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Keine nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage bei falscher Rechtsauskunft des Betriebsrats

Das Landesarbeitsgericht Hamm (LAG Hamm) hat mit Urteil vom 11.01.2022 entschieden, dass eine nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage nicht möglich sei, wenn der Arbeitnehmer die Einhaltung der Dreiwochenfrist des § 4 S. 1 KSchG versäume, weil ihm der Betriebsratsvorsitzende sagt, er müsse sich um nichts weiter kümmern und brauche auch keine Klage einzureichen.

Sachverhalt

Dem Urteil des LAG Hamm liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Der ordentlich unkündbare Kläger war bei der Beklagten seit 1989 als Arbeitnehmer beschäftigt. Die Beklagte beschäftigte rund 80 Arbeitnehmer und kündigte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger mit Schreiben vom 28.10.2020, welches dem Kläger am 29.10.2020 zuging, zum 31.05.2020.

Am 30.10.2020 ging dem Kläger eine Einladung der Beklagten zu einem BEM-Gespräch zu. Mit am 24.11.2020 beim Arbeitsgericht eingegangener Klageschrift hat der Kläger Kündigungsschutzklage erhoben; mit Schriftsatz vom 26.11.2020 wurde die nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage beantragt.

Der Kläger behauptet, ihm sei am Tag des Zugangs der Kündigung vom Betriebsratsvorsitzenden mitgeteilt worden, der Betriebsrat sei am 28.10.2020 per E-Mail über die Kündigung informiert worden, eine Betriebsratsanhörung habe aber nicht stattgefunden. Der Betriebsrat wolle der Kündigung auch widersprechen. Der Kläger müsse sich daher um nichts weiter kümmern und brauche auch keine Klage einzureichen. Erst am 24.11.2020 habe der Betriebsrat sich bei der späteren Prozessbevollmächtigten des Klägers nach dem weiteren Vorgehen erkundigt, woraufhin Kündigungsschutzklage erhoben worden sei. Der Kläger legte eine eigene eidesstattliche Versicherung sowie eine solche des Betriebsratsvorsitzenden zur Glaubhaftmachung seines Vortrags vor. Die Kündigung sei unwirksam und die Klage nachträglich zuzulassen, weil er keine Kenntnis von der Dreiwochenfrist gehabt habe, ein Verschulden könne ihm nicht zur Last gelegt werden.

Die Beklagte berief sich auf eine Verfristung der Kündigungsschutzklage und bestritt den klägerischen Vortrag mit Nichtwissen, da die behaupteten Gespräche sich ihrer eigenen Wahrnehmung entzogen. Unabhängig davon sei der Betriebsrat keine Stelle, bei deren Falschauskunft den Arbeitnehmer kein Verschulden treffe. Die Rechtsberatung von Arbeitnehmern gehöre nicht zu den Aufgaben des Betriebsrats.

Das Arbeitsgericht hat die nachträgliche Zulassung der Klage abgelehnt und die Klage wegen Verfristung abgewiesen. Die Berufung des Klägers blieb beim LAG Hamm aus demselben Grund erfolglos.

Entscheidungsgründe

Das LAG Hamm begründete die Klageabweisung im Wesentlichen damit, dass die Klagefrist des § 4 S. 1 KSchG keine rein prozessuale Frist sei, sondern ihre Nichteinhaltung aufgrund der dann nach § 7 KSchG greifenden Fiktion der materiellen Wirksamkeit der Kündigung mit einer Ausschlussfrist vergleichbar eine unmittelbare materielle Wirkung habe. Dies solle das Interesse des Arbeitgebers an einer alsbaldigen auch materiell-rechtlichen Rechtssicherheit in Bezug auf die Auflösung eines Arbeitsverhältnisses durch eine arbeitgeberseitige Kündigung schützen. Individuelle Besonderheiten könnten daher im Rahmen einer nachträglichen Klagezulassung keine Rolle spielen.

Im Falle eigener Unkenntnis von der Notwendigkeit, innerhalb von drei Wochen einen Kündigungsschutzklage zu erheben, komme eine nachträgliche Zulassung nur dann in Betracht, wenn der Arbeitnehmer sich an eine zur Erteilung von Auskünften geeignete, zuverlässige Stelle wende und von dort eine für die Fristversäumnis ursächliche unrichtige Auskunft erhalte. Er müsse aber bei seiner Anfrage deutliche gemacht haben, dass es sich um eine Kündigung handelt, gegen die er sich rechtlich zur Wehr setzen wolle.

Nach allgemeiner Auffassung sei ein Betriebsrat keine zur Erteilung von Rechtsauskünften geeignete Stelle, so dass dessen unrichtige Auskunft die nachträgliche Klagezulassung nicht rechtfertigen könne. Die Rechtsberatung von Arbeitnehmern gehöre nicht zu den Aufgaben des Betriebsrats.

Das LAG Hamm hat wegen grundsätzlicher Bedeutung die Revision zugelassen. Es sei höchstrichterlich bislang nicht entschieden, ob der Betriebsrat eine zur Erteilung von Rechtsauskünften geeignete Stelle ist oder nicht. Sollte er objektiv anders als vom LAG vertreten eine solche geeignete Stelle sein und allein ein objektiver Maßstab bei der Beurteilung des Verschuldens anzuwenden sein, käme es auf eine subjektive Vorwerfbarkeit der Versäumung der Dreiwochenfrist nicht mehr an.

Hinweise für die Praxis

Das Ergebnis des LAG Hamm ist zu begrüßen, indessen aber nicht zwingend. So haben andere Landesarbeitsgerichte wie etwa das LAG Sachsen und das LAG Baden-Württemberg – wenn auch in älteren Entscheidungen – die Auffassung vertreten, die Kündigungsschutzklage sei in der Regel nachträglich zuzulassen, wenn der Arbeitnehmer sich Rat suchend an den Betriebsrat gewandt und eine falsche Auskunft erhalten habe; abzustellen sei auf den Einzelfall. Daher ist es bedauerlich, dass die vom LAG zugelassene Revision zum Bundesarbeitsgericht nicht zu einer höchstrichterlichen Klärung der Frage führen wird, weil das Verfahren nach Einlegung der Revision zum BAG (dortiges Az. 2 AZR 87/22) zwischenzeitlich – ohne Entscheidung des BAG – erledigt ist.

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