Dr. Christoph Fingerle, Fachanwalt für Arbeitsrecht

Urlaub während häuslicher Quarantäne?

Hat ein selbst nicht erkrankter Arbeitnehmer, der während der Zeit eines bereits genehmigten Urlaubs eine behördlich angeordnete häusliche Quarantäne einzuhalten hat, Anspruch auf Nachgewährung des Urlaubs? Das Bundesarbeitsgericht hat diese Frage in einem Vorabentscheidungsersuchen dem Gerichtshof der Europäischen Union vorgelegt.

Sachverhalt

Dem Beschluss des Bundesarbeitsgerichts liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Der Kläger ist seit 1993 bei der Beklagten als Schlosser beschäftigt. Auf seinen Antrag bewilligte ihm die Beklagte acht Tage Erholungsurlaub für die Zeit vom 12. bis zum 21. Oktober 2020. Mit Bescheid vom 14. Oktober 2020 ordnete die Stadt Hagen die Absonderung des Klägers in häusliche Quarantäne für die Zeit vom 9. bis zum 21. Oktober 2020 an, weil er zu einer mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 infizierten Person Kontakt hatte. Für die Zeit der Quarantäne war es dem Kläger untersagt, seine Wohnung ohne ausdrückliche Zustimmung des Gesundheitsamts zu verlassen und Besuch von haushaltsfremden Personen zu empfangen. Die Beklagte belastete das Urlaubskonto des Klägers mit acht Tagen und zahlte ihm das Urlaubsentgelt.

Der Kläger hat die auf Wiedergutschrift der Urlaubstage auf seinem Urlaubskonto gerichtete Klage darauf gestützt, es sei ihm nicht möglich gewesen, seinen Urlaub selbstbestimmt zu gestalten. Die Situation bei einer Quarantäneanordnung sei der infolge einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit vergleichbar. Der Arbeitgeber müsse ihm deshalb entsprechend § 9 BUrlG, dem zufolge ärztlich attestierte Krankheitszeiten während des Urlaubs nicht auf den Jahresurlaub angerechnet werden dürfen, nachgewähren.

Das Landesarbeitsgericht ist dieser Auffassung gefolgt und hat der Klage stattgegeben.

Entscheidungsgründe

Für den Neunten Senat des Bundesarbeitsgerichts ist es entscheidungserheblich, ob es mit Art. 7 der Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG und Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union im Einklang steht, wenn vom Arbeitnehmer beantragter und vom Arbeitgeber bewilligter Jahresurlaub, der sich mit einer nach Urlaubsbewilligung durch die zuständige Behörde angeordneten häuslichen Quarantäne zeitlich überschneidet, nach nationalem Recht nicht nachzugewähren ist, weil der betroffene Arbeitnehmer selbst nicht krank war.

Hinweis für die Praxis

Das Bundesarbeitsgericht ist also der Auffassung, dass nach deutschem Urlaubsrecht abschließend nur unter der Voraussetzung, dass der Arbeitnehmer während des Urlaubs erkrankt, diese Krankheitstage nicht auf den bereits erteilten Urlaub angerechnet werden (§ 9 BurlG). Dies könne über den eindeutigen Wortlaut hinaus richterrechtlich nicht auf andere Sachverhalte erstreckt werden. Ein anderes Ergebnis könnte nur dann eintreten, wenn die nationale gesetzliche Regelung gegen Primärrecht der Europäischen Union verstoßen würde. Diese Frage konnte das Bundesarbeitsgericht jedoch nicht selbst beantworten, dies ist dem europäischen Gerichtshof vorbehalten.

In der Praxis ist daher jedenfalls bis zu einer Entscheidung des europäischen Gerichtshofs davon auszugehen, dass die nationale deutsche Regelung rechtswirksam ist, daher Quarantänetage während eines bereits genehmigten Urlaubs nicht nachzugewähren sind.

Letztlich wird hier über die Frage entschieden, wer die finanziellen Folgen einer behördlich angeordneten Quarantäne, während derer keine Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit vorliegt, zu tragen hat. Wird der Urlaub nämlich verbraucht, behält der Arbeitnehmer auch das gezahlte Urlaubsentgelt. In diesem Fall tritt kein Verdienstausfall ein, sodass auch kein Entschädigungsanspruch nach § 56 Infektionsschutzgesetz besteht. Ausgehend davon, dass bei einer Quarantänedauer von 13 Kalendertagen auch kein Entgeltanspruch nach § 616 BGB besteht, mangels vorliegender Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit auch kein Entgeltfortzahlungsanspruch, bliebe letztlich der Arbeitnehmer finanziell belastet. Wäre der Urlaub nicht bereits erteilt gewesen und hätte der Kläger – als Schlosser – auch nicht zeitweise während der Quarantäne aus dem Homeoffice arbeiten können, wäre im Verhältnis zum Arbeitgeber ein Verdienstausfall entstanden und hätte der Arbeitnehmer einen Entschädigungsanspruch nach § 56 Infektionsschutzgesetz.

Kontakt > mehr