

Anforderungen an die Ausnutzung genehmigten Kapitals unter Ausschluss des Bezugsrechts
Die Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft kann den Bezugsrechtsausschluss in das pflichtgemäße Ermessen des Vorstands stellen. Dabei genügt es, wenn der Vorstand die Zwecke der Ermächtigung zur Ausnutzung des genehmigten Kapitals in einem der Hauptversammlung zugänglich zu machenden Vorstandsbericht durch eine nicht abschließende, beispielhafte Aufzählung von Ausschlussfällen benennt. Das hat der BGH entschieden (Urteil vom 23.05.2023, II ZR 141/21).
Sachverhalt
Dem Urteil des BGH liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Die Klägerin wehrte sich gegen einen Beschluss der Hauptversammlung einer börsennotierten Aktiengesellschaft. Die Beklagte hatte zu einer ordentlichen Hauptversammlung geladen, in der der Vorstand ermächtigt wurde, genehmigtes Kapital unter Bezugsrechtsausschluss auszunutzen. Der Beschluss selbst enthielt keine Aufzählung von Fällen, in denen hiervon Gebrauch gemacht werden darf. Lediglich im Vorstandsbericht, der den Gesellschaftern vor der Versammlung zugänglich gemacht wurde, wurden abstrakte Angaben zu den Zwecken, zu denen der Vorstand die Ermächtigung ausnutzen darf, gemacht. Die Klägerin wandte sich gegen den Beschluss. Sie vertrat die Auffassung, dass der Beschluss rechtswidrig sei, da er dem Vorstand die uneingeschränkte Ausnutzung des genehmigten Kapitals unter Ausschluss des Bezugsrechts gewähre.
Die Entscheidung des BGH vom 23.05.2023 (II ZR 141/21)
Der BGH wies die Revision gegen das Berufungsurteil zurück. Nach der Auffassung des BGH sei der Beschluss weder rechtswidrig noch nichtig. Nach dem klaren Gesetzeswortlaut und dem Gesetzeszweck sei es zulässig, wenn die Hauptversammlung den Ausschluss des Bezugsrechts im Rahmen eines genehmigten Kapitals ohne Einschränkung in das pflichtgemäße Ermessen des Vorstands stelle. Im vorliegenden Fall sei die nicht abschließende Aufzählung von Beispielsfällen im Vorstandsbericht daher ausreichend. Sinn und Zweck von genehmigtem Kapital sei es gerade, dass die Aktiengesellschaft in eine Lage versetzt wird, in der es ihr möglich ist, rasch, flexibel und erfolgreich sich bietende Gelegenheiten auf dem Beteiligungsmarkt wahrzunehmen. Betroffene Aktionäre stünden zudem bei einem uneingeschränkten Ermächtigungsbeschluss nicht schutzlos: Wenn der Vorstand im konkreten Fall von der Ermächtigung Gebrauch mache, müsse er prüfen, ob der Ausschluss sachlich gerechtfertigt ist. Diese Entscheidung würde darüber hinaus durch die Zustimmungspflicht des Aufsichtsrats ein weiteres Mal kontrolliert. Zuletzt stünden den Aktionären noch gerichtliche Rechtsbehelfe in Form der Unterlassungs- und Feststellungsklage bereit, um die Rechtmäßigkeit des Vorstandshandelns zu überprüfen.
Praxishinweis
Der BGH stärkt mit dem Urteil Aktiengesellschaften in ihrem Unternehmen auf dem Kapitalmarkt flexibel zu bleiben, indem er die Beschlussfassung über genehmigtes Kapital vereinfacht. Die Entscheidung des BGH bedeutet allerdings keineswegs die Schwächung von Aktionärsrechten, da die Vorstands-Entscheidung zur Ausnutzung des genehmigten Kapitals unter Ausschluss der Bezugsrechte einer sachlichen Rechtfertigung bedarf. Einzig der Zeitpunkt der sachlichen Rechtfertigung wurde verlagert: Wurde früher gefordert, dass der Beschluss die Gründe des Ausschlusses aufführen muss und in diesem Zeitpunkt die Vorstands-Entscheidung (vor-)legitimiert wurde, bedarf es nun – richtigerweise – einer sachlichen Rechtfertigung im Moment der Vorstands-Entscheidung. Für den Beschluss selbst genügt es, dass die Aktionäre auf einer ausreichenden Tatsachenbasis entscheiden können, was beispielsweise durch eine nicht abschließende Auflistung im Vorstandsbericht gewährleistet ist.
Es ist daher zu erwarten, dass sich die Praxis stark an dieser BGH-Entscheidung orientieren wird: Vorstände können nunmehr eine abstraktere Auflistung der Ausschlussfälle in ihrem Vorstandsbericht aufnehmen, solange die Hauptversammlung auf ausreichender Tatsachenbasis entscheiden kann. Die Beschlüsse selbst können auf eine umfangreiche Auflistung der Zwecke zur Ausnutzung verzichten und die Entscheidung in das pflichtgemäße Ermessen des Vorstands stellen. Wichtig bleibt allerdings, dass der Vorstand im späteren Zeitpunkt, in dem von der Ermächtigung Gebrauch gemacht wird, sorgfältig vorgeht, um innerhalb einer sachlich gerechtfertigten Entscheidung zu bleiben und Feststellungs- und/oder Unterlassungsklagen vorzubeugen.
Für die Abwägung, ob der Ausschluss gerechtfertigt ist, kann auf die bisherige Vorgehensweise zurückgegriffen werden:
- Ermittlung der Gesellschafterinteressen
- Ermittlung der Aktionärsinteressen
- Abwägung der Interessen unter Berücksichtigung der Folgen für die ausgeschlossenen Aktionäre
- Verhältnismäßigkeit von Mittel und Zweck
Da bei der Abwägung jedoch selten „schwarz/weiß“–Fälle vorliegen werden, stehen wir Ihnen sehr gerne bei dieser Entscheidung sowie bei allen anderen erforderlichen Schritten im Rahmen eines genehmigten Kapitals zur Verfügung, damit auch Sie schon bald wieder flexibel und schnell auf dem Kapitalmarkt agieren können.
5. Oktober 2023