Stefan Daub, Fachanwalt für Arbeitsrecht

Keine Arbeitnehmerüberlassung im Gemeinschaftsbetrieb

Das Bundesarbeitsgericht hat bestätigt (Urteil vom 24.05.2022, 9 AZR 337/21), dass auch nach der Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes im Jahr 2017 eine Überlassung von Arbeitnehmern i.S.d § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG nicht vorliegt, wenn ein Arbeitnehmer in einem Gemeinschaftsbetrieb beschäftigt wird, zu dessen gemeinsamer Führung sich sein Arbeitgeber und ein Dritter rechtlich verbunden haben.

Sachverhalt

Dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Der klagende Arbeitnehmer steht mit der Beklagten zu 2. seit dem 01.12.2013 in einem Arbeitsverhältnis, die den Kläger an die Beklagte zu 1. im Wege der Arbeitnehmerüberlassung überlassen hatte. Die Beklagte zu 2. ist im Besitz einer unbefristeten Erlaubnis zur gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung. Die Beklagte zu 1. betreibt den Flughafen F. und ist die alleinige Gesellschafterin der Beklagten zu 2.

Die Beklagte zu 2. setzt den Arbeitnehmer nach Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) und Einführung einer gesetzlichen Höchstdauer für die Überlassung von 18 Monaten seit dem 01.07.2017 in einem neu gegründeten Gemeinschaftsbetrieb ein, den sie ab diesem Zeitpunkt auch mit der Beklagten zu 1. gebildet hat. Betriebsverfassungsrechtlich wurden die im neuen Gemeinschaftsbetrieb gemeinsam beschäftigten Arbeitnehmer auf der Grundlage der Landesbezirkstarifverträge weiterhin durch unterschiedliche Betriebsräte vertreten.

Mit der eingereichten allgemeinen Feststellungsklage wollte der Kläger u.a. feststellt lassen, dass er in einem Arbeitsverhältnis mit der Beklagten zu. 1. als Entleiher auf Grundlage der Vorschriften des AÜG steht, und zwar schon rückwirkend seit Beginn des Arbeitsverhältnisses. Der Kläger ging dabei u.a. davon aus, dass er seit dem 01.07.2017 weiterhin als Leiharbeitnehmer im Betrieb der Beklagten zu 1. eingesetzt worden ist.

Das Arbeitsgericht Frankfurt a. M. wies die Klage ab, das Hessische Landesarbeitsgericht wies die Berufung des Klägers gegen das erstinstanzliche Urteil zurück.

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers beim Bundesarbeitsgericht (BAG) führte nicht zu einer endgültigen Entscheidung. Das BAG hob das Urteil vielmehr auf und verwies den Rechtsstreit an das Hessische Landesarbeitsgericht zur Aufklärung und erneuten Entscheidung zurück. Mit der Entscheidung hat das BAG bereits wichtige Rechtsfragen geklärt.

Das BAG bestätigt mit dem Urteil vor allem seine bisherige Rechtsprechung zum Gemeinschaftsbetrieb und der grundsätzlichen Nichtanwendbarkeit des AÜG. An einer Überlassung von Arbeitnehmern an einen Dritten fehle es, wenn sich der Personaleinsatz auf Seiten des Vertragsarbeitgebers nicht darauf beschränke, einem Dritten den Arbeitnehmer zur Förderung von dessen Betriebszwecken zur Verfügung zu stellen, sondern der Vertragsarbeitgeber damit eigene Betriebszwecke verfolge. In einem solchen Fall begründeten auch ein fachliches Weisungsrecht des Dritten und die Zusammenarbeit des Arbeitnehmers mit dessen Arbeitnehmern keine Arbeitnehmerüberlassung im Sinne des AÜG. Keine Arbeitnehmerüberlassung liege damit vor, wenn ein Arbeitnehmer in einen Gemeinschaftsbetrieb entsandt werde, zu dessen gemeinsamer Führung sich sein Vertragsarbeitgeber und ein Dritter rechtlich verbunden haben. Begründet wird dies u. a. damit, dass bereits ein „fremder Betrieb“ fehle, in den der Leiharbeitnehmer vollständig eingegliedert werden könnte.

Das BAG erläuterte auch, wann ein Gemeinschaftsbetrieb mehrerer Unternehmen vorliegt: Die in einer Betriebsstätte vorhandenen materiellen und immateriellen Betriebsmittel mehrerer Unternehmen müssen zu arbeitstechnischen Zwecken zusammengefasst, geordnet und gezielt eingesetzt und der Einsatz der menschlichen Arbeitskraft muss von einem einheitlichen Leitungsapparat betriebsbezogen gesteuert werden. Die beteiligten Unternehmen müssen sich dazu zumindest stillschweigend zu einer gemeinsamen Führung rechtlich verbunden haben, so dass der Kern der Arbeitgeberfunktionen im sozialen und personellen Bereich von derselben institutionellen Leitung ausgeübt wird. Eine lediglich unternehmerische Zusammenarbeit genügt dafür nicht.

Da es vor dem 01.04.2017 keine gesetzliche Regelung gab, nach der bei einem Verstoß gegen die damals nur „vorübergehend“ zulässige Überlassung ein Arbeitsverhältnis mit dem Entleiher gesetzlich fingiert wurde, entstand bis zum 31.03.2017 kein Arbeitsverhältnis mit der Beklagten zu 1.

Das BAG hat mit der Entscheidung geklärt, dass für die Ermittlung der maximalen Überlassungsdauer von 18 aufeinander folgenden Monaten (§ 1 Abs. 1b AÜG) Zeiten nicht zu berücksichtigt sind, in denen ein Arbeitnehmer bereits vor dem 01.04.2017 an denselben Entleiher überlassen worden war. In der Zeit vom 01.04.2017 bis zum 30.06.2017 wurde der Kläger nur für 3 Monate als Leiharbeitnehmer eingesetzt, damit wurde die Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten nicht überschritten.

Auf die Frage, ob der Kläger ab dem 01.07.2017 länger als 18 aufeinander folgende Monate überlassen war, kommt es dann nicht an, wenn der Arbeitnehmer ab dem 01.07.2017 in einem Gemeinschaftsbetrieb beschäftigt wurde.

Die betriebsverfassungsrechtliche Struktur in einem von mehreren beteiligten Unternehmen gemeinsam geführten Betrieb wich im entschiedenen Fall indes vom gesetzlichen Leitbild eines einzigen, gemeinsamen Betriebsrates für einen Gemeinschaftsbetrieb ab. Das BAG hat zwar festgestellt, dass allein die Existenz mehrerer Betriebsräte nicht zwingend der Annahme entgegensteht, dass es sich bei einem von den beteiligten Unternehmen errichteten Betrieb um einen Gemeinschaftsbetrieb handelt. Der Rechtsstreit musste zur weiteren Aufklärung und Entscheidung aber an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen werden, weil die für das Bestehen eines Gemeinschaftsbetriebs erforderlichen tatsächlichen Feststellungen für eine endgültige Entscheidung nicht ausgereicht hatten. Läge tatsächlich kein Gemeinschaftsbetrieb vor, wäre der Kläger länger als 18 Monate nach dem 01.04.2017 überlassen worden, dann würde er in einem Arbeitsverhältnis mit der Beklagten zu 1. stehen, was er mit der Klage feststellen will.

Hinweise für die Praxis

Das Urteil ist für die Praxis wichtig, es bestätigt und führt die bisherige Rechtsprechung des BAG zur Rechtslage bis zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes mit Wirkung ab dem 01.04.2017 fort. Die Bildung eines Gemeinschaftsbetriebs kann damit weiterhin eine gestalterische Alternative zu einer Arbeitnehmerüberlassung sein, wenn ein Gemeinschaftsbetriebs auch wirklich vorliegt, gelebt wird und nicht nur auf dem Papier steht. Ein Gemeinschaftsbetrieb hat sicher Vorteile, aber auch Nachteile. So muss u. a. bei einer betriebsbedingten Kündigung der Wegfall des Beschäftigungsbedarfes bezogen auf den Gemeinschaftsbetrieb überprüft werden und auch muss die Sozialauswahl unternehmensübergreifend im Gemeinschaftsbetrieb geprüft werden. Ob eine wie im entschiedenen Fall bewusste Errichtung eines Gemeinschaftsbetriebs sinnvoll ist, muss in jedem Einzelfall sorgfältig geprüft werden.

Die Entscheidung des BAG zeigt, dass auch bei einer sorgfältigen Planung zur Errichtung eines Gemeinschaftsbetriebes in einem evtl. späteren gerichtlichen Verfahren genau geprüft wird, ob in der tatsächlichen Durchführung auch wirklich ein Gemeinschaftsbetrieb vorliegt. Ob das in dem immer noch anhängigen Fall so war und ist, wird das Landesarbeitsgericht entscheiden müssen. Die schlichte Bezeichnung als Gemeinschaftsbetrieb reicht jedenfalls nicht aus.

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