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Keine Anrechnung von Quarantänezeiten auf den Jahresurlaub

Das Landesarbeitsgericht Hamm hat mit Urteil vom 27. Januar 2022 (Az. 5 Sa 1030/21) entschieden, dass im Fall der Anordnung einer Quarantäne während eines bewilligten Urlaubs die in die Zeit der Quarantäne fallenden Tage auf den Urlaub nicht anzurechnen und in der Folge entfallene Urlaubstage nachzugewähren sind.

Sachverhalt

Dem Urteil des LAG Hamm liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Die Parteien streiten über die Gutschrift von acht Urlaubstagen für das Jahr 2020. Der Kläger ist bei der Beklagten als Schlosser beschäftigt. Für die Zeit vom 12. bis 21. Oktober 2020 gewährte die Beklagte dem Kläger antragsgemäß Urlaub im Umfang von acht Tagen. Am 14. Oktober 2020 ordnete die Stadt Hagen die häusliche Quarantäne des Klägers vom 9. bis 21. Oktober 2020 an, da er zuvor mit einem bestätigten COVID-19-Fall in Kontakt gekommen war. Der Kläger informierte die Beklagte unverzüglich über die Quarantäne. Nach dem 21. Oktober 2020 wurde das Zeitkonto des Klägers mit acht Urlaubstagen belastet. Auf die mehrfache schriftliche Aufforderung des Klägers, die Urlaubstage wieder gutzuschreiben, reagierte die Beklagte nicht.

Das Arbeitsgericht Hagen hat die auf Gutschrift der acht Urlaubstage gerichtete Klage des Klägers in erster Instanz abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht Hamm hat das erstinstanzliche Urteil nun abgeändert und die Beklagte antragsgemäß verurteilt.

Entscheidungsgründe

Das LAG Hamm begründet seine Entscheidung damit, dass § 9 BUrlG analog auf den Fall einer angeordneten Quarantäne anzuwenden sei. Zwar habe das BAG entschieden, dass die Bestimmungen der §§ 9, 10 BUrlG nicht verallgemeinerungsfähig seien, und ihre entsprechende Anwendung auf andere urlaubsstörende Ereignisse oder Tatbestände, aus denen sich eine Beseitigung der Arbeitspflicht des Arbeitnehmers ergebe, grundsätzlich nicht in Betracht komme (BAG, Urteil vom 25. August 2020 – 9 AZR 612/19).

Im Fall einer angeordneten Quarantäne sei aber eine Vergleichbarkeit mit der Situation eines arbeitsunfähig erkrankten Arbeitnehmers gegeben. Zwar schulde der Arbeitgeber tatsächlich keinen „Urlaubserfolg“. Der Arbeitnehmer solle aber nach § 1 BurlG zur Erfüllung des Urlaubsanspruchs von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung freigestellt werden, um ihm die uneingeschränkte Möglichkeit selbstbestimmter Nutzung seiner Freizeit zu geben (BAG, Urteil vom 25. August 2020 – 9 AZR 612/19). Die Quarantäne-Bestimmungen verhinderten dieses, da sie bestimmten, wo sich eine Person aufzuhalten habe, mit wem sie Kontakt haben dürfe und ob sie sich gegebenenfalls Untersuchungen unterziehen müsse. Die Anordnung einer Quarantäne stehe damit einer freien, selbstbestimmten Gestaltung des Urlaubszeitraumes diametral gegenüber.

Das LAG Hamm ist daher im Ergebnis der Ansicht, dass auch im Hinblick auf die Rechtsprechung des BAG, die eine analoge Anwendung von § 9 BUrlG nur grundsätzlich ausschließe, und im Lichte der Rechtsprechung des EuGH zu Art. 7 der RL 2003/88/EG im Falle einer Anordnung einer Quarantäne während eines bewilligten Urlaubs die in die Zeit der Quarantäne fallenden Tage auf den Urlaub nicht anzurechnen und in der Folge entfallene Urlaubstage nachzugewähren seien.

Die Revision zum Bundesarbeitsgericht wurde zugelassen.

Hinweise für die Praxis

Mit seiner Entscheidung weicht das LAG Hamm von der bisherigen Rechtsprechung ab. Neben einigen Arbeitsgerichten haben zuletzt auch das LAG Düsseldorf (Urteil vom 15. Oktober 2021 – 7 Sa 857/21, vgl. Newsletter Nr. 47/2021) und das LAG Köln (Urteil vom 13. Dezember 2021 – 2 Sa 488/21) die Nachgewährung von Urlaubstagen infolge einer behördlichen Quarantäne-Anordnung abgelehnt. Auch in diesen Verfahren wurde jeweils die Revision zugelassen.

Das letzte Wort dürfte nun das BAG haben. Die Frage ist von durchaus hoher praktischer Relevanz, nicht zuletzt da die gegenwärtige „Omikron-Welle“ derzeit eine Vielzahl von Quarantäne-Anordnungen nach sich zieht. Sollte sich das BAG der Auffassung des LAG Hamm anschließen, drohen vielen Arbeitgebern erhebliche Urlaubsnachforderungen seitens der Belegschaft. Die bislang eindeutige Rechtsprechung deutet allerdings darauf hin, dass sich das LAG Hamm mit seiner arbeitnehmerfreundlichen Position nicht durchsetzen wird.

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