistung von Sevadiensten als Arbeitnehmertätigkeit zu werten ist. Dem Yoga-Ashram kommt insoweit nicht der Status einer Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft zu.

Sachverhalt

Dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Der Beklagte ist ein gemeinnütziger Verein, dessen satzungsmäßiger Zweck „die Volksbildung durch die Verbreitung des Wissens, der Lehre, der Übungen und der Techniken des Yoga und verwandter Disziplinen sowie die Förderung der Religion“ ist. Zur Verwirklichung seiner Zwecke betreibt er Einrichtungen, in denen Seminare, Vorträge und andere Veranstaltungen zu Yoga und verwandten Themen durchgeführt werden. Die im Yoga-Ashram in sog. Sevaka-Gemeinschaften lebenden Vereinsmitglieder sind verpflichtet, nach Weisung ihrer Vorgesetzten Sevadienste, z.B. Tätigkeiten in Haushalt und Garten, Werbung, Buchhaltung und Yoga-Unterricht zu leisten. Der Beklagte stellt den Sevakas als Leistung zur Daseinsfürsorge Unterkunft sowie Verpflegung zur Verfügung und zahlt ein monatliches Taschengeld. Sevakas sind gesetzlich kranken-, arbeitslosen-, renten- und pflegeversichert und erhalten eine zusätzliche Altersversorgung.

Die Klägerin ist Volljuristin. Sie lebte vom 1. März 2012 bis zum 30. Juni 2020 als Sevaka bei dem Beklagten und leistete dort im Rahmen ihrer Sevazeit entsprechende Dienste. Die Klägerin hat geltend gemacht, zwischen den Parteien habe ein Arbeitsverhältnis bestanden und verlangt den gesetzlichen Mindestlohn auf der Grundlage der vertraglichen Regelarbeitszeit von 42 Wochenstunden.

Entscheidungsgründe

Mit Ihrer Revision vor dem Bundesarbeitsgericht hat die Klägerin Erfolg. Sie arbeitete bei dem Beklagten als Arbeitnehmerin und hat Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn nach § 1 Abs. 1 i.V.m. § 22 Abs. 1 Satz 1 MiLoG. Die Klägerin war vertraglich zu Sevadiensten und damit zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit i.S.v. § 611a Abs. 1 BGB verpflichtet. Es handelt sich insoweit nicht um gemeinnützige Dienste als Mitglied einer hinduistischen Ashramgemeinschaft außerhalb eines Arbeitsverhältnisses.

Der Beklagten stehen die verfassungsrechtlich gewährleisteten Selbstbestimmungsrechte einer Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft nicht zu, da es an einem hinreichenden Maß an religiöser Systembildung und Weltbedeutung fehlt. Das sehr weit gefasste Spektrum religiöser und weltanschaulicher Elemente in der Vereinssatzung lässt einen ausreichenden Zusammenhang mit der Yoga Vidya Lehre nicht erkennen.

Auch die grundgesetzlich geschützte Vereinsautonomie (Art. 9 Abs. 1 GG) erlaubt die Erbringung fremdbestimmter, weisungsgebundener Arbeitsleistung in persönlicher Abhängigkeit außerhalb eines Arbeitsverhältnisses allenfalls dann, wenn zwingende arbeitsrechtliche Schutzbestimmungen nicht umgangen werden. Zu diesen zählt u.a. eine Vergütungszusage, die den allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn garantiert, auf den Kost und Logis nicht anzurechnen sind.

Hinweis für die Praxis

Einer Beschäftigung ohne Entlohnung bzw. unterhalb des Mindestlohns sind enge Grenzen gesetzt. Das gilt erst recht, wenn eine Person über mehrere Jahre ihre gesamte Arbeitskraft einer spirituellen Gemeinschaft widmet. Sich hier auf verfassungsrechtlich gewährte Rechte der Religionsfreiheit und der Vereinsautonomie zu stützen, braucht starke Argumente, die im konkreten Fall das Bundesarbeitsgericht nicht überzeugten.

Freiwillige Dienste und ehrenamtliche Mitarbeit bleiben jedoch weiterhin möglich, ohne gleich ein Arbeitsverhältnis zu begründen, in dem der Mindestlohn verlangt werden kann. Gleichwohl tun religiöse, weltanschauliche Gemeinschaften und Einrichtungen mit anderen, insbesondere sozialen und kulturellen Zwecken gut daran, die ehrenamtliche Tätigkeit in ihren Reihen zu überprüfen.

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