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Veröffentlichung einer lebensmittelrechtlichen Warnmeldung nur nach vorheriger Anhörung möglich

Das OVG Lüneburg hat mit Beschluss vom 17.02.2022 – Az. 14 ME 54/22 – entschieden, dass Unternehmen vor der Einstellung einer lebensmittelrechtlichen Warnung auf dem Internetportal www.lebensmittelwarnung.de anzuhören sind, wenn sie in der Warnmeldung genannt werden.

Sachverhalt

Dem Beschluss des OVG Lüneburg liegt folgender Sachverhalt zugrunde: In einem Hähnchennugget, das sich aufgrund seiner Form typischerweise an Kinder richtet, wurde von einem Verbraucher ein blaues Plastikteil mit einem Durchmesser von ca. 1,4 cm und zwei Bruchkanten gefunden. Der Verbraucher meldete diesen Fund der Lebensmittelüberwachungsbehörde seines Kreises, die wiederum die Lebensmittelüberwachungsbehörde der Herstellerin informierte. Das Lebensmittel wurde als Eigenmarke eines Lebensmitteldiscounters unter dessen Namen vermarktet. Zwischen der Herstellerin des Erzeugnisses und dem Lebensmitteldiscounter konnte keine Einigung über das weitere Vorgehen nach dem Fremdkörperfund erzielt werden. Daraufhin hörte die Lebensmittelüberwachungsbehörde der Herstellerin diese telefonisch an. Dieser wurde kurzfristig die Gelegenheit eingeräumt, den Text der Schnellwarnmeldung zu gestalten. Da hiervon kein Gebrauch gemacht wurde, erfolgte die Schnellwarnmeldung durch die Lebensmittelüberwachungsbehörde der Herstellerin, die diese an das Niedersächsische Landesamt für Verbraucherschutz (LAVES) übermittelte. In der Meldung wurde neben der Herstellerin auch der Lebensmitteldiscounter genannt. Dieser beantragte, der Lebensmittelüberwachungsbehörde im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, die Warnmeldung unverzüglich zurückzunehmen bzw. zu löschen. Der Antrag wurde zurückgewiesen. Hiergegen richtete sich die Beschwerde.

Entscheidungsgründe

Das OVG Lüneburg entschied nun, dass die Warnmeldung mangels einer Anhörung des Lebensmitteldiscounters formell rechtswidrig und aus diesem Grund unverzüglich zu löschen ist. Allerdings stellte es klar, dass im Übrigen keine Bedenken an der materiellen Rechtmäßigkeit der Warnmeldung bestehen.

Der Lebensmitteldiscounter hätte zwingend angehört werden müssen gemäß § 40 Abs. 3 LFGB, weil dieser in der Warnmeldung genannt worden sei. § 40 Abs. 3 LFGB trage dem Gebot des rechtlichen Gehörs als Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips Rechnung.

§ 40 Abs. 3 LFGB sieht vor:

„Bevor die Behörde die Öffentlichkeit nach den Absätzen 1 und 1a informiert, hat sie den Hersteller oder den Inverkehrbringer anzuhören, sofern hierdurch die Erreichung des mit der Maßnahme verfolgten Zwecks nicht gefährdet wird.“

Die fehlende Anhörung könne auch nicht durch den Austausch von Schriftsätzen im gerichtlichen Verfahren geheilt werden.

Dementsprechend kommt das OVG Lüneburg zu dem Ergebnis, dass jedenfalls bis zu einer ordnungsgemäßen Nachholung der Anhörung die Information der Öffentlichkeit (formell) rechtswidrig ist und daher auch nicht erfolgen darf.

Eigentlich hätte es das OVG Lüneburg mit diesen Ausführungen bewenden lassen können. Ergänzend und zur Vermeidung zukünftiger gerichtlicher Auseinandersetzungen führt es aber aus, dass die Warnmeldung im Übrigen rechtmäßig erfolgt sei. Es bestehe ein hinreichender Verdacht, dass das streitgegenständliche Lebensmittel ein Risiko für die Gesundheit von Menschen, insbesondere für Kinder, mit sich bringe. Bei der Risikobewertung seien wie bei der Gefahrenprognose die Schadenshöhe und die Eintrittswahrscheinlichkeit des Schadens zu kombinieren. Je größer der Schaden sei, desto geringer müsse die Wahrscheinlichkeit des Eintritts sein, um dennoch ein entsprechend hohes Risiko anzunehmen. Der Schaden, der im schlimmsten Fall eintreten könne (Tod durch Ersticken), sei derart gravierend, dass ein Risiko für die Gesundheit von Menschen bestehe. Kinder seien zudem beim Umgang mit und beim Verzehr von Lebensmittel unerfahren. Ferner sei nicht ausgeschlossen, dass sich noch weitere – auch deutlich kleinere – Plastikteile in anderen Hähnchennuggets befinden.

Besonders relevant sind die Ausführungen zur Chargenvermutung des Art. 14 Abs. 6 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002. Hiernach gilt, dass wenn ein nicht sicheres Lebensmittel zu einer Charge, einem Posten oder einer Lieferung von Lebensmitteln der gleichen Klasse oder Beschreibung gehört, davon auszugehen ist, dass sämtliche Lebensmittel in dieser Charge, diesem Posten oder dieser Lieferung ebenfalls nicht sicher sind, es sei denn, bei einer eingehenden Prüfung wird kein Nachweis dafür gefunden, dass der Rest der Charge, des Postens oder der Lieferung nicht sicher ist. Das OVG Lüneburg verlangt einen vollen Beweis, dass die vermutete Tatsache nicht vorliegt. Wie die Prüfung durchgeführt werde, richte sich nach den Umständen des Einzelfalls, so zum Beispiel durch statistische Untersuchungen weiterer Produkte der gleichen Charge bei einem Fund von Fremdkörpern.

Da die Herkunft des Fremdkörpers nicht abschließend geklärt werden konnte, kam das OVG Lüneburg zu dem Ergebnis, dass die Chargenvermutung gerade nicht widerlegt werden konnte. Da der Fremdkörper zwei Bruchkanten habe, könne nicht von einem Einzelstück ausgegangen werden.

Praxishinweis

Das OVG Lüneburg hat den Verwaltungsbehörden eine „Segelanweisung“ an die Hand gegeben, wie sie nach der Löschung der Warnmeldung vorzugehen haben, damit die Warnmeldung wieder schnell eingestellt wird. Das OVG Lüneburg weist nämlich ausdrücklich darauf hin, dass

„Jedenfalls bis zu einer ordnungsgemäßen Nachholung der Anhörung […] die Information der Öffentlichkeit (formell) rechtswidrig (ist) und […] daher auch nicht erfolgen (darf).“

Dies scheint auch der Grund dafür zu sein, warum das OVG Lüneburg „nur ergänzend“ und „zur Vermeidung zukünftiger gerichtlichen Auseinandersetzungen“ so ausführlich begründet, warum es die Warnmeldung im Übrigen für rechtmäßig hält.

Interessant sind auch die Ausführungen zur Widerlegung der Chargenvermutung. Das OVG Lüneburg verlangt einen „vollen Beweis“, dass die vermutete Tatsache nicht vorliegt. Ein voller Beweis kann aber praktisch nur in dem Fall geführt werden, wenn es sich bei dem Fremdkörperfund um einen solchen handelt, der sich konkret einem fehlenden Gegenstück zuordnen lässt. In allen anderen Fällen werden sich die Lebensmittelunternehmen darauf einstellen müssen, dass es schwieriger werden wird, den vollen Beweis zu führen. Zwar führt das OVG Lüneburg aus, dass eine “eingehende Prüfung“ der Charge auch zum Beispiel durch statistische Untersuchungen geführt werden kann. Ob und wie mit einer stichprobenhaften Untersuchung einer Charge allerdings der „volle Beweis“ geführt werden kann, bleibt abzuwarten. Die Entscheidung des OVG Lüneburg stärkt jedenfalls die Tendenz der Behörden, wegen Fremdkörperfunden zunehmend öffentliche Rückrufe anzuordnen. Lebensmittelunternehmen sind daher gut beraten, ihr Fremdköpermanagementsystem hieran anzupassen.

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