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Ob eine unterschiedliche Höhe von Nachtarbeitszuschlägen gerechtfertigt ist, ist keine Frage des Europarechts, sondern muss von den nationalen Gerichten entschieden werden

Laut Entscheidung des EuGHs vom 7. Juli 2022 (C-257/21 sowie C-258/21) findet die EU-Richtlinie 2003/88 zwar grundsätzlich Anwendung auf Nachtarbeit, jedoch nicht auf die Frage der Vergütung. Damit haben die Mitgliedsstaaten selbst über eine mögliche ungerechtfertigte Ungleichbehandlung bei Gewährung unterschiedlich hoher Nachtarbeitszuschläge zu entscheiden.

Sachverhalt

Geklagt hatten zwei Mitarbeiter von Coca-Cola, die in Deutschland Nachtarbeit im Schichtbetrieb geleistet hatten. Sie machten vor den deutschen Arbeitsgerichten eine Ungleichbehandlung geltend, da nach dem für sie geltenden Manteltarifvertrag für regelmäßige Nachtarbeit 20 Prozent Zuschlag gezahlt wird, während der Zuschlag für unregelmäßige Nachtarbeit bei 50 Prozent liegt. Begründet wurde die höhere Zulage für die unregelmäßige Nachtarbeit u.a. damit, dass sie für die Betroffenen noch belastender sei, insbes. weil man sie nicht planen könne. Außerdem gebe es bei regelmäßigen Nachtschichten zusätzliche Vergünstigungen, zum Beispiel: freie Tage.

Das Bundesarbeitsgericht hatte die Verfahren ausgesetzt und wollte vom EuGH wissen, ob mit einer tarifvertraglichen Regelung, die für unregelmäßige Nachtarbeit einen höheren Vergütungszuschlag vorsieht als für regelmäßige Nachtarbeit, die Arbeitszeit-Richtlinie 2003/88 im Sinne von Art. 51 Abs. 1 der Charta durchgeführt wird. Sofern diese Frage bejaht werde, sei weiter fraglich, ob die Ungleichbehandlung am Maßstab von Art. 20 der Charta zu messen sei.

Entscheidungsgründe

Der EuGH verneinte die Fragen und verwies die Entscheidung zurück an das BAG. Die Richtlinie enthalte zwar Bestimmungen über Nachtarbeit, diese finde aber grundsätzlich keine Anwendung auf die Vergütung der Beschäftigten, sondern beträfe nur Dauer und Rhythmus, den Gesundheitsschutz und die Sicherheit der Nachtarbeiter sowie die Unterrichtung der zuständigen Behörden. Damit bestünden mit Blick auf die Vergütung keine konkreten europarechtlichen Verpflichtungen für die einzelnen Mitgliedsstaaten. Der im Manteltarifvertrag vorgesehene Vergütungszuschlag falle nicht unter die Richtlinie 2003/88 und könne nicht als Durchführung des Unionsrecht angesehen werden.

Ausblick

Die Entscheidung des EuGHs wurde mit Spannung erwartet. Mehrere hundert gleichgelagerte Verfahren, etwa 30 verschiedene Tarifverträge betreffend, sind mittlerweile (allein) beim BAG anhängig. Inhaltlich ist allerdings noch nichts entschieden. Der zuständige Zehnte Senat hat nach der Entscheidung des EuGHs nunmehr per Pressemitteilung bekannt gegeben, dass er beabsichtigt ab dem ersten Quartal 2023 in diesen Verfahren zu entscheiden.

Die Entscheidungen werden sich auf viele Arbeitnehmer auswirken, denn viele Tarifverträge unterscheiden in der Zuschlagshöhe zwischen regelmäßiger und unregelmäßiger Nachtarbeit. Im Jahr 2020 hatte das BAG in einem ähnlichen Fall bereits entschieden, dass die unterschiedliche Höhe der gewährten Nachtarbeitszuschläge nicht gerechtfertigt ist (vgl. BAGE vom 09.12.2020, 10 AZR 334/20). Die Wahrscheinlichkeit ist damit hoch, dass das BAG die unterschiedliche Höhe der Zuschläge auch dieses Mal für nicht gerechtfertigt hält. Einziger Anhaltspunkt für eine Rechtfertigung stellt vorliegend die fehlende Planbarkeit der unregelmäßigen Nachtarbeit dar, die durch die höheren Zuschläge ausgeglichen werden soll. Ob das für die Ungleichbehandlung aber ausreicht, wird das BAG entscheiden müssen. Für Arbeitgeber besteht damit das Risiko, dass die Differenz der Zuschläge an die Arbeitnehmer rückwirkend ausgezahlt werden müssen. Hierbei dürfte der drohende finanzielle Einschnitt in den aller meisten Fällen jedoch durch eine tarifvertragliche Ausschlussfrist begrenzt sein.

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