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Update Lebensmittelrecht zum Internetpranger

Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat mit Datum vom 04.11.2022 – Az.: 20 CE 22.2069 – eine Informationsveröffentlichung im Internet („Internetpranger“) nach § 40 Abs. 1a Satz 1 LFGB wegen einer überlangen Verfahrensdauer zurückgewiesen. Die Entscheidung finden Sie hier.

Zum Sachverhalt

Der Internetpranger des § 40 Abs. 1a Satz 1 LFGB beschäftigt nach wie vor sehr zahlreich die Verwaltungsgerichte, da sich Unternehmen gegen geplante Informationsveröffentlichungen im Internet (der sog. „Internetpranger“) im Wege des Eilrechtsschutzes nach § 123 VwGO zur Wehr setzen. Das antragstellende Lebensmittelunternehmen war im hier in Rede stehenden Fall erfolgreich. Streitgegenständlich war die Veröffentlichung einer Information über das Inverkehrbringen von verschimmeltem Käse in einem Hofladen, der im Wege von zwei Untersuchungsbefunden als zum Verzehr nicht geeignet und damit als nicht sicher im Sinne von Artikel 14 Abs. 2 Buchst. b) i.V.m. Artikel 5 Verordnung (EG) Nr. 178/2002 beurteilt wurde.

Zwischen der ersten Feststellung eines lebensmittelrechtlichen Verstoßes und der endgültigen Ankündigung der Behörde, die streitgegenständliche Information zu veröffentlichen, lag ein Zeitraum von knapp 3 Monaten. Die Verfahrensdauer im vorläufigen Rechtsschutzverfahren vor dem angerufenen Verwaltungsgericht betrug 7 Monate. Der VGH München entschied, dass die Informationsveröffentlichung damit nicht mehr unverzüglich erfolgt.

Zur Entscheidung

Nach § 40 Abs. 1a Nr. 3 LFGB informiert die Behörde die Öffentlichkeit unverzüglich unter Nennung der Bezeichnung des Lebensmittels oder Futtermittels sowie unter Nennung des Lebensmittel- oder Futtermittelunternehmens, unter dessen Name oder Firma das Lebensmittel oder Futtermittel hergestellt oder behandelt oder in den Verkehr gelangt ist, wenn der durch Tatsachen, im Fall von Proben nach § 38 Abs. 2a Satz 2 LFGB auf der Grundlage von zwei Untersuchungen durch eine Stelle nach Artikel 37 Abs. 4 Buchst. e der Verordnung (EU) 2017/625, hinreichend begründete Verdacht besteht, dass gegen sonstige Vorschriften im Anwendungsbereich dieses Gesetzes, die dem Schutz der Endverbraucher vor Gesundheitsgefährdung oder vor Täuschung oder der Einhaltung hygienischer Anforderungen dienen, in nicht nur unerheblichem Ausmaß oder wiederholt verstoßen worden ist und die Verhängung eines Bußgeldes von mindestens 350 Euro oder eine Sanktionierung wegen einer Straftat zu erwarten ist und deswegen gemäß § 41 OWiG eine Abgabe an Staatsanwaltschaft erfolgt ist.

Der VGH München entschied zugunsten des betroffenen Lebensmittelunternehmens, dass die beabsichtigte Veröffentlichung nicht mehr unverzüglich erfolgen könne. Sie sei darüber hinaus unverhältnismäßig, weil zwischen den lebensmittelrechtlichen Verstößen und der beabsichtigten Veröffentlichung ein überlanger Zeitraum liege. Der Zweck der Verbraucherinformation könne, wenn überhaupt, nur in geringem Maße erreicht werden und führe deshalb zu einer unangemessenen Grundrechtsbeeinträchtigung des Antragstellers. Das Tatbestandsmerkmal „unverzüglich“ habe bereits zum Zeitpunkt des Abschlusses des behördlichen Verfahrens nicht mehr vorgelegen. Zwar könne ein konkreter Zeitraum, in welchen Ermittlungsmaßnahmen abgeschlossen sein müssen, in Anbetracht der unterschiedlichen lebensmittelrechtlichen Fallgestaltungen nicht genannt werden. Zur Bestimmung eines angemessenen Zeitkorridors könne allerdings die Wertung des § 5 Abs. 2 VIG herangezogen werden. Hiernach habe die Behörde über einen Auskunftsanspruch binnen eines bzw. zwei Monaten zu entscheiden. Auch wenn der Begriff „unverzüglich“ nahelege, auf die Legaldefinition des § 121 BGB („ohne schuldhaftes Zögern“), also auf ein subjektives, vorwerfbares Verhalten anzuknüpfen, verdeutliche die Entstehungsgeschichte der Norm und die Gesetzesbegründung, dass es sich bei dem Begriff „unverzüglich“ nicht um eine nach subjektiven, sondern um eine nach objektiven Kriterien zu bemessende Zeitspanne zwischen dem festgestellten Verstoß und seiner Veröffentlichung handele. Der VGH München führt auf, wann eine Verzögerung auf sachlichen Gründen beruhen kann. Hierunter fallen:

  • Der Zeitraum für die Ermittlung des zur Veröffentlichung bestimmten Sachverhalts,
  • Der Zeitraum für die Gewährleistung der Verfahrensrechte des Betroffenen in angemessenem Umfang,
  • Die Dauer eines gerichtlichen Eilrechtsschutzverfahrens.

Auf die Frage der Vorwerfbarkeit der Verzögerung auf Seiten der zuständigen Behörde kommt es nach Ansicht des VGH München nicht an. Gleiches gilt für zeitliche Verzögerungen, die auf Umstände zurückzuführen sind, die nicht der Sphäre der Behörde, sondern derjenigen des Lebensmittelunternehmers zuzurechnen sind.

Der VGH München entschied, dass der Behörde spätestens nach Ablauf der im Rahmen der ersten Anhörung zur beabsichtigten Veröffentlichung eingeräumten Frist zur Stellungnahme eine Informationsveröffentlichung möglich gewesen sei. Die Einbeziehung des Ergebnisses der weiteren Probenentnahme habe zu einem zu langen Zuwarten geführt und begegne im Hinblick auf die zu schützenden Verbraucherinteressen bereits rechtlichen Bedenken, weil es sich nicht um einen neuen, sondern um den gleichen Verstoß gehandelt habe. Hinzu trete eine überlange Dauer des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens vor dem Verwaltungsgericht. Zwar könne dies der Behörde nicht zugerechnet werden. Die 7-monatige Verfahrensdauer vor dem Verwaltungsgericht habe aber dazu geführt, dass der Zweck der Veröffentlichung, die Verbraucher über die lebensmittelrechtlichen Verstöße aktuell zu informieren, nicht mehr hätte erreicht werden können. Daher sei der Eingriff in die Grundrechte des Antragstellers nicht mehr gerechtfertigt.

Ausblick

Der Beschluss des VGH München ist aus zwei Gründen bemerkenswert. Zum einen schließt sich der VGH München ausdrücklich nicht der Entscheidung des VGH Mannheim vom 09.11.2020 – 9 S 2421/20 an, in der das Tatbestandsmerkmal „unverzüglich“ in Anlehnung an die Legaldefinition in § 121 BGB subjektiv als Handeln „ohne schuldhaftes Zögern“ ausgelegt wurde. Zum anderen hat der VGH München mit der Bezugnahme auf § 5 Abs. 2 VIG eine zeitliche Benchmark vorgelegt. Dies dürfte zu einer deutlichen Beschleunigung der Verfahren führen.

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