Morton Douglas WebHanne bongers gehlert wettbewerbs und kartellrecht.jpg

BGH verbietet Apotheken-Gewinnspiele in letzter Instanz

Mit seinen nunmehr veröffentlichten Urteilsgründen hat der BGH seine Entscheidung vom 18. November 2021 begründet, wonach die Werbung mit der Veranstaltung eines Gewinnspiels zur Förderung des Verkaufs von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln unzulässig ist. Damit ist der Rechtsstreit, in dem auch der EuGH angerufen worden war, zum Abschluss gekommen.

Hintergrund: HWG und individuelle Patientenberatung vor Ort

Ausgangspunkt des Verfahrens war eine Gewinnspielwerbung der in den Niederlanden ansässigen Versandapotheke DocMorris. Diese lobte gegenüber ihren Kunden, die eine Verschreibung einlösen, die Verlosung diverser Preise, einschließlich eines E-Bikes, aus. Die Apothekerkammer Nordrhein sah in diesem Gewinnspiel eine unzulässige Zugabe nach § 7 HWG. Dieser Auffassung war in zweiter Instanz das OLG Frankfurt gefolgt, da durch die Auslobung des Gewinnspiels die Verbraucher unsachlich beeinflusst werden. Die Teilnahmemöglichkeit an einem Gewinnspiel löse einen Anreiz aus, der dem Schutzzweck des § 7 Abs. 1 HWG zuwiderläuft. Das Zuwendungsverbot solle eine mittelbare Gesundheitsgefährdung vermeiden und in erster Linie verhindern, dass die Kunden bei der Entscheidung, ob und welche Heilmittel sie in Anspruch nehmen, unsachlich beeinflusst werden. Zwar könnte man argumentieren, dass es darum vorliegend nicht gehe, weil das fragliche Arzneimittel bereits verordnet und ein Arzneimittelfehlgebrauch durch Beeinflussung des Arztes nicht zu befürchten ist. Es bestehe jedoch die naheliegende Möglichkeit, dass der Patient sein Rezept bei der Beklagten vorlegt anstatt bei einer anderen Apotheke, insbesondere bei einer stationären Apotheke. Insoweit berief sich das OLG auf die Entscheidung „DocMorris/Deutsche Parkinsonvereinigung“ des EuGH, der ausgeführt hatte, dass Versandapotheken im Gegensatz zu stationären Apotheken nicht in der Lage seien, Patienten durch ihr Personal vor Ort individuell zu beraten, sondern ein eingeschränktes Leistungsangebot haben. Die Versandapotheke könne nur telefonisch und auf ausdrückliche Nachfrage beraten. Da es aber für den Kunden bedeutsam sein könne, auch bei Einlösung eines Rezepts unaufgefordert beraten zu werden – beispielsweise im Hinblick auf Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten – sei die Entscheidung für eine stationäre Apotheke oder eine Versandapotheke gesundheitsrelevant und dürfe nicht beeinflusst werden.

EuGH-Entscheidung: nationales Gewinnspiel-Werbeverbot für Versandapotheken zulässig

Im Anschluss an die zugelassene Revision hatte auf Vorlage des BGH zunächst der EuGH in seinem Urteil vom 15. Juli 2021 entschieden, dass ein nationales Werbeverbot für Versandapotheken mit Blick auf Gewinnspiele zulässig ist. Es stehe dem nationalen Gesetzgebern frei, die Verkaufsmodalitäten von Apotheken bei der Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel selbst zu regeln. Insoweit stünden europäische Rechtsakte, wie der Gemeinschaftskodex für Humanarzneimittel, einer solchen Regelung nicht entgegen. Der EuGH hatte zudem ausgeführt, dass einem entsprechenden Verbot auch nicht die Grundfreiheiten des AEUV Vertrages entgegenstünden. Da die Maßnahme im Wesentlichen den Absatz von Waren beträfe, müsse sie sich an der Warenverkehrsfreiheit messen lassen. Unter Berücksichtigung der ständigen Rechtsprechung handele es sich aber bei einem derartigen Verbot lediglich um eine Verkaufsmodalität, die nicht geeignet sei, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu behindern, da die Regelung für alle Apotheken gelte, die in Deutschland verschreibungspflichtige Arzneimittel anbieten.

Finale Klarstellung durch BGH: Gewinnspiel-Werbeverbot im Sinne des Patientenwohls

Daran anschließend hat der BGH nun seinerseits klargestellt, dass die Regelung des § 7 Abs. 1 HWG auch dann Anwendung finde, wenn eine Werbung nicht auf ein bestimmtes Arzneimittel abziele, sondern auf das gesamte Sortiment verschreibungspflichtiger Arzneimittel, das von einer Apotheke angeboten werde. Dies gelte unabhängig davon, ob eine solche Werbung dem europäischen Recht unterliegt, so dass im Ergebnis der Anwendungsbereich des § 7 Abs. 1 HWG deutlich breiter ist als der des europäischen Rechts. Sodann hat der BGH hervorgehoben, dass zwar in Fällen, in denen der Arzt ein Arzneimittel verschrieben habe, davon ausgegangen werden könne, dass der Arzt den Patienten im Hinblick auf dieses Arzneimittel beraten habe und ihn insbesondere über Risiken und Nebenwirkungen aufgeklärt habe. Dies bedeute jedoch nicht, dass in jedem Fall eine zweite unaufgeforderte Beratung durch einen Apotheker entbehrlich sei. Vielmehr habe der Apotheker bei der Abgabe von Arzneimitteln an einen Patienten nach § 20 ApoBetrO durch Nachfrage festzustellen, inwieweit der Patient gegebenenfalls weiteren Information und Beratungsbedarf habe. Der Verzicht auf ein solches Beratungsangebot könne für einen Patienten objektiv betrachtet unvernünftig sein, wenn durch die vorherige Beratungsfragen offengeblieben sein. Vor diesem Hintergrund solle die Entscheidung des Patienten für den Bezug eines verschreibungswichtigen Arzneimittels bei einer in- oder ausländischen Versandapotheke statt bei einer stationären Apotheke, die eine objektiv benötigte Beratung leisten könne nicht durch aleatorische Reize beeinflusst werden.

Darüber hinaus verstoße die Gestaltung auch gegen das Arzneimittelpreisrecht. Denn insoweit seien die Bestimmungen des Arzneimittelpreisrechts auch dann verletzt, wenn für das preisgebundene Arzneimittel zwar der korrekte Preis angesetzt wird, dem Kunden aber gekoppelt mit dem Erwerb des Arzneimittels Vorteile gewährt werden, die den Erwerb für ihn wirtschaftlich günstiger erscheinen lassen. Dies sei auch bei der Auslobung eines Gewinnspiels der Fall. Ein solches Verbot stehe keiner früheren Entscheidung des EuGH entgegen, da es sich nicht um ein absolutes Verbot eines Preiswettbewerbs handele.

Fazit: Stärkung des Verbraucherschutzes und Schutz vor Trivialisierung von Arzneimitteln

Der BGH hat mit seiner Entscheidung den Anwendungsbereich des § 7 Abs. 1 HWG geklärt und damit den Schutz der Verbraucher gestärkt. Erfreulich ist dabei, dass die Beratungspflicht durch die Apotheke zum Anknüpfungspunkt der unsachlichen Beeinflussung gemacht wurde. Aufgrund der vielfältigen Wirkungen und Wechselwirkungen von Arzneimitteln kommt dieser Beratungspflicht eine grundlegende Bedeutung zu, sodass Apotheken im Wettbewerb um Kunden diese nicht durch das Inaussichtstellen von Vorteilen davon abhalten lassen sollen, eine solche Beratung in Anspruch zu nehmen. Dabei hat der BGH zutreffend erkannt, dass der einzelne Patient gar nicht in der Lage ist, zu beurteilen, ob Beratungsbedarf besteht oder nicht. Auch, wenn sich niemand eine Beratung aufzwingen lassen muss,  besteht  die grundsätzliche Pflicht, zu prüfen, ob Besonderheiten der Arzneimitteltherapie im Einzelfall eine zusätzliche Berücksichtigung erfordern, die bisher weder von Seiten des Arztes noch des Patienten selbst in den Blick genommen worden war.

Nachdem der EuGH mit seiner Entscheidung die Autonomie der Mitgliedstaaten im sensiblen Bereich des Arzneimittelvertriebs gestärkt hatte, schließt der BGH hieran nun mit einer Stärkung des Schutzes der Patienten vor unsachlicher Beeinflussung an. Die Apothekerkammer Nordrhein begrüßt ausdrücklich die Entscheidung, da sie den Blick auf die Komplexität der Arzneimittelversorgung und damit verbunden den Leistungen der Apotheken in Deutschland lenkt. Gleichzeitig wird durch diese Entscheidung der Trivialisierung der Arzneimittel entgegengewirkt. Es bleibt abzuwarten, welche Maßnahmen aus Sicht der Rechtsprechung geeignet sind, die Verbraucher unsachlich zu beeinflussen.

Die Apothekerkammer Nordrhein ließ sich auch vor dem EuGH von ihren Stammberatern Dr. Morton Douglas und Dr. Anne Bongers-Gehlert (beide Wettbewerbsrecht, Apothekenrecht) vertreten, mit denen sie seit vielen Jahren Grundsatzverfahren im deutschen Apothekenrecht führt.

Kontakt > mehr