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Was tun, wenn Liefertermine aufgrund dramatischer Versorgungsengpässe platzen?

Weltweit stehen Unternehmen vor großen Herausforderungen, in einer Weise, die – allein die in Deutschland – nachkriegsähnlich allgemein bekannten Versorgungslücken noch übertreffen könnten. Die Gründe sind vielfältiger Natur, zum Teil hausgemacht: In Europa vor allem durch die unterlassene umfassende und rechtzeitige Gegensteuerung gegen die vorhergesagte Inflation und die darauf folgenden Preissteigerungen, weltweit die Pandemie „Sars-Cov-2“, vor allem die im Anschluss daran angeordneten (nationalen und internationalen) Regelungen zur Schließung ganzer Betriebe und/oder (in China) gar der „Verschluss“ ganzer Städte (Shanghai) und den u.a. daraus folgenden Unterbrechungen von bis dato vorhandenen Lieferketten und Belieferungsschwierigkeiten mit Rohstoffen und/oder bestimmten Ersatzteilen, und – schließlich – die noch gar nicht absehbaren Folgen des Einmarschs in die Ukraine mit der nahezu willkürlichen Verknappung der Ressourcen, vor allem für Gas. Diese, aber auch die mit den vorgenannten Faktoren im Zusammenhang stehenden limitierten Fracht- und Transportkapazitäten (vor allem im Bereich See- und Luftfracht) bis hin zu den schon seit Jahren vorhersehbaren Engpässen – generell – beim (Fach-)Personal führen zu wirklich dramatischen Versorgungsengpässen in bisher in Deutschland unbekannten Ausmaßes. Hinzu kommt die Abhängigkeit der Endhersteller („OEM“) von Zulieferern („single-source“) und fehlende Alternativen, jedenfalls zum schnellen Aufbau neuer Lieferketten. Es fehlt zudem die – beschworene und uns lieb gewordene – Rechtssicherheit in vielerlei Hinsicht, grundsätzlich ein wesentlicher Stabilitätsfaktor für vorausschauendes wirtschaftliches Denken.

Allen Wirtschaftsakteuren wird mehr und mehr klar, dass selbst ausgefeilteste Verträge und Allgemeine Geschäftsbedingungen diese Faktoren nicht, jedenfalls nicht exakt und/oder hinreichend abgebildet haben. Glücklich ist noch der Unternehmer, der die Leistungsstörungen, insbesondere den Lieferverzug des Zulieferers noch zu seinen Gunsten umfassend geregelt hat und der ggfs. auf – dazu im Einzelfall auch noch wirksame und durchsetzbare – Sanktionsvereinbarungen (Pauschalierungen/Vertragsstrafen) jedenfalls dem Grunde nach hoffen und/oder sich gar teilweise oder ganz im Falle der Nichtbelieferung vom Vertrag (zumindest zeitnah) lösen und auch Deckungskäufe tätigen kann, ungeachtet von vereinbarten Fixgeschäften. Schlechter wird es selbst aber für ihn schon dann, wenn sich der Schuldner für den Fall des Verzugseintritts bereits eine (Mindest-) Nachfrist ausbedungen hatte, die, wenn sie nur lang genug ist, zuvor ausbedungene Lieferfristen auszuhebeln vermag. Auch werden sog. „Force-Majeure-Klauseln“ bis an die Auslegungsgrenzen, oder darüber hinausgehend, strapaziert. Aus gegensätzlicher Perspektive geht es dann nicht selten um (mitunter fehlende) Preisanpassungs- und oder Ergänzungsklauseln.

Wenn entsprechende Vereinbarungen im Vertrag aber fehlen, bleibt es stets bei den gesetzlichen Regelungen. Der Ruf nach den europaweit unterschiedlich ausformulierten Grundsätzen der „Störung der Geschäftsgrundlage“ wird immer lauter und beschäftigt inzwischen zahlreiche Gerichte im In- und Ausland mit immer spitzfindigeren Detailfragen.

Aber, was nutzt die Berufung auf die vereinbarte und/oder gesetzlich vermeintlich greifende Anspruchsgrundlage, wenn die Zeit zur erfolgreichen Durchsetzung der Ansprüche fehlt. Einstweiliger Rechtsschutz hilft in den seltensten Fällen, sind Lieferungen ja oft tatsächlich unmöglich. Auch die lange Prozessdauer im Übrigen hält die Parteien – trotz dramatischer Versorgungsengpässe – von Klagen ab, selbst wenn Engpässe oder Lieferschwierigkeiten bisweilen vom Vertragspartner angekündigt werden (z.B. bei der Lieferung von Halbleitern sowie bei Komponenten aus Stahl und/oder auch aus Kunststoffen). Prozessführung hilft allenfalls bei der Schadensminimierung.

Brauchbare Ansätze in der Praxis versprechen „grundlegende vertragliche Novationen und akkordierte Anpassungen“ der ursprünglich vereinbarten Regelungen zur Lieferung zwischen Empfänger und Lieferant, etwa Lieferpläne „nach unten hin“, und/oder auf das „notwendigste beschränkt“ oder auch „50% der bestellten (bzw. geplanten) Bedarfe/Menge“ oder eben – umgekehrt aus der Perspektive des (ausnahmsweise verhandlungsgewichtigeren) Zulieferers – mit Ergänzungen, in etwa wie folgt: „weisen wir darauf hin, dass wir die Liefertermine nicht sicherstellen können, und die Liefertermine nur vorbehaltlich rechtzeitiger Selbstbelieferung gelten und (zudem) unter Ausschluss der Haftung“ (wird konkretisiert: sic!), oder sogar kombiniert mit neu gestalteten „Rücktrittsrechten“. Zudem behält sich der Zulieferer bei diesen vertraglichen Novationen sogar ausdrücklich („im Interesse aller Kunden“) vor, „eine vom Kundenabruf abweichende Stückzahl zu liefern“, bisweilen wird gar nur noch „ohne konkreten Nachlieferungstermin“ eine Vereinbarung getroffen, „… da derzeit nichts weiter vorhersehbar ist“, und auch diese Kröte müssen Abnehmer bisweilen schlucken. Im Einzelfall setzt die Novation zur Optimierung des Versorgungsengpasses fundamentale Kenntnis des Damoklesschwerts der Inhaltschranken im Recht der AGB voraus. Die grundlegende Empfehlung ist daher: „Schaum abputzen“, kein (zusätzliches) Porzellan zerschlagen und auf den Verhandlungspartner zugehen und mit Fingerspitzen-Gefühl neue Regelungen für die gemeinsame Zukunft formulieren!

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