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Fehlerhafte Konsultation der Arbeitnehmervertretung macht Kündigung unwirksam

Das LAG Düsseldorf hat in zwei Parallelverfahren (Urteil vom 24.03.2022 – 13 Sa 1003/21; 13 Sa 998/21) entschieden, dass die nicht ordnungsgemäße Konsultation der Gesamtvertretung Bord zur Unwirksamkeit gegenüber einem Piloten und einem Co-Piloten ausgesprochener Kündigungen führt.

Sachverhalt

Dem Urteil des LAG Düsseldorf liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Die Beklagte ist eine international agierende deutsche Fluggesellschaft. Der Kläger ist seit dem 03.09.2018 bei der Beklagten als First Officer (Co-Pilot) beschäftigt.

Die Beklagte schloss mit der Gesamtvertretung Bord am 05.03.2021 einen Interessenausgleich. Die Beklagte beabsichtigte hiermit ihre Flotte auf 22 Flugzeuge zu reduzieren und sechs ihrer derzeit unterhaltenen Stationen vollständig und dauerhaft zu schließen. Folge dieser Restrukturierung war ausweislich des Interessenausgleichs, dass im Bereich des Cockpit- und Kabinenpersonals die Beschäftigtenzahl angepasst werden sollte. Die tariflich vereinbarte Zahl von 370 Cockpitmitarbeitenden sollte hiernach nicht unterschritten werden dürfen.

Mit Schreiben vom 11.03.2021 leitete die Beklagte gegenüber der Gesamtvertretung Bord das Konsultationsverfahren gemäß § 17 Abs. 2 KSchG ein. Hierbei übersandte die Beklagte den Text eines Sozialplans, der eine Auswahlrichtlinie beinhaltete. Diese sah unter anderem ein Punkteschema für die Gewichtung der Kriterien der sozialen Auswahl nach Betriebszugehörigkeit, Lebensalter, Unterhaltspflichten und Schwerbehinderung vor. Zudem sollten Arbeitnehmern mit Sonderkündigungsschutz nach Einholung der behördlichen Zustimmung gekündigt werden. Am 19.03.2021 fand ein abschließender Beratungstermin mit der GV Bord statt. Mit Schreiben vom 27.03.2021 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Kapitäns außerordentlich betriebsbedingt zum 31.12.2021 und das Arbeitsverhältnis des Co-Piloten ordentlich betriebsbedingt zum 31.12.2021.

Mit ihren Kündigungsschutzklagen wandten sich Kapitän und Co-Pilot gegen die betriebsbedingten Kündigungen. Sie trugen vor, dass das noch vorhandene Cockpitpersonal nicht in der Lage sei, ohne überobligatorische Arbeit das verbliebene Flugaufkommen zu bedienen. Ferner müssten alle Kolleginnen und Kollegen Mehrflugstunden leisten. Zudem sei die Anhörung der Personalvertretung für das Cockpit, welche neben der Gesamtvertretung Bord bei der Beklagten besteht nicht ordnungsgemäß erfolgt. Ferner sei das Konsultationsverfahren nicht korrekt abgelaufen. Die Beklagte stellte sich auf den Standpunkt, dass die Kündigungen wirksam seien. Der Beschäftigungsbedarf für die Kläger sei entfallen, die Beteiligung der Gremien ordnungsgemäß erfolgt.

Das Arbeitsgericht Düsseldorf gab den Kündigungsschutzklagen statt.

Entscheidungsgründe

Dem schloss sich nunmehr auch das LAG Düsseldorf an. Die Konsultation der Gesamtvertretung Bord sei nicht ordnungsgemäß erfolgt und die Kündigungen daher bereits rechtsunwirksam. Abweichend von dem der Gesamtvertretung Bord in den Beratungen mitgeteilten Informationsstand habe die Beklagte den circa 80 Beschäftigten des Cockpitpersonals mit Sonderkündigungsschutz unabhängig von dem Punkteschema weder gekündigt noch hierzu eine behördliche Zustimmung eingeholt. Die Beklagte hätte gem. § 17 Abs.2 KSchG der Gesamtvertretung Bord die zweckdienlichen Auskünfte erteilen und sie hierbei über die Kriterien für die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer unterrichten müssen. Dies sei hier nicht erfolgt, weil sich nach dem Abschluss der Beratungen durch den Verzicht auf den Ausspruch von Kündigungen gegenüber circa 80 Personen des Cockpitpersonals eine wesentliche Änderung in den zuvor mitgeteilten Kriterien der Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer ergeben hatte. Hierüber hätte die Beklagte die Gesamtvertretung Bord vor Ausspruch der Kündigungen ebenfalls in Kenntnis müssen. Dies hat sie jedoch unterlassen. Der Fehler im Konsultationsverfahren führe daher zur Unwirksamkeit der Kündigungen.

Hinweis für die Praxis

§ 17 Abs. 2 KSchG erfordert, dass der Arbeitgeber im Rahmen von anzeigepflichtigen Entlassungen dem Betriebsrat – über § 117 Abs. 2 BetrVG tritt im Rahmen der Luftfahrt eine durch Tarifvertrag errichtete Vertretung an die Stelle des Betriebsrats – rechtzeitig die zweckdienlichen Auskünfte zu erteilen und ihn schriftlich insbesondere zu unterrichten über

1. die Gründe für die geplanten Entlassungen,
2. die Zahl und die Berufsgruppen der zu entlassenden Arbeitnehmer,
3. die Zahl und die Berufsgruppen der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer,
4. den Zeitraum, in dem die Entlassungen vorgenommen werden sollen,
5. die vorgesehenen Kriterien für die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer,
6. die für die Berechnung etwaiger Abfindungen vorgesehenen Kriterien.

Das Konsultationsverfahren dient dazu, dass der Betriebsrat konstruktive Vorschläge unterbreiten kann, um die Massenentlassung zu verhindern oder jedenfalls zu beschränken. Zudem soll durch die Konsultation die Möglichkeit gegeben werden, die Folgen einer Massenentlassung durch soziale Begleitmaßnahmen, die insbesondere Hilfen für eine anderweitige Verwendung oder Umschulung der entlassenen Arbeitnehmer zum Ziel haben, zu mildern (vgl. EuGH, Slg. 2011, I-1113). Nach der Rechtsprechung des BAG ist die Konsultationspflicht „regelmäßig erfüllt, wenn der Arbeitgeber bei einer Betriebsänderung (…), soweit mit ihr ein anzeigepflichtiger Personalabbau verbunden ist oder sie allein in einem solchen besteht, einen Interessenausgleich abschließt und dann erst kündigt“ (vgl. BAG 09.06.2016 – 6 AZR 405/15). Dies gilt in der Regel jedoch nur, wenn der Arbeitgeber den Betriebsrat vollständig unterrichtet. Erfolgt die Konsultation hingegen unvollständig kann dies, wie im vorliegenden Fall zur Unwirksamkeit ausgesprochener Kündigungen führen, da sich der Betriebsrat dann u.U. kein hinreichendes und zutreffendes Bild der Sachlage machen konnte, um dem Arbeitgeber gegenüber die Interessen der Belegschaft sinnvoll vertreten und mit diesem über mildere oder ausgleichende Maßnahmen beraten zu können.

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