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EuGH – Erfordernis eines tariflichen Ausgleichs für Leiharbeitnehmer mit geringeren Löhnen

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat mit Urteil vom 15.12.2022 entschieden, dass Leiharbeitnehmer nur dann schlechter als Stammbeschäftigte bezahlt werden dürfen, wenn diese Ungleichbehandlung im Tarifvertrag ausgeglichen wird (EuGH Urteil vom 15.12.2022 – C-311/21).

Sachverhalt

Grundlage für das Urteil des EuGHs ist ein Arbeitsrechtsstreit aus Deutschland. Eine Leiharbeitnehmerin hatte für ihre Arbeit bei einem Einzelhandelsunternehmen einen tariflichen Stundenlohn von EUR 9,23 brutto erhalten, während andere Arbeitnehmer mit vergleichbarer Tätigkeit einen tariflichen Stundenlohn nach dem Branchentarifvertrag für den Einzelhandel in Höhe von EUR 13,64 brutto erhielten. Die Leiharbeitnehmerin klagte daraufhin auf Zahlung einer zusätzlichen Vergütung in Höhe von EUR 1.296,72 brutto, d.h. den Differenzbetrag, den sie erhalten hätte, wenn sie nach dem Lohntarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer im Einzelhandel in Bayern vergütet worden wäre. Sie machte geltend, dass die einschlägigen Bestimmungen des AÜG und des Tarifvertrags für Leiharbeitnehmer nicht mit Art. 5 der Richtlinie 2008/104 vereinbar seien. Das beklagte Leiharbeitsunternehmen war hingegen der Auffassung, dass es nicht verpflichtet sei, ein anderes Arbeitsentgelt als das im Tarifvertrag für Leiharbeitnehmer vorgesehene zu zahlen.

Nachdem die Klage sowohl in erster und zweiter Instanz abgewiesen worden war, machte das Bundesarbeitsgericht seine Entscheidung von der Frage abhängig, ob der deutsche Gesetzgeber Art. 5 der Richtlinie 2008/104 mit dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) richtlinienkonform umgesetzt hat. Dazu legte es dem EuGH verschiedene Fragen zur Vorabentscheidung vor.

Entscheidungsgründe

Der EuGH bestätigte nun mit seinem Urteil die Ausnahme des Grundsatzes von „Equal-Pay“ nach dem AÜG, wonach es den Tarifvertragsparteien grundsätzlich möglich ist, ein geringeres Arbeitsentgelt für Leiharbeitnehmer zu vereinbaren. Dafür müsse allerdings der Tarifvertrag den Leiharbeitern im Gegenzug Ausgleichsvorteile in Bezug auf wesentliche Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen gewähren, so dass das Gesamtschutzniveau für die Leiharbeitnehmer gewahrt bleibe. Derartige Ausgleichsvorteile müssen laut EuGH geeignet sein, die Ungleichbehandlung der Zeitarbeitnehmer auszugleichen. Wenn ein Tarifvertrag einen niedrigeren Lohn für Leiharbeiter vorsieht, könnte im Gegenzug beispielsweise zusätzliche Freizeit gewährt werden.

Der EuGH sieht es insoweit nicht als Verpflichtung des Gesetzgebers an, entsprechenden Vorgaben zu machen. Vielmehr sieht es die Tarifvertragsparteien selbst in der Verpflichtung, einen entsprechenden den Gesamtschutz der Leiharbeitnehmer achtenden Ausgleich zu bestimmen. Gleichwohl, so der EuGH, müssen die Tarifverträge einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle unterliegen.

Hinweis für die Praxis/Ausblick

Zwar hat der EuGH mit seinem Urteil eine in § 8 AÜG geregelt Ausnahme der Grundsätze von „Equal-Pay“ grundsätzlich anerkannt, jedoch sehen vermutlich die meisten Tarifverträge der Zeitarbeitsbranche diese geforderten Ausgleichsvorteile – jedenfalls nicht ausdrücklich – vor. Tarifverträge sind also dahingehend genau zu prüfen und gegebenenfalls nachzubessern. Hier sind die Tarifvertragsparteien selbst gefordert, die Vorgaben des EuGHs entsprechend umzusetzen.

Da es aber ausreichend ist, dem überlassenen Zeitarbeitnehmer an anderer Stelle bessere Leistungen zuzusagen, wie z.B. mehr Urlaubstage, dürfte die Umsetzung der Rechtsprechung für die Tarifvertragsparteien lösbar, wenn nicht sogar – zumindest teilweise – schon erfüllt sein.

Am Ende ist es somit eine Einzelfallbetrachtung, ob der einzelne Leiharbeitnehmer möglicherweise Nachzahlungsansprüche hat. Eine Welle von Klagen auf Zahlung von Differenzlohn wird vermutlich ausbleiben.

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