christoph fingerle arbeitsrecht webp.jpg

Kündigung wegen fehlender Coronaimpfung – Verstoß gegen das Maßregelungsverbot?

Verstößt die Kündigung des Arbeitsverhältnisses einer nicht gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 geimpften medizinischen Fachangestellten zum Schutz von Patienten und der übrigen Belegschaft vor einer Infektion gegen das Maßregelungsverbot des § 612a BGB? Das Bundesarbeitsgericht hat diese Frage verneint (Urteil vom 30. März 2023 – 2 AZR 309/22).

Sachverhalt

Dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Die Klägerin arbeitete seit dem 1. Februar 2021 als medizinische Fachangestellte bei der Beklagten, die ein Krankenhaus betreibt. Die Klägerin wurde auf verschiedenen Stationen in der Patientenversorgung eingesetzt. Sie war nicht bereit, sich einer Impfung gegen SARS-CoV-2 zu unterziehen und nahm entsprechende Impfangebote ihrer Arbeitgeberin nicht wahr. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis innerhalb der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG mit Schreiben vom 22. Juli 2021 ordentlich fristgemäß zum 31. August 2021. Hiergegen hat sich die Klägerin mit ihrer Klage gewandt und insbesondere geltend gemacht, die Kündigung verstoße gegen das Maßregelungsverbot des § 612a BGB. Vor Wirksamwerden der ab dem 15. März 2022 geltenden Pflicht zur Vorlage eines Impf- oder Genesenennachweises für das Krankenhauspersonal (vgl. § 20a IfSG) sei sie nicht zu einer Impfung verpflichtet gewesen.

Die Revision der Klägerin gegen die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts hatte vor dem Zweiten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg.

Entscheidungsgründe

Nach Auffassung des BAG hatte das Berufungsgericht zutreffend angenommen, dass die Kündigung nicht gegen das Maßregelungsverbot des § 612a BGB verstößt. Es fehle an der dafür erforderlichen Kausalität zwischen der Ausübung von Rechten durch den Arbeitnehmer und der benachteiligenden Maßnahme des Arbeitgebers. Das wesentliche Motiv für die Kündigung sei nicht die Weigerung der Klägerin gewesen, sich einer Impfung gegen SARS-CoV-2 zu unterziehen, sondern der beabsichtigte Schutz der Krankenhauspatienten und der übrigen Belegschaft vor einer Infektion durch nicht geimpftes medizinisches Fachpersonal. Dabei sei es rechtlich ohne Bedeutung, dass die Kündigung vor Inkrafttreten der gesetzlichen Impfpflicht erklärt worden ist. Auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten bestünden keine Bedenken an der Wirksamkeit der Kündigung.

Hinweis für die Praxis

Die Entscheidung betrifft eine Kündigung in der Wartezeit nach dem Kündigungsschutzgesetz, sodass sich die Gerichte ausschließlich mit der Frage zu befassen hatten, ob die Kündigung aus anderen Gründen (außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes) rechtsunwirksam ist. Die Klägerin hatte sich insoweit ausdrücklich auf einen Verstoß gegen das Maßregelungsverbot nach § 612a BGB berufen. Deshalb war eine Prüfung der Kündigung nach den Maßstäben des Kündigungsschutzgesetzes nicht erforderlich. Unter der Geltung des Kündigungsschutzgesetzes hätte arbeitsgerichtlich – wie beispielsweise in den Fällen der Kraftfahrer bei Verlust der Fahrerlaubnis – detailliert geprüft werden müssen, ob als milderes Mittel im Verhältnis zu einer Beendigungskündigung eine modifizierte Weiterbeschäftigung – gegebenenfalls für einen befristeten Zeitraum – in Betracht kommt.

Bei der Prüfung des § 612a BGB unterscheidet das Bundesarbeitsgericht vorliegend sehr fein, ob die Kündigung gerade die Reaktion des Arbeitgebers auf ein an sich erlaubtes Verhalten des Arbeitnehmers ist, oder ob sie an das Risiko, das aus diesem erlaubten Verhalten resultiert, anknüpft. Letzteres soll der Fall sein und gerade deswegen kein Verstoß gegen das Maßregelungsverbot vorliegen.

Ob diese feinsinnige Unterscheidung auch bei zukünftig anderen Fallkonstellationen des behaupteten Maßregelungsverstoßes angewandt wird, darf füglich bezweifelt werden. Sehr viel wahrscheinlicher wird auch zukünftig der Grundsatz Anwendung finden, dass die Entscheidung der Rechtsordnung, ein bestimmtes Verhalten zu erlauben, auch die bewusste Entscheidung einschließt, dass die Folgen dieses erlaubten Verhaltens akzeptiert werden bzw. zu akzeptieren sind. Es könnte sich daher bei der vorliegenden Entscheidung in der Tat um ein Judikat handeln, das der Sondersituation der Corona-Pandemie geschuldet ist.

Kontakt > mehr