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Keine freie Übersetzung von in Unionsvorschriften vorgeschriebenen Bezeichnungen möglich

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat mit Urteil vom 13.01.2022 – C–881/19 – entschieden, dass eine freie Übersetzung von in Unionsvorschriften geregelten Bezeichnungen nicht möglich ist.

Sachverhalt

Dem Urteil des EuGH liegt folgender Sachverhalt zugrunde: In Tschechien wurden verschiedene Milch-Schokoladendesserts in den Verkehr gebracht, die im Zutatenverzeichnis nur mit der Angabe „Schokolade in Pulverform“ ohne Aufzählung der einzelnen Zutaten gekennzeichnet waren. Die tschechischen Behörden untersagten das Inverkehrbringen der Produkte. Sie begründeten ihre Entscheidung damit, dass die Ausnahme von der gesetzlichen Regelung, dass sämtliche Zutaten, aus denen ein Lebensmittel bestehe, im Zutatenverzeichnis anzugeben seien, nur dann eingreife, wenn die in der tschechischen Sprachfassung der Kakao- und Schokoladen-Richtlinie 2000/36/EG geregelte Bezeichnung „Schokoladenpulver“ verwendet werde. Das betroffene Lebensmittelunternehmen war der Ansicht, dass die Angabe „Schokolade in Pulverform“ die gleiche Bedeutung wie die gesetzlich vorgesehene Bezeichnung „Schokoladenpulver“ habe. Die Sichtweise, dass allein die tschechische Sprachfassung der Kakao- und Schokoladen- Richtlinie 2000/36/EG maßgeblich sei, verstoße gegen die Grundsätze der Funktionsweise des Unionsrechts. Alle Sprachfassungen einer Bestimmung des Unionsrechts seien gleichermaßen verbindlich. Das Regionalgericht Brünn legte daraufhin dem EuGH die folgende Frage vor: Ist die in Anhang VII Teil E Nr. 2 Buchst a LMIV enthaltene Regelung dahin auszulegen, dass bei einem Lebensmittel, dass für Verbraucher in der Tschechischen Republik bestimmt ist, eine in Anhang I unter Abschnitt A Nr. 2 Buchst. c der Richtlinie 2000/36/EG angeführte zusammengesetzte Zutat im Zutatenverzeichnis des Zeugnisses nur dann ohne detaillierte Angabe ihrer Zusammensetzung aufgeführt werden darf, wenn diese zusammengesetzte Zutat exakt entsprechend der tschechischen Sprachfassung des Anhangs I der Richtlinie gekennzeichnet ist?

Entscheidungsgründe

Der EuGH urteilte, dass die Ausnahmevorschrift des Anhangs VII Teil E Nr. 2 Buchst. a LMIV eng auszulegen sei. Eine freie Übersetzung einer zusammengesetzten Zutat, die in einer Unionsvorschrift geregelt sei, sei nicht möglich, auch nicht gemäß einer anderen Sprachfassung dieser Regelung. Die Bezeichnung „Schokoladenpulver“ sei in Anhang I Abschnitt A Nr. 2 Buchst. c der Richtlinie 2000/36/EG aufgeführt und als solche eine „rechtlich vorgeschriebene Bezeichnung“ im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. n LMIV. Diese sei gemäß Art. 17 und Art. 18 LMIV im gesamten Unionsgebiet zu verwenden. Auf andere Sprachfassungen der Richtlinie 2000/36/EG könne nicht zurückgegriffen werden. Die LMIV verfolge das Ziel, ein hohes Verbraucherschutzniveau in Bezug auf Informationen über Lebensmittel zu gewährleisten. Die Verbraucher sollten durch die bereitgestellten Informationen eine fundierte Wahl treffen können. Daher sei es geboten, dass die Informationen über Lebensmittel korrekt, neutral und objektiv seien. Dieses Ziel sei gefährdet, wenn die Wirtschaftsteilnehmer gesetzlich vorgegebene Bezeichnungen gemäß den Bezeichnungen in anderen Sprachfassungen frei übersetzen könnten.

Praxishinweis

Die Entscheidung zeigt sehr deutlich, dass sich Lebensmittelunternehmen exakt an gesetzlich vorgeschriebene Bezeichnungen halten sollten. Es gibt keinen Gestaltungsspielraum. Freie Übersetzungen oder leichte Abwandlungen wie die Verwendung inhaltsgleicher Bezeichnungen können beanstandet werden. Dies gilt nicht nur für die Bezeichnung des Lebensmittels, sondern auch für die Benennung der Zutaten. Art. 18 Abs. 2 LMIV weist ausdrücklich darauf hin, dass die Zutaten mit ihrer speziellen Bezeichnung, gegebenenfalls nach Maßgabe der Bestimmungen in Art. 17 und Anhang VI zu bezeichnen sind. Ein Lebensmittel wird gemäß Art. 17 Abs. 1 Satz 1 LMIV mit seiner rechtlich vorgeschriebenen Bezeichnung bezeichnet. Nur wenn eine solche fehlt, wird das Lebensmittel mit seiner verkehrsüblichen Bezeichnung oder, falls es keine verkehrsübliche Bezeichnung gibt oder diese nicht verwendet wird, mit einer beschreibenden Bezeichnung bezeichnet (Art. 17 Abs. 1 Satz 2 LMIV).

Veranstaltungshinweis

Vom 23. – 25.03.2022 findet der 35. Deutsche Lebensmittelrechtstag in Wiesbaden statt. Die Unterzeichnerin referiert im Rahmen des Themenblocks „Hygiene und Rückstände“ zum Thema Lebensmittelsicherheit.

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