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Trotz Systemkrise kein Freifahrtschein für Mietkürzung im Lockdown

Einer pauschalen Kürzung der Miete wegen des Corona-Lockdowns erteilte der BGH in seinem Urteil vom 12.01.2022 (XII ZR 8/21) eine Absage. Gewerbemieter müssen auch während des Lockdowns grundsätzlich die volle Miete zahlen. Eine Mietkürzung wegen Störung der Geschäftsgrundlage kommt nur dann in Betracht, wenn der Mieter seine Vermögensverhältnisse offenbart.

Vorgeschichte: Zwei Gerichte, drei Meinungen …

Der vom BGH entschiedene Fall drehte sich um eine Filiale des Textil-Discounters Kik, die im Frühjahr 2020 während des ersten Corona-Lockdowns auf staatliche Anordnung hin schließen musste. Die Vorinstanzen sahen die Sache unterschiedlich: Das erstinstanzlich zuständige Landgericht Chemnitz verurteilte den Mieter zur Zahlung der vollen Miete. Das OLG Dresden hingegen entschied in zweiter Instanz, die Kaltmiete sei während der Zeit der Schließung pauschal zu halbieren (OLG Dresden, Urteil vom 24.02.2021 – 7 U 109/20). Es meinte, die aufgrund der COVID 19-Pandemie entstandene Systemkrise habe keine der Vertragsparteien vorhersehen können. Demzufolge sei es angemessen, die damit verbundene Belastung gleichmäßig auf beide Parteien zu verteilen. Mit dieser Ansicht stellte sich das OLG Dresden anderen Obergerichten entgegen, die eine Störung der Geschäftsgrundlage nur in Einzelfällen annehmen wollten.

BGH bleibt sich treu: Staatliche Schließung ist kein Mietmangel

Der BGH hebt in seinem Urteil vom 12.01.2022 deutlich hervor, dass ein Mieter auch in Zeiten staatlich angeordneter Schließungen grundsätzlich die volle Miete zahlen muss. Soweit im Mietvertrag nicht von der gesetzlichen Risikoverteilung abgewichen wird, stellt eine staatliche Schließung der Mieträume nach Ansicht des Senats keinen Mietmangel dar, denn die Schließung beeinflusst weder Beschaffenheit noch Zustand oder Lage des Mietobjekts. Sie betrifft damit den Risikobereich des Mieters. Er trägt das Verwendungsrisiko bezüglich der Mietsache, worunter vor allem das Risiko fällt, mit dem Mietobjekt Gewinne erzielen zu können. Erfüllt sich die Gewinnerwartung des Mieters aufgrund eines nachträglich eintretenden Umstandes nicht, so verwirklicht sich damit ein typisches Risiko des gewerblichen Mieters – und zwar auch in denjenigen Fällen, in denen eine Beeinträchtigung des Gewerbebetriebs des Mieters aufgrund nachträglicher gesetzgeberischer oder behördlicher Maßnahmen eintritt (vgl. Rn. 31).

Weil auch keine Unmöglichkeit der Leistung vorliegt, schuldet der Mieter damit grundsätzlich die volle Miete auch während einer staatlich angeordneten Schließung seiner Räume. Insoweit blieb der BGH auf seinem vor der Corona-Krise eingeschlagenen, dogmatisch sauber hergeleiteten Kurs (vgl. hierzu das BGH-Urteil vom 13.07.2011 – XII ZR 189/09).

Aber: Anpassung der Miete wegen Störung der Geschäftsgrundlage möglich

Im Einzelfall soll nach Ansicht des BGH bei coronabedingten staatlichen Schließungen allerdings eine Anpassung der Miete aufgrund einer Störung der Geschäftsgrundlage in Betracht kommen. Ähnlich wie die Vorinstanz erklärt der BGH, die vielfältigen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID 19-Pandemie hätten zu einer Störung der sogenannten großen Geschäftsgrundlage geführt, d.h. der Erwartung der vertragschließenden Parteien, dass sich die grundlegenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen nicht ändern und die Sozialexistenz nicht erschüttert wird (Rn. 45). Durch die COVID-19-Pandemie habe sich ein allgemeines Lebensrisiko verwirklicht, das von der mietvertraglichen Risikoverteilung ohne eine entsprechende vertragliche Regelung nicht erfasst werde. Diese Systemkrise habe zu einer Störung der großen Geschäftsgrundlage geführt, das damit verbundene Risiko könne regelmäßig keiner Vertragspartei allein zugewiesen werden (vgl. Rn. 55).

Existenzbedrohliche Lage des Mieters nicht erforderlich

Fast schon beiläufig stellt der Senat fest, eine Kürzung der Miete hänge nicht davon ab, dass die Störung der Geschäftsgrundlage zu einer existenzbedrohlichen Lage des Mieters geführt hat. Dies sah der (hier nicht zuständige) VIII. Senat des BGH vor gar nicht allzu langer Zeit in einem Urteil vom 20.12.2004 (VIII ZR 41/04) noch anders. Die Abkehr von einer zwingend existenzbedrohlichen Lage ist zu begrüßen, denn ob eine Existenzbedrohung besteht oder nicht, hängt nicht unbedingt von der Betriebsschließung ab, sondern vielmehr davon, ob der Mieter im Zeitraum vor der Schließung finanzielle Reserven aufbauen konnte. Mieter, die im Zeitraum vor der Schließung vorausschauend gewirtschaftet haben und deshalb durch die Schließung nicht in ihrer Existenz bedroht sind, wären also gegenüber anderen benachteiligt, die vor der Schließung keine finanziellen Reserven aufgebaut haben.

Mieter muss Vermögensverhältnisse offenbaren

Will der Mieter eine Anpassung der Miete durchsetzen, so muss er dazu allerdings seine Vermögensverhältnisse offenbaren und insbesondere folgende Umstände darlegen:

  • Nachteile aufgrund der Schließung (bezogen auf konkretes Mietobjekt)
  • Zumutbare Anstrengungen zum Ausgleich drohender Verluste
  • Erhalt staatlicher Kompensationsleistungen (keine Darlehen!)
  • Erhalt von Kompensationsleistungen Dritter (Betriebsschließungsversicherungen etc.)

Dass der Mieter diese Umstände darlegen muss, erscheint konsequent. Die Störung der Geschäftsgrundlage soll nur in Ausnahmefällen zu Vertragsanpassungen führen. Sie soll keinen Automatismus begründen. An diesem Punkt bleibt der BGH seiner bisherigen Rechtsprechung treu.

Ergebnis sachgerecht, aber Begründung wirft Fragen auf

Im Ergebnis erscheint die Entscheidung durchaus sachgerecht. Der vom OLG Dresden vertretenen Ansicht, Schließungen während der COVID 19-Pandemie rechtfertigten eine pauschale Kürzung der Miete um die Hälfte, erteilte der BGH eine Absage. Die Karlsruher Richter hoben hervor, dass auch während der Corona-Krise eine Mietkürzung kein Automatismus ist, sondern eine Einzelfallentscheidung.

Die Begründung des Senats erscheint bei näherer Betrachtung nicht ganz stringent: Richtigerweise erinnert der Senat daran, dass für eine Berücksichtigung der Regelungen über die Störung der Geschäftsgrundlage grundsätzlich insoweit kein Raum ist, als es um Erwartungen und um Umstände geht, die nach den vertraglichen Vereinbarungen in den Risikobereich einer der Parteien fallen sollen (Rn. 49). Vorliegend fallen die staatlichen Schließungen während der COVID 19-Pandemie grundsätzlich in den Risikobereich des Mieters, wie der Senat zuvor bereits festgestellt hatte, denn der Mieter trägt das hier verwirklichte Verwendungsrisiko bezüglich der Mietsache (Rn. 31). Weil also die Störung der Geschäftsgrundlage vorliegend in den Risikobereich des Mieters fällt, hätte der Senat eine Anpassung der Miete aufgrund einer Störung der Geschäftsgrundlage eigentlich ablehnen müssen.

Der Senat fand dennoch einen Weg, eine Anpassung der Miete zu begründen, indem er erklärte, aufgrund der vielfältigen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie sei im vorliegenden Fall die sogenannte große Geschäftsgrundlage betroffen (Rn. 45). Die mit einer pandemiebedingten Betriebsschließung verbundene Gebrauchsbeeinträchtigung der Mietsache könne deshalb nicht allein dem Verwendungsrisiko des Mieters zugeordnet werden (Rn. 56 f.). Sie gingen letztlich über das gewöhnliche Verwendungsrisiko hinaus. Der Senat führt aus, die wirtschaftlichen Nachteile, die ein gewerblicher Mieter aufgrund einer pandemiebedingten Betriebsschließung erlitten habe, beruhten nicht auf unternehmerischen Entscheidungen oder der enttäuschten Vorstellung, in den Mieträumen ein Geschäft betreiben zu können, mit dem Gewinne erwirtschaftet werden. Sie seien vielmehr Folge der umfangreichen staatlichen Eingriffe in das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie, für die keine der beiden Mietvertragsparteien verantwortlich gemacht werden könne. Letzten Endes habe sich ein allgemeines Lebensrisiko verwirklicht, es sei eine Systemkrise zu verzeichnen, die mit ihren weitreichenden Folgen zu einer Störung der großen Geschäftsgrundlage geführt habe (Rn. 55).

Diese Begründung des Senats wirft Fragen auf:

  • Wenn die pandemiebedingte Schließung in den Risikobereich des Mieters fallen soll, weil dieser das Verwendungsrisiko trägt (Rn. 31), so fragt sich, weshalb der Senat eine Störung der großen Geschäftsgrundlage bejaht mit der Begründung, die Schließung beruhe auf umfangreichen staatlichen Eingriffen, für die keine der beiden Mietvertragsparteien verantwortlich gemacht werden könne. Es ist ja gerade Sinn und Zweck einer gesetzlichen Risikozuweisung, die Folgen solcher zukünftigen Umstände, für die keine der Vertragsparteien verantwortlich gemacht werden kann, einer der Parteien zuzuweisen.
  • Wenn die pandemiebedingte Schließung dagegen nicht in den Risikobereich des Mieters fallen soll, weil sie über das gewöhnliche Verwendungsrisiko hinausgeht (Rn. 55) beziehungsweise weil die mit der pandemiebedingten Betriebsschließung verbundene Gebrauchsbeeinträchtigung der Mietsache nicht allein dem Verwendungsrisiko des Mieters zugeordnet werden kann (Rn. 56 f.), so fragt sich, weshalb der Senat dann eigentlich einen Mietmangel ablehnt mit der Begründung, staatliche Betriebsschließungen fielen – auch im Falle von COVID 19 – in den Risikobereich des Mieters, der das Verwendungsrisiko zu tragen habe.
  • Wenn eine Betriebsschließung zwar grundsätzlich, nicht aber im Falle von pandemiebedingten Schließungen in den Risikobereich des Mieters fallen soll, weil eine Systemkrise mit ihren weitreichenden Folgen zu einer Störung der Geschäftsgrundlage geführt habe, so fragt sich: Was ist eigentlich eine Systemkrise? Wenngleich einiges darauf hindeutet, dass der Senat unter der Systemkrise die mit den vielfältigen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie verbundenen massiven Auswirkungen auf das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben in Deutschland versteht, bleibt der Begriff unscharf. Leider hatte sich auch das vorinstanzlich tätige OLG Dresden mit näheren Erläuterungen zu Ursachen und Auswirkungen einer Systemkrise zurückgehalten.

Ausblick: Die Systemkrise, das (noch) unbekannte Wesen?

Die Ausführungen des Senats bergen Stoff für Diskussionen. Man hätte sich nähere Erläuterungen zu der aufgrund der vielfältigen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie betroffenen großen Geschäftsgrundlage gewünscht, ebenso zu der vom BGH ins Feld geführten Systemkrise. War die COVID 19-Pandemie Auslöser der Systemkrise oder waren es die vielfältigen staatlichen Maßnahmen zu deren Bekämpfung? Falls letzteres zutrifft: Welche staatlichen Maßnahmen abgesehen von vollständigen Betriebsschließungen sind im Rahmen der Störung der Geschäftsgrundlage zu berücksichtigen? Welche Haftungsfolgen ergeben sich für den Fall, dass sich konkrete staatliche Maßnahmen im Nachhinein als rechtswidrig herausstellen und der Vermieter sich einem Mietanpassungsanspruch aufgrund einer Störung der Geschäftsgrundlage ausgesetzt sieht?

Wenn die staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie eine Systemkrise auslösten, welche sonstigen staatlichen Maßnahmen können dann zu einer Systemkrise führen, beispielsweise Maßnahmen, die die Bekämpfung des Klimawandels zum Ziel haben? Falls dem so wäre: Kann schon eine lokal begrenzte Naturkatastrophe wie beispielsweise die Flutkatastrophe in Nordrhein-Westfalen/Rheinland-Pfalz im Sommer 2021, so sie denn auf den Klimawandel zurückgeführt werden kann, eine Systemkrise auslösen? Diese Fragen sollten sowohl Mieter als auch Vermieter bereits bei Abschluss eines Mietvertrags im Blick behalten und Regelungen vereinbaren, die auch im Falle zukünftig drohender Systemkrisen einen sicheren Umgang mit den im Raum stehenden Risiken ermöglichen. Hierbei stehen wir Ihnen mit unserer Expertise selbstverständlich zur Seite.

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