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Gruppenbildung bei betriebsbedingten Kündigungen anhand einer „Qualifikations-Matrix“

Das Landesarbeitsgericht Hamm hat am 14. Juli 2022 (18 Sa 1548/22) entschieden, dass wenn ein Arbeitgeber im Rahmen der Sozialauswahl Gruppen anhand von Qualifikationsmerkmalen gebildet hat, aus jeder dieser Gruppe die anteilig gleiche Anzahl an Arbeitnehmern entlassen muss.

Sachverhalt

Der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Hamm liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Ein seit 1990 in einem Betrieb mit mehr als zehn Arbeitnehmern beschäftigter Logistikmitarbeiter wurde im März 2021 im Rahmen einer Kündigungswelle ordentlich betriebsbedingt gekündigt. Zuvor hatten Arbeitgeber und Betriebsrat einen Interessenausgleich mit Namensliste im Sinne von § 1 Abs. 5 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) vereinbart, in der der Kläger als zu kündigender Arbeitnehmer genannt wurde. Die Sozialauswahl unter den Logistikern nahm der Arbeitgeber in der Weise vor, dass er mit einer „Qualifizierungs-Matrix“ vier Vergleichsgruppen von Arbeitnehmern bildete und die Sozialauswahl nur innerhalb der jeweiligen Gruppen vornehmen wollte. Je nach der Höhe ihrer Qualifikation wurden die Arbeitnehmer einer der vier Gruppen zugeordnet, wobei die Gruppe 1 die am besten und die Gruppe 4 die am wenigsten gut qualifizierten Arbeitnehmer beinhaltete. Von den in den Gruppen 1, 2 und 3 befindlichen Arbeitnehmern wurde niemand gekündigt. Von Kündigungen betroffen waren allein die Arbeitnehmer der Gruppe 4, zu der auch der Kläger gehörte. Innerhalb dieser Gruppe hatte er die vierthöchste Punktzahl und wurde zusammen mit fünf weiteren Arbeitnehmern dieser Gruppe gekündigt.

Entscheidung

Die Kündigungsschutzklage hatte sowohl vor dem Arbeitsgericht als auch vor dem Landesarbeitsgericht Erfolg. Die Sozialauswahl beschränkte die Beklagte auf die acht Arbeitnehmer, die nach den Maßstäben der „Qualifizierungs-Matrix“ in der niedrigsten Qualifizierungsgruppe befanden. Die übrigen 30 Arbeitnehmer aus den höheren Qualifizierungsgruppen bezog die Beklagte nicht mehr in die Sozialauswahl ein. Zwar sei eine Gruppenbildung nach Ausbildung und Qualifikation zulässig, da zur Personalstruktur auch die Leistungsstärke der Belegschaft gehört. Der Erhalt der Personalstruktur bedeute aber, dass das Verhältnis der leistungsstarken und -schwachen Arbeitnehmern in etwa gleichbleiben muss.

Vergeblich hatte sich der Arbeitgeber auf § 1 Abs.3 Satz 2 KSchG berufen, wonach Arbeitnehmer nicht in die Sozialauswahl einzubeziehen sind, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Dieser Ausnahmetatbestand lag hier nicht vor. Die Sozialauswahl war grob fehlerhaft durchgeführt.

Hintergrund

Für eine ordnungsgemäß durchgeführte Sozialauswahl reicht es meist nicht aus, zulässige Punktesysteme des BAGs in einer Exceltabelle mit Mitarbeiterdaten zu hinterlegen und anzuwenden.

Die Pflicht der Vornahme der Sozialauswahl gemäß § 1 Abs. 3 KSchG, dient dem Ziel den sozial stärksten Arbeitnehmer aus dem Kreis vergleichbarer Arbeitnehmer zu schützen. Die Vergleichbarkeit besteht auf derselben Betriebshierarchie innerhalb des Betriebs und setzt eine arbeitsvertragliche und qualifikationsmäßige Austauschbarkeit voraus.

Zwar muss bei einem formwirksamen Interessenausgleich mit Namensliste nur eine eingeschränkte Überprüfung der Sozialauswahl auf grobe Fehlerhaftigkeit vorgenommen werden, aber nach dem Gesetz ist nur der Erhalt der ausgewogenen Personalstruktur und nicht auch die Veränderung der bisherigen Personalstruktur als berechtigtes betriebliches Interesse angesehen. Daraus schlussfolgert das Gericht vorliegend richtigerweise, dass aus jeder Gruppe anteilig gleich viele Arbeitnehmer zu entlassen sind. Andernfalls ist die Gruppenbildung anhand von Qualifikationsmerkmalen eine Umgehung der Anforderung „Erhalt der Personalstruktur“. Denn das Vorgehen des Arbeitgebers hatte notwendigerweise eine Erhöhung der durchschnittlichen Qualifikation zur Folge und verbesserte die Personalstruktur damit insgesamt. An einer solchen Maßnahme besteht kein anzuerkennendes betriebliches Interesse und der Grundgedanke der Sozialauswahl war mithin nicht mehr gewahrt.

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