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Datenerhebung bei Amazon in Winsen ist rechtmäßig

Das VG Hannover hat mit Urteil vom 09.02.2023 (10 A 6199/20) entschieden, dass das Persönlichkeitsrecht der Beschäftigten nicht die unternehmerischen Interessen von Amazon – Arbeitsschritte mittels Handscanner zu erfassen – überwiegt.

Sachverhalt

Dem Urteil liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Die Klägerin betreibt in Winsen (Luhe) ein Logistikzentrum zur Auslieferung von Waren aus dem Onlineversandhandel von Amazon (sogenanntes „Fulfillment Center“). In bestimmten Arbeitsbereichen benutzen die Beschäftigten Handscanner, mittels derer bestimmte Arbeitsschritte erfasst werden. Die Daten werden mit einer Softwareanwendung ausgewertet und dienen in erster Linie der Steuerung logistischer Prozesse. Daneben werden mit den Daten auch Bewertungsgrundlagen für Qualifizierungsmaßnahmen sowie für Feedback und Personalentscheidungen gelegt.

Wegen dieser Vorgehensweise leitete die Beklagte ein datenschutzrechtliches Kontrollverfahren gegen die Klägerin ein mit dem Ergebnis, dass sie der Klägerin mit Bescheid von Oktober 2020 untersagte, aktuelle und minutengenaue Quantitäts- und Qualitätsdaten ihrer Beschäftigten ununterbrochen zu erheben und diese zur Erstellung von Quantitäts- und Qualitätsleistungsprofilen sowie für Feedbackgespräche und Prozessanalysen zu nutzen, da dies rechtswidrig sei und gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen verstoße.

Hiergegen wendete sich die Klägerin mit ihrer Klage. Zur Begründung trug sie unter anderem vor, sie verstoße nicht gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen. Vielmehr habe sie ein berechtigtes Interesse an der Datenerhebung und Datenverarbeitung. So würden aktuelle und minutengenaue individuelle Leistungswerte bei der Steuerung der Logistikprozesse kurzfristig dazu benötigt, um auf Schwankungen in einzelnen Prozesspfaden durch Verschiebungen reagieren zu können. Anhand der aktuellen Leistungswerte der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter könne sie erkennen, ob Mitarbeitende an einem bestimmten Tag besonders schnell oder besonders langsam arbeiteten und hierauf durch Umverteilung reagieren. Mittelfristig würden zurückliegende individuelle Leistungswerte benötigt, um die konstanten Stärken und Schwächen der Mitarbeitenden zuverlässig erfassen und bei der flexiblen Einsatzplanung berücksichtigen zu können. Zudem ermögliche diese Vorgehensweise die Schaffung objektiver und fairer Bewertungsgrundlagen für Feedback und Personalentscheidungen. Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern könne objektives und individuell leistungsbezogenes Feedback gegeben werden, das nicht durch subjektive Wahrnehmungen beeinflusst sei.

Entscheidungsgründe

Das Gericht hat der Klage stattgegeben und den angefochtenen Bescheid der Beklagten aufgehoben. Es sieht in der ununterbrochenen Erhebung von Leistungsdaten der Beschäftigten keinen Verstoß gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen. In Deutschland gebe es (noch) kein Gesetz zur Regelung des Beschäftigtendatenschutzes, sodass sich der Beschäftigtendatenschutz weiterhin nach § 26 Bundesdatenschutzgesetz richte. Danach dürften personenbezogene Daten von Beschäftigten für Zwecke des Beschäftigtenverhältnisses verarbeitet werden, wenn dies für die Durchführung des Beschäftigtenverhältnisses oder die Beendigung erforderlich sei. Das Gericht ist der Auffassung, dass die Datenverarbeitung für alle drei Zwecke erforderlich ist: Hinsichtlich der Optimierung der Logistikprozesse leuchte der Kammer ohne weiteres ein, dass die Klägerin die verarbeiteten Daten dazu nutzen kann, um auf Schwankungen in einzelnen Prozesspfaden durch Verschiebungen von Beschäftigten ad hoc zu reagieren und so den reibungsfreien Ablauf aller Prozesse innerhalb des Fulfillment Centers, das auf die Auslieferung der Ware zu einem genau definierten Zeitpunkt (Cut-Off-Zeitpunkt) ausgerichtet ist, zu garantieren. Auch könne die Klägerin individualisierte Qualifizierungsbedarfe der Beschäftigten schnell detektieren und auf diese reagieren. Schließlich verschafften die erhobenen Daten eine breite und objektive Grundlage für Feedback und Personal- und Beförderungsentscheidungen.

Nach Auffassung des Gerichts steht der durch die Überwachung der Beschäftigten bedingte Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Beschäftigten nicht außer Verhältnis zu den schützenswerten Interessen der Klägerin, sodass der Eingriff auch angemessen sei.

Nach Auffassung des Gerichts geht eine Abwägung der gegenläufigen Interessen hier zu Gunsten der Klägerin aus: Es erfolge keine heimliche Datenerhebung, vielmehr können die Beschäftigten die Datenerhebung vorhersehen und wissen, dass die Klägerin die Daten für die logistischen Prozesse benötigt. Zudem finde keine Verhaltenskontrolle statt, die Kommunikation und physische Bewegungen würden nicht erfasst, vielmehr finde „nur“ eine Leistungskontrolle statt. Die Privatsphäre sei nicht betroffen. Außerdem sei der Hauptzweck der Datenerhebung nicht die Überwachung und Kontrolle der Beschäftigten, sondern die Steuerung der Logistikabläufe. Schließlich werde die Möglichkeit objektiven Feedbacks und fairer Personalentscheidungen von vielen Beschäftigten als positive Wirkung der Überwachung gewertet; dies hätten auch die Zeugen bestätigt, die deutlich gemacht hätten, dass die Überwachung kein besonderes Thema im Betrieb sei.

Hinweis für die Praxis

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht gem. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG ist ein Grundrecht, das den autonomen Bereich privater Lebensführung schützt. Dieses umfasst mehrere Fallgruppen, darunter auch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Informationelle Selbstbestimmung bedeutet, dass jeder selbst darüber entscheiden kann, welche seiner personenbezogenen Daten offengelegt und verwendet werden. Um ebendieses Recht zu schützen und Gesetzeslücken zu schließen, sollte das Bundesdatenschutzgesetz um das Gesetz zur Regelung des Beschäftigtendatenschutzes 2010 ergänzt werden. Das Gesetz zur Regelung des Beschäftigtendatenschutzes wurde zwar am 25. August 2010 beschlossen, aber nicht verabschiedet. Die Stimmen nach konkreten Regeln im Datenschutz am Arbeitsplatz aus den Reihen der Gewerkschaften wie dem Deutschen Gewerkschaftsbund werden immer lauter. Die Regierungsparteien haben entsprechende Regelungen angekündigt.

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