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Grenzenloser Urlaub – Resturlaub verjährt nicht ohne Hinweis!

Urlaubsansprüche verjähren nur dann gemäß § 195 BGB, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor über seine noch offenen Urlaubsansprüche und das Risiko der Verjährung unterrichtet hat. Dies entschied der EuGH mit Urteil vom 22.09.2022 (Az. C 120/21).

Sachverhalt

Dem Urteil des EuGH liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Eine über lange Jahre in einer Kanzlei beschäftigte Steuerfachangestellte klagte im Anschluss an die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses auf Abgeltung ihres Urlaubsanspruchs. Die Beschäftigung hatte im Zeitraum zwischen 1996 bis 2017 bestanden. Ihren Urlaub hatte die Klägerin aufgrund der hohen Auslastung nach eigenen Angaben nicht vollständig genommen. Als die ehemalige Arbeitnehmerin 2018 die finanzielle Abgeltung des aus den Vorjahren verbliebenen Urlaubs geltend machte, berief sich ihr Arbeitgeber auf die Verjährung der Ansprüche. Die nach der Rechtsprechung bestehenden Hinweis- und Mitwirkungsobliegenheiten, dass der Urlaub verfallen kann, wenn die Arbeitnehmerin ihn nicht nimmt, hatte der Arbeitgeber nicht erfüllt.

Während das erstinstanzlich erkennende Arbeitsgericht Solingen die Klage hinsichtlich der nach nationalem Recht verjährten Ansprüche abgewiesen hatte, gab das LAG Düsseldorf (Urt. der Klägerin in 2. Instanz Recht. Auf die arbeitgeberseitige Revision hin legte das BAG (Vorlagebeschluss vom 29.09.2020 - Az. 9 AZR 266/20 [A]) dem EuGH die Sache zur Vorabentscheidung vor. Der EuGH sollte klären, ob das Unionsrecht die Verjährung des Urlaubsanspruchs gemäß §§ 194 Abs. 1, 195 BGB trotz Verletzung der Hinweispflichten gestatte.

Entscheidungsgründe

Der EuGH stärkte mit seiner Entscheidung die Position der Arbeitnehmerin. Komme der Arbeitgeber seinen Hinweispflichten nicht nach, so das Gericht, dürfe er nicht auch noch dadurch „belohnt“ werden, dass die Ansprüche des Arbeitnehmers verjähren.

Der Arbeitgeber sei verpflichtet, Arbeitnehmer über das Bestehen offener Urlaubsansprüche aufzuklären und auf die Möglichkeit der Verjährung hinzuweisen. Erst wenn er dieser Pflicht nachgekommen sei, könne er sich auf einen möglichen Verjährungsbeginn berufen. Der Arbeitgeber habe zwar ein berechtigtes Interesse daran, dass Urlaubsansprüche verjähren. Dieses sei aber dann nicht mehr schützenswert, wenn er davon abgesehen habe, den Arbeitnehmer in die Lage zu versetzen, den Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub auch tatsächlich wahrzunehmen. In diesem Fall habe er allein sich selbst in eine Situation gebracht, in der ein Rückgriff auf Verjährungsvorschriften nicht möglich sei.

Hinweis für die Praxis/Ausblick

Erneut stärkt der EuGH mit dieser Entscheidung das Recht der Beschäftigten auf Urlaub. Urlaubsansprüche unterliegen nach nationalem Recht der regelmäßigen Verjährung gemäß §§ 195, 199 BGB. Nach Auffassung des EuGH ist eine positive Kenntnis des Arbeitnehmers über die Rechtslage erforderlich, damit die Verjährungsfrist zu laufen beginnt. Die Kenntnis hinsichtlich der tatsächlichen Umstände reicht hierfür nicht aus.

Positive Kenntnis des Arbeitnehmers über die Rechtsfolgen zur Voraussetzung für den Beginn der Verjährungsfrist zu machen ist rechtlich nicht unproblematisch. Ein effektiver Schutz des Rechtsfriedens durch Verjährungsvorschriften wird hierdurch aufgeweicht. Für Arbeitgeber bedeutet die Entscheidung jedenfalls, dass sie besonders sorgsam auf den Verfall von Urlaubsansprüchen hinweisen müssen. Abzuwarten bleit nun, wie das BAG die europäischen Vorgaben konkretisieren wird. So ist offen, ob Beschäftigte nachweisen müssen, dass ihnen noch Urlaub zusteht, oder ob der Verstoß gegen die Hinweispflicht allein einen Anspruch begründen kann. Auch auf die vertragliche Ausgestaltung von Ausschlussfristen könnte die Entscheidung Einfluss haben.

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