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Kündigung schwangerer Frau nicht diskriminierend

Die Vermutung einer Benachteiligung wegen des Geschlechts bzw. einer Schwangerschaft ist widerlegt, wenn ausschließlich andere Gründe zu der ungünstigeren Behandlung geführt haben. Mit dieser Begründung hat das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern mit Urteil vom 16. August 2022 (Az. 5 Sa 6/22) den Entschädigungsanspruch einer schwangeren Frau wegen ihrer Kündigung versagt.

Sachverhalt

Dem Urteils des Landesarbeitsgerichts Mecklenburg-Vorpommern liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Die zum damaligen Zeitpunkt schwangere Klägerin war als angestellte Rechtsanwältin bei dem Beklagten beschäftigt. Im Zusammenhang mit Umstrukturierungen der Kanzlei fiel auf, dass einige Akten aus dem elektronischen Aktenverwaltungssystem gelöscht worden waren. Es konnte rekonstruiert werden, dass die gelöschten Verfahren den Ehemann und die Schwiegermutter der Klägerin betrafen. Daraus resultierte der Verdacht, die Klägerin habe Privatakten über die Kanzlei bearbeitet, die aufgrund der persönlichen Verflechtung zu den Mandanten nicht abgerechnet werden sollten und anschließend, um („Spuren zu verwischen“) aus dem System gelöscht wurden.

Der Beklagte kündigte der schwangeren Klägerin fristlos, ohne zuvor die behördliche Zustimmung gem. § 17 MuSchG eingeholt zu haben. Das Arbeitsverhältnis wurde später durch Eigenkündigung der Klägerin wirksam beendet. Wegen der unwirksamen Kündigung erhob sie Klage auf Zahlung einer Entschädigung gem. § 15 Abs. 2 AGG. Sie war der Auffassung, der Verstoß gegen § 17 MuSchG indiziere ihre Benachteiligung wegen des Geschlechts.

Das Arbeitsgericht Stralsund hat die Klage in erster Instanz abgewiesen. Die Berufung der Klägerin vor dem Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern blieb nun ohne Erfolg.

Entscheidungsgründe

Das Landesarbeitsgericht bestätigte zwar die Auffassung der Klägerin, dass die Missachtung der besonderen Schutzvorschriften des MuSchG, hier des behördlichen Zustimmungserfordernis gem. § 17 MuSchG, eine Benachteiligung der Klägerin wegen ihrer Schwangerschaft und damit wegen ihres Geschlechts indiziere. Bestehe die Vermutung einer Benachteiligung, so trage die andere Partei die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht verletzt worden sei. Der Arbeitgeber müsse demnach Tatsachen vortragen und ggf. beweisen, aus denen sich ergebe, dass ausschließlich andere als die in § 1 AGG genannten Gründe zu einer ungünstigeren Behandlung geführt haben. Gegen eine Diskriminierung spreche es, wenn jeder andere in dieser Situation – unabhängig von seinem Geschlecht oder einer Schwangerschaft – ebenso behandelt worden wäre.

Hiervon ist das Landesarbeitsgericht ausgegangen. Die Kündigung der Klägerin habe ihre Ursache nicht in der Schwangerschaft. Sie sei auch nicht einer von mehreren Beweggründen für den Ausspruch der Kündigung. Ausschließlicher Beweggrund für die Kündigung sei die der Klägerin zugeschriebene Löschung von Daten aus dem Aktenverwaltungssystem. Angesichts der im Raum stehenden Vorwürfe, die ihre Tätigkeit als Rechtsanwältin betreffen, sei die Schwangerschaft der Klägerin nicht mehr von Bedeutung gewesen. Vielmehr hätte der Beklagte in dieser Situation – unabhängig von Rasse, ethnischer Herkunft, Geschlecht, Religion, Weltanschauung, Behinderung, Alter oder sexueller Identität – auch bei jeder anderen Mitarbeiterin oder jedem anderen Mitarbeiter eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses angestrebt.

Hinweise für die Praxis

Die Entscheidung veranschaulicht, dass die Unwirksamkeit einer Kündigung und AGG-Entschädigungsansprüche an unterschiedliche Bedingungen geknüpft sind. Während die Kündigung der schwangeren Klägerin aufgrund der Vorschriften des MuSchG evident unwirksam war, lag dennoch keine nach dem AGG sanktionierbare Benachteiligung wegen ihres Geschlechts bzw. ihrer Schwangerschaft vor. Für einen Entschädigungsanspruch hätte es nach ständiger Rechtsprechung zwar bereits ausgereicht, dass die Schwangerschaft nur Teil eines „Motivbündels“ ist, welches die Entscheidung zur Kündigung beeinflusst hat. Hiervon ist das Landesarbeitsgericht aber angesichts der erheblichen Vorwürfe gegen die Klägerin nicht ausgegangen.

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