Stefan Daub, Fachanwalt für Arbeitsrecht

Ein Arbeitgeber kann sich nicht auf die Grundsätze zur Anscheinsvollmacht bei Abschluss einer Betriebsvereinbarung berufen

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat entschieden, dass eine von einem Betriebsratsvorsitzenden ohne vorherigen Beschluss des Gremiums abgegebene Erklärung zum Abschluss einer Betriebsvereinbarung dem Betriebsrat nicht nach den Grundsätzen einer Anscheinsvollmacht zugerechnet werden kann.

Sachverhalt

Dem Urteil des BAG liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Die Parteien streiten um die Zahlung von Vergütung. Der Kläger ist Industriemechaniker, und auf sein Arbeitsverhältnis finden die Tarifverträge der Eisen- und Stahlindustrie Anwendung. Der Kläger ist der Ansicht, dass zur Ermittlung der Höhe der Vergütung er weiterhin nach der sog. analytischen Arbeitsbewertung einzustufen ist, was die Betriebsparteien so in einer den Tarifvertrag ergänzenden Betriebsvereinbarung vom 31.05.1967 festgelegt hatten.

Die Beklagte berechnete die Vergütung des Klägers indes beginnend ab Januar 2018 auf Basis einer am 08.06.2017 vom Vorsitzenden des Betriebsrats unterzeichneten Betriebsvereinbarungen, aufgrund derer der Kläger nunmehr „nach der summarischen Bewertung“ in die Lohngruppen 6 des Lohnrahmentarifvertrages 1978 eingeordnet wurde. In der Betriebsvereinbarung aus dem Jahr 2017 wurde auch festgelegt, dass mit Unterzeichnung alle anderen geltenden Betriebsvereinbarungen, die Regelungen zur Entlohnung beinhalten, ihre Gültigkeit verlieren.

Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf hatte im Berufungsverfahren aufgrund einer Beweisaufnahme festgestellt, dass der Betriebsrat keinen Beschluss zur Unterzeichnung der Betriebsvereinbarung gefasst hatte.

Der Kläger stellt sich deshalb auf den Standpunkt, er sei weiterhin nach der analytischen Arbeitsbewertung einzustufen und die Betriebsvereinbarung aus dem Jahr 2017 habe die Betriebsvereinbarung aus dem Jahr 1967 nicht ablösen können, da sie mangels eines wirksamen Betriebsratsbeschlusses unwirksam sei.

Die Beklagte ging davon aus, dass die Betriebsvereinbarung aus dem Jahr 2017 wirksam abgeschlossen worden sei und der Betriebsrat deren Abschluss mit der Mehrheit der Stimmen der anwesenden Mitglieder beschlossen hätte, jedenfalls sei von einer sog. Anscheinsvollmacht des Betriebsratsvorsitzenden auszugehen.

Das Arbeitsgericht Wuppertal hat einen Antrag des Klägers durch Teilurteil abgewiesen, die Berufung des Klägers vor dem Landesarbeitsgericht blieb erfolglos. Das Landesarbeitsgericht ging davon aus, die Betriebsvereinbarung sei nach den Rechtsgrundsätzen einer Anscheinsvollmacht rechtswirksam zustande gekommen.

Entscheidungsgründe

Dem folgte das BAG nicht und hob die Urteile erster und zweiter Instanz auf, es verwies den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Arbeitsgericht zurück.

Der Betriebsrat könne bei Abschluss einer Betriebsvereinbarung nur als Kollegialorgan handeln, er bilde seinen gemeinsamen Willen durch Beschluss (vgl. § 33 BetrVG). Eine nicht von einem Betriebsratsbeschluss umfasste Erklärung seines Vorsitzenden sei (schwebend) unwirksam und könne daher keine Rechtswirkungen entfalten. Deshalb könne eine ohne einen entsprechenden Beschluss vom Vorsitzenden abgegebene Erklärung zum Abschluss einer Betriebsvereinbarung dem Betriebsrat auch nicht auf der Grundlage einer Anscheinsvollmacht zugerechnet werden. Gerade die gesetzlich eingeräumte Befugnis des Betriebsrats zur Schaffung von objektivem, betrieblichem Recht erfordere eine den demokratischen Grundprinzipien gerecht werdende Willensbildung des Gremiums Betriebsrat, die nach dem Willen des Gesetzgebers ausdrücklich und gemeinschaftlich durch einen mehrheitlich getroffenen Beschluss zu erfolgen habe.

Der Mangel des fehlenden Beschlusses kann nach Ansicht des BAG aber geheilt werden, was vorliegend indes nicht geschehen ist. Die Erklärung des Betriebsratsvorsitzenden sei gem. § 177 Abs. 1 BGB zunächst nur schwebend unwirksam und könne damit vom Betriebsrat (nachträglich) genehmigt werden. Die Anwendung dieser Norm aus dem Vertretungsrecht sei auch geboten, um den Betriebsparteien die Möglichkeit zu eröffnen, evtl. Fehler bei der Beschlussfassung des Betriebsrats im Nachhinein zu beheben. Die Genehmigung seitens des Betriebsrats müsse dann aber durch einen (wirksamen) Beschluss erfolgen. Eine vom Betriebsrat beschlossene Genehmigung wirke entsprechend § 184 Abs. 1 BGB auf den Zeitpunkt der Unterzeichnung der Betriebsvereinbarung zurück.

Da der Rechtsstreit nicht entscheidungsreif war, hat das BAG diesen zurückverwiesen, im entschiedenen sogar an das Arbeitsgericht, weil dieses unzulässig ein Teilurteil erlassen hatte.

Hinweise für die Praxis

Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zeigt deutlich auf, dass ein Arbeitgeber gut beraten ist, wenn er gerade auch nach längeren Verhandlungen und kurz vor der Ziellinie nochmals sorgfältig überwacht und sich das auch nachweisen lässt, dass tatsächlich ein Beschluss des Betriebsrates gefasst wurde – auf Aussagen des Betriebsratsvorsitzenden kann er sich dabei leider nicht verlassen, und zwar auch dann nicht, wenn der Betriebsratsvorsitzende evtl. gutgläubig davon ausgeht, dass er die Betriebsvereinbarung für den Betriebsrat wirksam unterzeichnet.

An der derzeitigen Rechtsprechung des BAG zu Mängeln im Zuständigkeits- und Verantwortungsbereich des Betriebsrates bei einem (einseitigen) Anhörungsverfahrens nach § 102 BetrVG vor Ausspruch einer Kündigung (bei dem keine Vereinbarung mit dem Betriebsrat geschlossen werden muss), soll sich aufgrund der neuen Entscheidung nichts ändern (sog. Sphärentheorie). Solche Fehler müssen sich nach Ansicht des BAG weiterhin nicht zulasten des Arbeitgebers auswirken (vgl. hierzu BAG 06.10.2005, 2 AZR 316/04).

Das BAG zeigt in der Entscheidung erfreulicherweise lehrbuchartig aber auch auf, wie ein Arbeitgeber an die notwendigen Informationen dazu kommt, ob ein wirksamer Beschluss des Betriebsrates vor Unterzeichnung vorlag. Im Leitsatz führt das BAG aus, dass der Betriebsrat bei Abschluss einer Betriebsvereinbarung die Nebenpflicht habe, dem Arbeitgeber auf dessen zeitnah (!) geltend zu machendes Verlangen eine den Maßgaben des § 34 Abs. 2 Satz 1 BetrVG entsprechende Abschrift desjenigen Teils der Sitzungsniederschrift auszuhändigen, aus dem sich die Beschlussfassung des Gremiums ergibt.

Z.B. bei Abschluss eines Interessenausgleichs- und Sozialplans muss deshalb erwogen werden, den Betriebsrat aufzufordern, die von ihm nach der Entscheidung des BAG vorzulegenden Nachweise über den ordnungsgem. Betriebsratsbeschluss bereits kurz vor oder zumindest bei Unterzeichnung der Vereinbarung(en) vorzulegen, zumal ein Arbeitgeber in solchen Situationen oft rasch im Anschluss handeln und z.B. Kündigungen aussprechen muss.

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