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Diskriminierung wegen des Alters bei persönlicher Assistenz für Menschen mit Behinderungen?

Diskriminierung wegen des Alters ist im Arbeitsrecht grundsätzlich verboten. Es kann aber Rechtfertigungen für unterschiedliche Behandlungen aufgrund des Alters geben, die dann ausnahmsweise zulässig sind. Inwieweit für die persönliche Assistenz von Menschen mit Behinderungen dabei deren Wünsche bei der Auswahl der assistierenden Person nach dem Europarecht eine Rolle spielen (dürfen), hat nun der EuGH auf eine entsprechende vom Bundesarbeitsgericht vorgelegte Frage zu entscheiden.

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat mit Beschluss vom 24.02.2022 – 8 AZR 208/21 (A) – den Gerichtshof der Europäischen Union ersucht, die Frage zu klären, ob die einschlägigen Vorschriften der Art. 4 Abs. 1, Art. 6 Abbs. 1, Art. 7 und/oder Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27.11.2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (im Folgenden kurz: „Gleichbehandlungsrichtlinie“) im Licht der Vorgaben der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: „Charta“) sowie im Licht von Art. 19 des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (im Folgenden: „UN-BRK“) dahin ausgelegt werden können, dass in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters gerechtfertigt werden kann.

Sachverhalt

Dem Beschluss des BAG liegt folgender Sachverhalt zugrunde: In dem dieser Vorlagefrage zugrunde liegenden Entscheidungssachverhalt streiten die Parteien über die Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetztes (AGG). Die Beklagte ist ein Assistenzdienst, der Menschen mit Behinderungen verschiedene Beratungs- und Unterstützungsleistungen anbietet, insbesondere auch Assistenzleistungen in verschiedenen Lebensbereichen, sog. Persönliche Assistenz.

Assistenzleistungen nach § 78 SGB IX werden für Menschen mit Behinderungen zu selbstbestimmten und eigenständigen Alltagsbewältigung einschließlich Tagesstrukturierung erbracht und umfassen insbesondere Leistungen für allgemeine Alltagserledigungen wie Haushaltsführung, persönliche Lebensplanung, Gestaltung sozialer Beziehungen, Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben, Freizeitgestaltung und Sicherstellung der Wirksamkeit ärztlicher und ärztlich verordneter Leistungen. Assistenzleistungen werden oft von mehreren Personen in Schichten, teils rund um die Uhr, geleistet, dies von einem Assistenz- oder Pflegedienst oder durch die leistungsberechtigte assistenznehmende Person selbst organisiert. Die Kosten werden vom zuständigen öffentlich-rechtlichen Leistungs- bzw. Kostenträger getragen.

Die Beklagte veröffentlichte im Juli 2018 eine Stellenanzeige, wonach eine 28-jährige Studentin „weibliche Assistentinnen“ in allen Lebensbereichen des Alltags suchte, die „am besten zwischen 18 und 30 Jahre alt sein“ sollten. Die im März 1968 geborene, also bei Veröffentlichung der Anzeige etwa 50jährige Klägerin bewarb sich im August 2018 erfolglos auf die Stelle.

Ihre Entschädigungsklage begründet die Klägerin damit, die Beklagte habe sie im Bewerbungsverfahren AGG-widrig wegen ihres Alters benachteiligt und deshalb zur Entschädigungszahlung gem. § 15 Abs. 2 AGG verpflichtet. Die ausdrücklich an Assistentinnen im Alter „zwischen 18 und 30“ Jahren gerichtete Anzeige begründe die Vermutung der Nichtberücksichtigung der Klägerin aufgrund ihres höheren Alters und mithin einer verpönten Diskriminierung. Die unterschiedliche Behandlung wegen des Alters sei bei Leistungen der Assistenz nach § 78 SGB X unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt gerechtfertigt.

Die Beklagte begründet ihren Klageabweisungsantrag damit, dass die Ungleichbehandlung wegen des Alters nach dem AGG gerechtfertigt sei. Bei der Beurteilung der Rechtfertigung seien nicht nur die Bestimmungen des UN-BRK, sondern auch zu berücksichtigen, dass die Leistungsberechtigten, die eine persönliche Assistenz in Anspruch nehmen, nach § 8 Abs. 1 SGB IX ein Wunsch- und Wahlrecht hätten auch im Hinblick auf das Alter der Assistenten/innen. Nur so sei eine selbstbestimmte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen zu erreichen.

Vor dem Arbeitsgericht war die Klage teilweise erfolgreich, während das Landesarbeitsgericht auf die Berufung der Beklagten die Klage vollständig abgewiesen hat. Mit Ihrer Revision begehrt die Klägerin weiterhin die Zahlung einer Entschädigung von der Beklagten.

Entscheidungsgründe

Mit Beschluss vom 24.02.2022 hat das BAG die für die Entscheidung des Rechtsstreits maßgebliche Frage dem EuGH zur Klärung vorgelegt. Eine Begründung ist nicht veröffentlicht.

Hinweis für die Praxis

Die Vorlage ist ein Beispiel für die fortschreitende Europäisierung des Arbeitsrechts, in der dem EuGH immer mehr Einfluss zukommt.

Die vom BAG in der Vorlagefrage zitierten maßgeblichen Regelungen in der Gleichbehandlungsrichtlinie zeigen das Spannungsverhältnis zwischen dem Selbstbestimmungsrecht von Menschen mit Behinderungen auf der einen und dem Schutz vor (Alters-)Diskriminierung andererseits. Das LAG hat dieses in der Berufungsinstanz im konkreten Fall zugunsten des ersteren aufgelöst. Es bleibt nunmehr abzuwarten, ob der EuGH dem im Ergebnis folgt und der Praxis bei dieser Gelegenheit ggf. auch verallgemeinerungsfähige Kriterien an die Hand gibt, wie derartige Spannungsverhältnisse (europa)rechtskonform aufzulösen sind.

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