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Entstehen eines Anspruchs auf Entgeltzuschläge durch betriebliche Übung

Das LAG Sachsen hat mit Urteil vom 30.12.2022 – 1 Sa 87/22 entschieden, dass der Arbeitnehmer einer vom Betriebsübernehmer eingeführten Veränderung der Bezeichnung eines Zuschlags in den regelmäßigen Entgeltabrechnungen rechtsgeschäftlichen Erklärungswert beimessen darf.

Sachverhalt

Dem Urteil des LAG Sachsen liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Der Kläger war seit 1996 bei der J.-U.-H. e. V. als Rettungssanitäter in 12-Stunden-Diensten beschäftigt, wobei für das Arbeitsverhältnis die Arbeitsvertragsrichtlinien des D. Werkes der evangelischen Kirche in Deutschland (AVR) in der jeweils gültigen Fassung galten.

Nachdem das Arbeitsverhältnis im Wege des Betriebsübergangs auf die ASB … gGmbH übergegangen ist, zahlte diese dem Kläger seit 2010 für die elfte und zwölfte Stunde des Dienstes einen Zuschlag in Höhe von 65% des Überstundensatzes, den sie in den Lohn-/Gehaltsabrechnungen als „Bereitschaft AVR“ auswies.

Als das Arbeitsverhältnis zum 01.01.2015 durch einen weiteren Betriebsübergang auf die Beklagte überging, zahlte diese den Lohnzuschlag für die elfte und zwölfte Stunde der Dienste unverändert weiter, wobei sie den Zuschlag nunmehr jeweils im Folgemonat für den vorausgegangenen Monat abrechnete und in den Entgeltabrechnungen unter dem Abschnitt „Zeitbezüge:“ jeweils als „Bereitschaftszuschlag 65%“ auswies. Ab Februar 2021 stellte die Beklagte die Zahlung des Zuschlags für die elfte und zwölfte Stunde ein. Sie ist der Auffassung, dass der Kläger keinen Bereitschaftsdienst geleistet habe, sondern in seine Arbeitszeit in erheblichem Umfang Arbeitsbereitschaft falle. Für Arbeitsbereitschaft sähen die Regelungen der AVR jedoch keinen Bereitschaftszuschlag vor. Die bisherigen Zahlungen der Beklagten hätten auf der (falschen) Annahme beruht, sie sei aufgrund der AVR dazu verpflichtet.

Nachdem das Arbeitsgericht die Klage auf Zahlung der Zuschläge abgewiesen hat, hatte die Berufung des Klägers vor dem Landesarbeitsgericht Erfolg.

Entscheidungsgründe

Nach Ansicht des LAG sei der Anspruch des Klägers durch konkludentes Verhalten der Parteien nach den Grundsätzen der betrieblichen Übung entstanden.

Die Beklagte habe ihre Lohnabrechnungen zwar anders gestaltet als ihre Rechtsvorgängerin ASB … gGmbH, welche in den Abrechnungen die Zuschläge mit dem Begriff „Bereitschaft AVR“ bezeichnete und damit auf die im Jahr 1996 arbeitsvertraglich zwischen Kläger und J. U. e.V. vereinbarten AVR Bezug nahm.

Der Kläger habe jedoch angesichts der veränderten Durchführung der Entgeltabrechnung und der andersartigen Mitteilung des Zahlungsgrundes sowie der ununterbrochenen Gewährung des Zuschlags seit dem Übergang des Arbeitsverhältnisses auf die Beklagte am 01.01.2015 nach Treu und Glauben davon ausgehen dürfen, die Beklagte wolle den „Bereitschaftszuschlag 65%“ als freiwillige Leistung gewähren. Denn in den Lohnabrechnungen der Beklagten werde im Gegensatz zu denjenigen der Rechtsvorgängerin nicht mehr auf die bei Beginn des Arbeitsverhältnisses vereinbarten AVR Bezug genommen. Aus seiner Perspektive habe der Kläger daher mangels Bezugnahme auf die AVR davon ausgehen können, dass die Beklagte ab 01.01.2015 Bereitschaftszuschläge in der geltend gemachten Höhe für die elfte und zwölfte Stunde der Dienste als freiwillige Leistung zahlen wollte.

Hinweise für die Praxis

Eine betriebliche Übung setzt die regelmäßige Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen des Arbeitgebers voraus, aus denen der Arbeitnehmer schließen kann, ihm solle eine Leistung oder Vergünstigung auf Dauer gewährt werden. Maßgeblich ist, wie der Arbeitnehmer als Erklärungsempfänger das Verhalten des Arbeitgebers nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung aller Begleitumstände verstehen darf (BAG, Urteil vom 13.03.2007 - 1 AZR 232/06). Unabhängig von einem subjektiven Bindungswillen des Arbeitgebers entsteht aufgrund irrtümlicher Leistung eine betriebliche Übung allerdings dann nicht, wenn der Arbeitnehmer den Irrtum erkennen konnte (BAG, Urteil vom 29.08.2012 - 10 AZR 571/11).

Da es vorliegend dem Kläger gelungen war darzulegen, dass die Beklagte aus seiner Sicht freiwillig jahrelang Zuschläge gezahlt hat, musste die Beklagte trotz ihres ursprünglichen Abrechnungsfehlers die Gehaltszuschläge aufgrund betrieblicher Übung nachzahlen.

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