Keine wirksame Druckkündigung, wenn der Arbeitgeber die Drucksituation selbst vorwerfbar herbeiführt
Die angedrohte Eigenkündigung von Mitarbeitern stellt nicht ohne Weiteres einen zur außerordentlichen Kündigung berechtigenden wichtigen Grund dar. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Arbeitgeber die Androhungen (teilweise) durch suggestive Nachfragen provoziert hat. Auch in diesem Fall muss sich die Wirksamkeit der Kündigung an den strengen Voraussetzungen der sog. „Druckkündigung“ messen lassen. Dies hat das Arbeitsgericht Nordhausen hat in seinem Urteil vom 13.07.2022 (Az. 2 Ca 199/22) entschieden.
Sachverhalt
Dem Urteil des Arbeitsgerichts Nordhausen liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Geklagt hatte die bei der beklagten Einrichtungsträgerin angestellte Leiterin einer Kindertageseinrichtung. Im September 2021 war es zu Beschwerden einiger Mitarbeiter über den Führungsstil der Klägerin gekommen. Gegenstand der Beschwerde waren unter anderem folgende Vorwürfe: Das regelmäßige Zuspätkommen, das Erledigen von privaten Dingen während der Arbeitszeit, eine von den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen verlangte starre Urlaubsplanung, an die sich die Klägerin dann jedoch selbst nicht halte, mangelnde Selbstreflexion und die Erschwerung des Abbaus eines negativen Arbeitszeitkontos. Die Beklagte initiierte sodann ein Gespräch mit dem Personalrat und der Klägerin, sowie einen Team-Workshop zur Erarbeitung einer Struktur und Regeln für die künftige Zusammenarbeit. Ein sodann angedachter Mediationstermin wurde nach einer halben Stunde abgebrochen. Die Klägerin erkrankte arbeitsunfähig und wurde von der Beklagten unter Fortzahlung der Vergütung freigestellt.
Die Beklagte entwarf im Folgenden einen Fragebogen, den sie den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen zur Beantwortung überließ. Darin wurden diese unter anderem aufgefordert, das Fehlverhalten der Klägerin zu benennen und darzulegen, ob sie sich eine weitere Zusammenarbeit mit der Klägerin vorstellen könnten. Zudem formulierte die Beklagte: „Was würde es für Sie und Ihre berufliche Zukunft bedeuten, wenn Frau Sch… (die Klägerin) erneut die Möglichkeit bekommen würde, Mängel in der Einrichtungsleitung abzustellen?“
Nach Anhörung des Personalrats zur fristlosen Kündigung und dessen Zustimmung kündigte die Beklagte der Klägerin außerordentlich fristlos, hilfsweise zum nächstmöglichen Zeitpunkt. Die Klägerin erhob Kündigungsschutzklage, mit welcher sie zugleich ihre vorläufige Weiterbeschäftigung und ein Zwischen-, hilfsweise Endzeugnis begehrte. Die Klägerin begründete ihre Klage vorwiegend damit, die Kündigung der Beklagten erfülle die strengen Voraussetzungen einer sog. „Druckkündigung“ nicht. Die Beklagte teilte mit, im Rahmen des Mediationstermins hätte der überwiegende Teil der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen Eigenkündigungen angedroht, wenn das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin fortgesetzt würde, die Beklagte sei aufgrund der Situation insbesondere aufgrund der drohenden Schäden für den Fall einer Vielzahl von Eigenkündigungen, zur Kündigung der Klägerin gezwungen gewesen.
Entscheidungsgründe
Das Arbeitsgericht gab der Klage statt. Ein „wichtiger Grund“ im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB liege nicht vor. Die Beklagte hätte weder konkrete Pflichtverletzungen nachgewiesen, die auch ohne Ausspruch einer vorherigen Abmahnung eine außerordentliche Kündigung rechtfertigten, noch verhaltens- oder personenbedingte Kündigungsgründe im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG aufgezeigt. Auch die Voraussetzungen einer sog. „echten Druckkündigung“ seien in diesem Fall nicht erfüllt. Eine solche liege vor, wenn Dritte unter Androhung von Nachteilen für den Arbeitgeber von diesem die Entlassung eines bestimmten Arbeitnehmers verlangten. Eine solche Kündigung sei an strengen Voraussetzungen zu messen. Der Arbeitgeber habe sich stets zunächst beschützend vor den gedrückten Arbeitnehmer zu stellen. Nur wenn so die Drohung nicht abgewendet werden könne und bei Verwirklichung der Drohung schwere wirtschaftliche Schäden drohten, könne die Druckkündigung sozial gerechtfertigt sein. Zu berücksichtigen sei insbesondere, inwieweit der Arbeitgeber die Drucksituation selbst in vorwerfbarer Weise herbeigeführt habe. Im vorliegenden Fall habe die Beklagte keinen Versuch unternommen, sich schützend vor die Klägerin zu stellen. Vielmehr sei das Gegenteil der Fall: Die Beklagte habe mit einem suggestiven Fragebogen, mit nicht offener Fragerichtung eine Situation geschaffen, bei der nicht auszuschließen sei, dass die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen erst durch den Fragebogen dazu motiviert wurden, ihre Eigenkündigung anzudrohen. Dies insbesondere aufgrund der Anonymität des Fragebogens. Auch die durchgeführten Supervisionen/Mediationen führten zu keinem anderen Ergebnis. Diese Maßnahmen seien alle zeitlich vor den angedrohten Eigenkündigungen erfolgt und insofern nicht mit dem geforderten „schützend vor den Arbeitnehmer stellen“ vergleichbar. Zudem sei hier eine Änderungskündigung als milderes Mittel in Betracht gekommen.
Hinweis für die Praxis
Arbeitgeber sollten die strengen Voraussetzungen einer Druckkündigung ernst nehmen. Das Urteil des Arbeitsgerichts zeigt, dass es nicht nur darauf ankommt, dass sich der Arbeitgeber zunächst schützend vor den Arbeitnehmer gestellt hat. Vielmehr wird regelmäßig zu prüfen sein, ob Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Arbeitgeber die Drucksituation selbst herbeigeführt hat. Bei Befragungen von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen im Zusammenhang mit einem Konflikt zwischen den Beschäftigten muss deshalb genau auf eine offene Fragestellung geachtet werden. Darüber hinaus gilt auch im Rahmen der Druckkündigung der Grundsatz „Ultima Ratio“, in Betracht kommende mildere Mittel sollten daher ergriffen werden, bevor es zum Ausspruch einer (fristlosen) Kündigung kommt.
11. Mai 2023