tina bieniek gesellschaftsrecht p.jpgmaximilian fessel gesellschaftsrecht webp.jpg

Zugang von E-Mails im unternehmerischen Geschäftsverkehr

Im unternehmerischen Geschäftsverkehr gilt eine E-Mail als zugegangen, wenn sie dem Empfänger innerhalb der üblichen Geschäftszeiten auf dem Mailserver abrufbereit zur Verfügung gestellt wird. Dass die E-Mail tatsächlich zur Kenntnis genommen wird, ist nicht erforderlich.

Sachverhalt

Hintergrund des vom BGH entschiedenen Falls war der Streit um eine Werklohnforderung. Im Rahmen eines größeren Bauprojekts hatte eine Subunternehmerin – die spätere Klägerin – Bauarbeiten erbracht. Die dafür gestellte Schlussrechnung wurde von der Bauunternehmerin – der späteren Beklagten – gekürzt. Die Subunternehmerin widersprach dieser Kürzung und forderte eine Restzahlung von ca. 14.000 Euro nebst Anwaltskosten.

Die Bauunternehmerin bot daraufhin ohne Anerkennung einer Rechtspflicht eine Zahlung in dieser Höhe an. Dieses Angebot nahm die Subunternehmerin zunächst per E-Mail an. Ungefähr eine halbe Stunde später nahm sie diese Erklärung jedoch wieder zurück.

Kurz darauf stellte die Subunternehmerin eine Schlussrechnung in Höhe von ca. 22.000 Euro. Die Bauunternehmerin überwies jedoch nur 14.000 Euro nebst Anwaltskosten und verwies dazu auf das Vergleichsangebot der früheren E-Mail. Die Subunternehmerin klagte daraufhin die Differenz von knapp 8.000 Euro ein.

Das Landgericht wies die Klage ab. Die Berufung gegen das Urteil hatte keinen Erfolg. Die Subunternehmerin legte daraufhin Revision ein.

Das Urteil des BGH vom 06.10.2022 (Az. VII ZR 895/21)

Auch die Revision blieb erfolglos. Der BGH sah keine Zahlungspflicht der Bauunternehmerin über die 14.000 Euro hinaus. Der BGH führte aus, dass mit der Zahlung auf das Vergleichsangebot der früheren E-Mail durch schlüssiges Verhalten der Beklagten ein verbindlicher Vergleich zustande gekommen sei.

Die Subunternehmerin sei an das Angebot der früheren E-Mail gebunden, da es der Bauunternehmerin wirksam zugegangen sei (§ 130 Abs. 1 BGB). Dafür reiche es im unternehmerischen Verkehr aus, dass eine E-Mail innerhalb der üblichen Geschäftszeiten abrufbereit im elektronischen Postfach des Empfängers eingegangen sei. Mit der wenig später folgenden E-Mail der Subunternehmerin habe das bereits zugegangene Angebot nicht mehr wirksam widerrufen werden können.

Praxishinweis

Willenserklärungen begegnen einem im Rechtsverkehr ständig: Beim Abschluss und bei der Beendigung von Verträgen, bei der Gründung von Gesellschaften, bei Kündigungen oder im Rahmen letztwilliger Verfügungen wie beispielsweise einem Testament.

Dabei wird nicht jede Willenserklärung zum gleichen Zeitpunkt wirksam. Es macht einen Unterschied, ob Erklärungen gegenüber Anwesenden oder Abwesenden abgegeben werden und gerade zum Zugang elektronischer Willenserklärung gibt es einige offene Fragen.

Eine dieser Fragen klärte nun der BGH. Er stellte klar, dass jedenfalls im Geschäftsverkehr zwischen Unternehmern E-Mails schon zugegangen sind, wenn sie innerhalb der üblichen Geschäftszeiten abrufbereit im Postfach angekommen sind – egal, wann sie tatsächlich gelesen werden. Deswegen sollten Unternehmer die Postfächer ihrer veröffentlichten oder im Geschäftsverkehr verwendeten E-Mail-Adressen stets im Blick haben und regelmäßig abrufen.

Umgekehrt sollte derjenige, der eine Willenserklärung per E-Mail abgibt, bedenken, dass er sich nach dem Versand nicht einfach umentscheiden kann. Der Widerruf von Willenserklärungen ist nämlich nur bis zu dem Zeitpunkt des Zugangs möglich. Mit Blick auf das Urteil des BGH heißt das: Werden Angebote oder sonstige rechtserhebliche Erklärungen per E-Mail versendet, scheidet ein Widerruf jedenfalls innerhalb der üblichen Geschäftszeiten praktisch fast immer aus.

Kontakt > mehr