Tod des Arbeitnehmers vor Abschluss des Aufhebungsvertrages, Abfindungsanspruch?
Haben die Erben eines Arbeitnehmers Anspruch auf Zahlung einer Abfindung, wenn ein verhandelter Aufhebungsvertrag vom Arbeitnehmer vor seinem Tod unterzeichnet, vom Arbeitgeber aber erst nach dem Versterben des Arbeitnehmers gegengezeichnet wird? Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg hat dies verneint; die Revision zum Bundesarbeitsgericht ist zugelassen.
Sachverhalt
Dem Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 15. Dezember 2021 (2 Sa 11/21) liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Die Klägerin ist die Witwe und Alleinerbin des verstorbenen Arbeitnehmers. Die Beklagte ist dessen ehemalige Arbeitgeberin. Die Arbeitsvertragsparteien hatten – beiderseits anwaltlich vertreten – über einen Aufhebungsvertrag verhandelt. Der Arbeitnehmervertreter hatte in diesen Verhandlungen unter anderem gegenüber seinem Kollegen erklärt: "Des Weiteren bitte ich um Verständnis, dass in Anbetracht der Erkrankung unseres Auftraggebers mit aufgenommen werden sollte, dass der Abfindungsanspruch bereits jetzt entstanden und vererblich ist". Die Arbeitgeberseite war mit der Aufnahme dieser Formulierung in den Vertrag einverstanden. Der Arbeitnehmer unterzeichnete daraufhin zwei Exemplare der Aufhebungsvereinbarung, die sein anwaltlicher Vertreter unter dem 16.01.2020 an den Arbeitgebervertreter übersandte. Der Geschäftsführer der beklagten Arbeitgeberin unterzeichnete daraufhin – spätestens am 27.01.2020 – ein Exemplar, das dem anwaltlichen Vertreter des Arbeitnehmers am 31.01.2020 zuging. Der Arbeitnehmer war am 25.01.2020 verstorben.
Das Arbeitsgericht hatte der Klage auf Abfindungszahlung stattgegeben.
Entscheidungsgründe
Auf die Berufung der beklagten Arbeitgeberin hin hat das Landesarbeitsgericht das Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Die Revision zum Bundesarbeitsgericht ist zugelassen.
Das Berufungsgericht ist – wie das Gericht erster Instanz – der Auffassung, der Aufhebungsvertrag sei wirksam zustande gekommen. Mit der Absendung des unterzeichneten Aufhebungsvertrages am 16.01.2020 sei ein wirksamer Antrag zum Abschluss eines Aufhebungsvertrages im Sinne des § 145 BGB abgegeben worden. Dabei könne dahinstehen, ob das Angebot auf Abschluss des Aufhebungsvertrages der Beklagten vor oder nach dem Tod des Arbeitnehmers am 25.01.2020 zugegangen ist, da der Tod des Erklärenden dem wirksamen Zugang der Erklärung gemäß § 130 Abs. 2 BGB nicht entgegenstehe. Der der Beklagten zugegangene Antrag sei gemäß § 153 BGB auch noch annahmefähig gewesen. Gemäß § 153 BGB verliere der Antrag die Annahmefähigkeit mit dem Tod oder der Geschäftsunfähigkeit des Antragenden nur dann, wenn ein entsprechender Wille des Antragenden anzunehmen sei. Dabei komme es nur auf den Willen des Antragenden, nicht auch auf den des Antragsempfängers an. Wenn ein Antragender einen entsprechenden Willen nicht ausdrücklich erklärt hat, müsse ein entsprechender Wille im Wege der Auslegung festgestellt werden.
Gerade aufgrund der in den Verhandlungen abgegebenen Erklärungen zum Entstehen des Abfindungsanspruchs und dessen Vererblichkeit könne keinesfalls angenommen werden, der antragende Arbeitnehmer habe die Annahmefähigkeit seines Antrags im Falle seines Versterbens ausschließen wollen.
Die Beklagte habe dieses Angebot durch Unterzeichnung und Übersendung des Aufhebungsvertrages an den anwaltlichen Vertreter des Arbeitnehmers am 27.01.2020 auch wirksam angenommen.
Allerdings sei die Beklagte von der Verpflichtung zur Zahlung der Abfindung gemäß § 326 Abs. 1 S. 1 BGB befreit worden, weil der Arbeitnehmer die von ihm geschuldete Leistung im Zeitpunkt des Zustandekommens des Aufhebungsvertrages am 31. Januar 2020 nicht mehr habe erbringen können. Gemäß § 326 Abs. 1 S. 1 BGB entfalle der Anspruch auf die Gegenleistung, wenn der Schuldner nach § 275 Abs. 1 – 3 BGB nicht zu leisten braucht. In einem arbeitsrechtlichen Aufhebungsvertrag vereinbarten Arbeitgeber und Arbeitnehmer das vorzeitige Ausscheiden des Arbeitnehmers aus einem Dauerarbeitsverhältnis. Neben diesem einzig notwendigen Inhalt des Aufhebungsvertrages könnten die Parteien – wie vorliegend – vereinbaren, dass der Arbeitnehmer als Entschädigung für den Verlust des Arbeitsplatzes eine Abfindung erhält. In diesem Fall schulde der Arbeitnehmer die (vorzeitige) Aufgabe des Arbeitsplatzes und der Arbeitgeber die Zahlung der vereinbarten Abfindung. Die vom Schuldner im Sinne der §§ 275 Abs. 1, 241 Abs. 1 BGB geschuldete Leistung sei weit zu fassen und umfasse nicht nur eine Handlung, ein Unterlassen, die Nichtausübung eines Rechts oder auch die Abgabe einer Willenserklärung, sondern jedes Verhalten des Schuldners. Die von Seiten des Arbeitnehmers geschuldete „Leistung“, nämlich die Aufgabe des Arbeitsplatzes, sei im Zeitpunkt des wirksamen Zustandekommens des Aufhebungsvertrages am 31.01.2020 unmöglich im Sinne des § 275 Abs. 1 BGB gewesen, weil er bereits zuvor am 25. Januar 2020 verstorben war. Das führe zu dem Ergebnis, dass die Erbin den Anspruch auf die als Gegenleistung vereinbarte Abfindung gemäß § 326 Abs. 1 S. 1 BGB verloren habe.
Die vorliegende Fallkonstellation sei außerdem von dem Sachverhalt zu unterscheiden, in dem ein Arbeitnehmer nach wirksamem Zustandekommen des Aufhebungsvertrages vor dem vereinbarten Beendigungszeitpunkt verstirbt. Wird in einem Aufhebungsvertrag dem Arbeitnehmer vom Arbeitgeber die Zahlung einer Entschädigung für den Verlust des Arbeitsplatzes zugesagt, ist durch Auslegung zu ermitteln, wann diese Leistung fällig sein soll. Wird der Vertrag vor dem vereinbarten Ende des Arbeitsverhältnisses geschlossen, wird die Auslegung zumeist ergeben, dass die Fälligkeit der Abfindung bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses eintreten soll (BAG 15. Juli 2004 - 2 AZR 630/03 - juris Rn. 20 ff.). Im vorliegenden Fall haben die Parteien des Aufhebungsvertrages allerdings die klare Regelung aufgenommen, dass die Abfindung mit Abschluss des Aufhebungsvertrages entstanden und damit vererblich sein soll. Wäre der Arbeitnehmer nach Abschluss des Aufhebungsvertrages am 31. Januar 2020 verstorben, wäre die Beklagte zur Zahlung der Abfindung an die Klägerin verpflichtet gewesen.
Hinweis für die Praxis
Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts ist – gerade auch im Hinblick auf die feine Unterscheidung zu der geringfügig anderen und allgemein bekannten Sachverhaltskonstellation – richtig. Allerdings greift der Verweis auf §§ 275 Abs. 1, 326 Abs. 1 S. 1 BGB zu kurz. Bezogen auf den Zeitpunkt des Zustandekommens des Vertrages liegt zwar eine von Anfang an unmögliche Leistung vor; indes ist auch in den Fällen, in denen der Arbeitnehmer nach Abschluss des Aufhebungsvertrages und vor dem vereinbarten Ende des Arbeitsverhältnisses verstirbt, die Leistung unmöglich. Das Arbeitsverhältnis endet nämlich in beiden Konstellationen nicht aufgrund der getroffenen Aufhebungsvereinbarung, sondern aufgrund Todes des Arbeitnehmers. Entscheidend kommt es jedoch auf die Auslegung der beiderseitigen Willenserklärungen vor. Den Antrag hat das Landesarbeitsgericht unter Berücksichtigung der Formulierungen zu Entstehen und Vererblichkeit des Abfindungsanspruchs zutreffend ausgelegt. Die gebotene Auslegung der Annahmeerklärung der Arbeitgeberseite schließt zwar sicherlich die Fälle ein, in denen der Arbeitnehmer nach rechtswirksamem Abschluss der Aufhebungsvereinbarung und vor dem vereinbarten Ende des Arbeitsverhältnisses verstirbt. Dies ist nicht nur durch die Formulierung zu Entstehen und Fälligkeit des Abfindungsanspruches gedeckt, sondern entspricht auch dem tatsächlichen Willen der Arbeitgeberseite, ein eventuell auf unbestimmte Zeit fortbestehendes Arbeitsverhältnis rechtssicher zu beenden. Keinesfalls kann der Annahmeerklärung des Arbeitgebers aufgrund der Formulierung zu Entstehen und Fälligkeit des Abfindungsanspruchs jedoch der Wille beigelegt werden diese Abfindung auch bezahlen zu wollen, wenn der Arbeitnehmer im Zeitpunkt der Annahmeerklärung bereits verstorben ist.
Daraus ergibt sich zugleich, dass auch dieser Sachverhalt der Vertragsgestaltung zugänglich ist. Eine Formulierung im Aufhebungsvertrag beispielsweise folgenden Wortlauts: »Der Abfindungsanspruch entsteht mit Unterzeichnung dieser Vereinbarung durch den Arbeitnehmer, wenn der Vertrag rechtswirksam zustande kommt; er ist ab Unterzeichnung durch den Arbeitnehmer vererblich.« hätte zu einem anderen Ergebnis des Rechtsstreits geführt.
4. Februar 2022