sven koehnen handelsrecht 2.jpgchristian claessens arbeitsrecht p.jpg

Unwirksame Kündigung eines Flugzeugkapitäns

Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf hat mit Urteil vom 8. Juni 2022 (Az. 6 Sa 1118/21) die betriebsbedingte Kündigung eines Flugkapitäns wegen Flottenreduzierung für unwirksam erachtet. Die Sozialauswahl sei fehlerhaft gewesen, da die Arbeitgeberin zu Unrecht alle Stationen bundesweit einbezogen habe. Aufgrund des vereinbarten "dienstlichen Wohnsitzes" ohne ausdrücklichen Versetzungsvorbehalt habe sich die Vergleichbarkeit der zu Kündigenden auf die Station des Kapitäns beschränkt.

Sachverhalt

Dem Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Der Kläger war seit dem 1. November 1999 bei der Beklagten, einer Fluggesellschaft, zuletzt als Kapitän beschäftigt. Am 5. März 2021 schlossen die Beklagte und die Gesamtvertretung Bordpersonal einen Interessenausgleich. Zu der geplanten Betriebsänderung hieß es dort, dass die Beklagte ihre Flotte auf 22 Flugzeuge reduzieren und sechs ihrer derzeit unterhaltenden Stationen vollständig und dauerhaft schließen werde. Weiter hieß es, dadurch sei im Bereich des Cockpit- und Kabinenpersonals die Beschäftigtenzahl anzupassen. Dabei dürfte die tariflich vereinbarte Zahl von 370 Cockpitmitarbeitenden nicht unterschritten werden. Der tatsächliche Bedarf an Cockpitpersonal liege – so der Vortrag der Beklagten – aufgrund der Betriebsänderung sogar nur noch bei 340. Mit Schreiben vom 27. März 2021 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers außerordentlich betriebsbedingt zum 31. Dezember 2021.

Dagegen wandte sich der Kläger mit seiner Kündigungsschutzklage. Unter anderem beanstandete er, dass die Sozialauswahl nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden sei. Die Beklagte hingegen war der Auffassung, sie habe die Sozialauswahl zutreffend einheitlich und bundesweit bezogen auf alle Stationen durchgeführt.

Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf hat der Kündigungsschutzklage stattgegeben. Die Revision zum Bundesarbeitsgericht wurde zugelassen. Klärungsbedürftig sei die Frage der Versetzbarkeit von Flugkapitäninnen und Flugkapitänen bei Vereinbarung eines „dienstlichen Wohnsitzes“ im Arbeitsvertrag ohne ausdrücklichen Versetzungsvorbehalt.

Entscheidungsgründe

Nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf ist die Kündigung jedenfalls aufgrund fehlerhafter Sozialauswahl rechtsunwirksam. Die Beklagte habe die gemäß § 1 Abs. 3 KSchG vorgesehene Sozialauswahl nicht bundeseinheitlich vornehmen dürfen. Diese sei nur innerhalb der Gruppe vergleichbarer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durchzuführen. Diese Gruppe werde durch die arbeitsvertraglich vorgesehene Versetzbarkeit begrenzt.

In einer Vielzahl von Arbeitsverträgen habe die Beklagte mit dem Cockpitpersonal einen sog. „dienstlichen Wohnsitz“ vereinbart, ohne sich die Versetzung an einen anderen Ort ausdrücklich vorzubehalten. Auch der Arbeitsvertrag des Klägers enthalte die Vereinbarung eines „dienstlichen Wohnsitzes“, nämlich den Ort seiner Station. Im Übrigen heiße es in dem Arbeitsvertrag lediglich, dass die Beklagte sich für die Zeit der Einarbeitung die Versetzung an einen anderen Ort vorbehalte.

Bei dieser vertraglichen Situation habe die Beklagte den Kläger nach der Einarbeitung nicht an eine andere Station versetzen dürfen. Die Vergleichbarkeit der zu Kündigenden sei mithin auf die Station begrenzt. Weil die Beklagte eine davon abweichende falsche bundesweite Sozialauswahl vorgenommen habe, sei die Kündigung des Klägers gemäß § 1 Abs. 3 KSchG wegen fehlerhafter Sozialauswahl sozial ungerechtfertigt und deshalb rechtsunwirksam.

Hinweise für die Praxis

Die Versetzungsklausel ist bei der Arbeitsvertragsgestaltung ein zweischneidiges Schwert. Einerseits gewährt sie dem Arbeitgeber die Flexibilität, dem Arbeitnehmer im Bedarfsfall einseitig eine andere Tätigkeit zuzuweisen oder den Tätigkeitsort abzuändern. Andererseits wird durch die Versetzungsklausel der auswahlrelevante Personenkreis vergleichbarer Arbeitnehmer für die Sozialauswahl erweitert. Arbeitgeber sind deshalb gut beraten, die Versetzungsklausel nicht weiter als nötig zu fassen, da andernfalls eine betriebsbedingte Kündigung unnötig erschwert werden kann.

Die Versetzungsklausel hat indes nicht zur Folge, dass vergleichbare Arbeitnehmer aus anderen Betrieben des Arbeitgebers in die Sozialauswahl miteinzubeziehen sind (BAG, Urteil vom 15. Dezember 2005 – 6 AZR 199/05). Die Sozialauswahl bleibt vielmehr im gesetzlichen Regelfall auf Arbeitnehmer desselben Betriebs beschränkt. Mit der Abgrenzung von Betrieben musste sich das Landesarbeitsgericht Düsseldorf vorliegend aber nicht auseinandersetzen. Für die Besatzung von Luftfahrzeugen besteht gemäß § 24 Abs. 2 KSchG die Besonderheit, dass jeweils die Gesamtheit der Luftfahrzeuge eines Luftverkehrsbetriebes als „Betrieb“ gilt. Eine bundeseinheitliche Sozialauswahl wäre damit grundsätzlich denkbar gewesen.

Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf hat die Frage der Versetzbarkeit von Flugkapitäninnen und Flugkapitänen an eine andere Station bei Vereinbarung eines „dienstlichen Wohnsitzes“ im Arbeitsvertrag ohne ausdrücklichen Versetzungsvorbehalt allerdings verneint. Sollte die Revision gegen das Urteil eingelegt werden, darf mit Spannung erwartet werden, ob das Bundesarbeitsgericht sich dieser Auffassung anschließt.

Kontakt > mehr