Kann der alleinige Gesellschafter und Geschäftsführer einer haftungsbeschränkten Unternehmergesellschaft (UG) aufgrund von Vertragsverhältnissen zwischen Dritten und der UG in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis stehen?
Nach Auffassung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 20. Juli 2023 – B 12 BA 1/23 R) kann auch der alleinige Gesellschafter und Geschäftsführer einer Unternehmergesellschaft dann abhängig und damit sozialversicherungspflichtig beschäftigt sein, wenn er tatsächlich aufgrund einer Vereinbarung zwischen der Unternehmergesellschaft und dritten Vertragspartnern bei diesen in die betriebliche Organisation eingegliedert ist.
Sachverhalt
Der Kläger ist ausgebildeter Krankenpfleger sowie alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer der beigeladenen haftungsbeschränkten Unternehmergesellschaft (UG). Unternehmensgegenstand ist unter anderem die selbstständige Erbringung von Pflegedienstleistungen im ambulanten und stationären Bereich. Eine Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung besitzt die UG nicht. Für die Tätigkeit als Geschäftsführer sieht der vom Kläger und der UG abgeschlossene Anstellungsvertrag ein monatliches Bruttogehalt von 500 Euro und eine Tantieme von 15 % des Jahresgewinns vor. Für konkrete Einsatzzeiträume im Jahr 2017 schloss die UG als "Auftragnehmer" mit der zu beigeladenen Trägerin eines Krankenhauses als "Auftraggeber" Dienstleistungsverträge über die eigenverantwortliche Planung, Durchführung, Dokumentation und Überprüfung von häuslicher/stationärer Kranken-/Altenpflege. Vereinbart war der Einsatz fachlich geeigneter und qualifizierter Personen zu einem Stundenhonorar von 36 Euro, ein außerordentliches Kündigungsrecht der UG bei Verhinderung des eigenen Personals und eine Weisungsfreiheit bei Durchführung der übertragenen Tätigkeiten. Während der vertraglich vereinbarten Einsatzzeiten war der Kläger die einzige ausgebildete Pflegefachkraft der UG; er wurde für die Krankenhausträgerin auf einer ihrer Krankenhausstationen tätig. Insoweit stellte die Deutsche Rentenversicherung Bund als Beklagte die Versicherungspflicht des Klägers in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung aufgrund Beschäftigung fest.
Das Sozialgericht hat die Verwaltungsentscheidung aufgehoben und festgestellt, dass der Kläger nicht versicherungspflichtig beschäftigt gewesen sei. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts aufgehoben und die Klage abgewiesen. Bei den Dienstleistungsverträgen handele es sich nicht um Scheingeschäfte. Der Kläger sei dem Weisungsrecht der beigeladenen Krankenhausträgerin unterworfen und in deren Betriebsablauf eingegliedert gewesen. Der sozialversicherungsrechtlichen Statuszuordnung stehe ein zwischen zwei juristischen Personen des Privatrechts geschlossener Dienstleistungsvertrag nicht entgegen. Mit der Überlassung des Klägers als Pflegefachkraft habe seine Organstellung als Geschäftsführer der UG geendet.
Mit ihren Revisionen rügen der Kläger und die UG die Verletzung von § 7 Absatz 1 SGB IV, § 32 SGB I, § 13 Absatz 1 und § 35 Absatz 1 GmbHG sowie Artikel 12, 14 und 20 GG. Das allein mit der UG zustande gekommene Vertragsverhältnis über die vereinbarten Pflegeleistungen sei nicht rechtsmissbräuchlich. Das Landessozialgericht habe mit seiner Auslegung ungerechtfertigt in die Berufswahl- und -ausübungsfreiheit des Klägers eingegriffen und Vermögenswerte in Gestalt der Gesellschaftsanteile entzogen. Die grundrechtsfähige UG sei gehindert, ihrem Gesellschaftszweck nachzukommen, und einer zivilrechtlichen Rückabwicklung der Dienstverhältnisse ausgesetzt. Zudem sei der Grundsatz der Rechtsklarheit sowie Rechtssicherheit und damit das Rechtsstaatsprinzip verletzt.
Die Revisionen des Klägers und der beigeladenen Unternehmergesellschaft (UG) hatten nur wegen noch fehlender Sachverhaltsklärung im Sinn der Aufhebung des Berufungsurteils und der Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landessozialgericht Erfolg.
Entscheidungsgründe
Der Kläger unterlag in seiner Tätigkeit für die beigeladene Krankenhausträgerin in den streitigen Zeiträumen aufgrund Beschäftigung der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung. Geschäftsinhalt der Vereinbarungen zwischen der UG und der Krankenhausträgerin war der weisungsgebundene Einsatz geeigneter Personen zur Krankenpflege allein im Interesse der Krankenhausträgerin und unter Eingliederung in die Organisation des Krankenhauses. Ein für eine selbstständige Werk- oder Dienstleistung erforderlicher unternehmerischer Gestaltungsspielraum kam der UG nicht zu. Verpflichtet sich eine Ein-Personen-UG gegenüber einem anderen Unternehmen vertraglich zur Erbringung von Tätigkeiten, die ihrer Art nach eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des anderen Unternehmens und eine Weisungsgebundenheit an dortige Weisungsgeber bedingen, sind ausdrückliche vertragliche Vereinbarungen zwischen dem die Tätigkeit selbst ausführenden Gesellschafter-Geschäftsführer der UG und dem anderen Unternehmen zur Begründung eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses nicht erforderlich. Vergleichbar dem Rechtsinstitut des fingierten Arbeitsverhältnisses nach § 10 Absatz 1 Satz 1 AÜG im Fall einer unwirksamen Arbeitnehmerüberlassung bestimmt sich die rechtliche Beurteilung als Beschäftigung vielmehr anhand der Vereinbarungen zwischen der UG und dem anderen Unternehmen sowie der praktischen Durchführung dieses Vertrags.
Eine erlaubte Arbeitnehmerüberlassung scheidet aus, weil die UG weder über die erforderliche Erlaubnis noch über weitere qualifizierte Arbeitskräfte zur Erfüllung der übernommenen Tätigkeit verfügte. Auf den Eintritt der Fiktion eines Arbeitsverhältnisses nach § 10 Absatz 1 Satz 1 AÜG infolge einer unerlaubten Arbeitnehmerüberlassung kommt es nicht an, weil eine Beschäftigung nach § 7 SGB IV nicht das Zustandekommen eines Arbeitsvertrags voraussetzt. Nach der im Sozialversicherungsrecht herrschenden Eingliederungstheorie genügt grundsätzlich die tatsächliche Eingliederung in eine fremde Arbeitsorganisation.
Dem Senat war allerdings mangels ausreichender Feststellungen des Landessozialgerichts zu dem vom Kläger erzielten regelmäßigen Jahresarbeitsentgelt eine abschließende Entscheidung über die Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung verwehrt.
Hinweis für die Praxis
Das Bundessozialgericht hat in einem weiteren Fall einer Pflegekraft im Krankenhaus und in einem Fall der »Dienstleistung« bei Vertrieb und Marketing am selben Tag inhaltlich gleich entschieden. Unabhängig von den Inhalten der Tätigkeit und den vertraglichen Grundlagen kommt es auf die tatsächliche Ausgestaltung an. Liegt danach eine Eingliederung in den Betrieb des Auftraggebers der juristischen Person vor, bei der in der tatsächlich Tätige in einem Vertragsverhältnis steht, ist nach dieser Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ein abhängiges und damit sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis zwischen dem Auftraggeber und dem tätigen begründet.
Die Vergleichbarkeit mit der Rechtsfolge des § 10 Absatz 1 Satz 1 AÜG hat das Gericht zwar erwähnt, ausdrücklich jedoch nicht auf dieses Argument abgestellt, weil die Feststellung des Bestehens eines Arbeitsverhältnisses den Gerichten für Arbeitssachen vorbehalten ist. Aufgrund der Formulierung in § 7 SGB IV »… nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis.« konnte das Gericht das Bestehen einer sozialrechtlichen Beschäftigung in nicht selbständige Arbeit feststellen, ohne dabei eine Entscheidung über das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses treffen zu müssen, weil nach der Formulierung des Gesetzes nicht selbständige Arbeit nicht nur in Arbeitsverhältnissen möglich ist.
Für die Beratung und Entscheidung in der personellen Praxis gilt daher unverändert, dass allein vertragliche Gestaltung eine sozialversicherungsrechtlich abhängige Beschäftigung nicht vermeiden kann, wenn und solange die praktische Durchführung der Beschäftigung unter Eingliederung in die betriebliche Organisation eines Auftraggebers erfolgt. Nicht entscheidend ist dabei, ob die vertraglichen Vereinbarungen mit dem Auftraggeber selbst, oder einer dritten Person getroffen werden.
9. August 2023