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Corona-Prämien als unpfändbare Erschwerniszulage

Das LAG Niedersachen hat mit Urteil vom 25.11.2021 (Az.: 6 Sa 216/21) entschieden, dass Corona-Prämien, die einem Arbeitnehmer in der Gastronomie vom Arbeitgeber zusätzlich zum geschuldeten Arbeitslohn gezahlt werden, aufgrund ihrer Zweckbestimmung auch unter Berücksichtigung der Gläubigerinteressen, als unpfändbare Erschwerniszuschläge gem. § 850 a Nr. 3 ZPO qualifiziert werden können.

Sachverhalt

Die Parteien streiten um die Pfändbarkeit einer Corona-Prämie. Im September 2020 zahlte der Beklagte an seine als Küchenhilfe beschäftigte Arbeitnehmerin eine Corona-Unterstützung in Höhe von 400,00 Euro. Ausgehend von einem pfändungsrelevanten Nettoverdienst (einschließlich Corona-Unterstützung) von 1.440,47 Euro errechnete die Klägerin, die Insolvenzverwalterin der Arbeitnehmerin war, einen pfändbaren Betrag in Höhe von 182,90 Euro netto. Die Klägerin forderte den Beklagten auf, diesen Betrag abzuführen, was dieser ablehnte. Der Beklagte war der Auffassung, dass die Corona-Sonderzahlung unpfändbar sei.

Das Arbeitsgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, dass es sich bei der Corona-Sonderzahlung um eine im Rahmen des Üblichen unpfändbare Erschwerniszulage gemäß § 850 a Nr. 3 ZPO handele. Die Berufung der Klägerin vor dem LAG blieb erfolglos.

Entscheidungsgründe

Das LAG ist der Ansicht, dass das Arbeitsgericht zu Recht und mit zutreffender Begründung die Klage abgewiesen habe. Die der Schuldnerin im September 2020 gezahlte Corona-Prämie in Höhe von 400,00 Euro sei unpfändbar und damit dem Zugriff der Klägerin der Schuldnerin entzogen, §§ 35 Abs. 1, 36 Abs. 1 Satz 2 InsO. Es handele sich dabei um eine Erschwerniszulage iSv. § 850 a Nr. 3 ZPO.

1. Dem Rückgriff auf § 850 a Nr. 3 ZPO stehe auch nicht die Bestimmung in § 150 a Abs. 8 Satz 4 SGB IX entgegen. Danach sei allein die obligatorische Corona-Prämie für bestimmte Pflegekräfte unpfändbar. Eine freiwillige Corona-Prämie in anderen Berufsbereichen werde von dieser Vorschrift nicht erfasst und sei als Arbeitsentgelt den allgemeinen Bestimmungen zum Pfändungsschutz für das Arbeitseinkommen gem. § 850 ff. ZPO zuzuordnen.

2. Im Rahmen der gebotenen Auslegung erfasse der Begriff der Erschwernis in § 850 a Nr. 3 ZPO auch eine besondere Belastung bei der Arbeitsleistung. Dazu würden unter anderem die Umstände, die für die Gesundheit des Arbeitnehmers nachteilig seien und Maßnahmen zum Schutz und zur Sicherheit des Arbeitnehmers erfordern, gehören.

3. Vorliegend sei die Tätigkeit der Schuldnerin für diese mit besonderen Belastungen und gesundheitlichen Risiken verbunden gewesen. So habe die Schuldnerin bei ihrer Tätigkeit coronabedingte Abstandsregelungen einhalten, Hygienevorschriften und insbesondere die Maskenpflicht beachten müssen. Zugleich sei sie durch den Kundenkontakt einer höheren Infektionsgefahr ausgesetzt gewesen. Daneben habe eine besondere psychische Belastung bestanden, da es seinerzeit weder eine wirksame Medikation bei einer Corona-Erkrankung noch eine Impfmöglichkeit gegeben habe. Diese Umstände habe die Beklagte mit der Corona-Prämie kompensieren wollen.

Hinweise für die Praxis

Die Frage der Pfändbarkeit der Corona-Sonderzahlung ist derzeit umstritten und höchstrichterlich nicht geklärt. Das LAG hat die Revision gem. § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen. Es bleibt daher abzuwarten, wie das BAG hierzu entscheiden wird und damit mehr Rechtsklarheit schafft.

Ausgehend vom Zweck der Corona-Prämie ist es überzeugend, diese Sonderzahlung pfändungsfrei zu stellen. Neben dem Pflegebereich, in welchem die Unpfändbarkeit der Corona-Prämie bereits gesetzlich anerkannt ist, erscheint es gerechtfertigt, auch in anderen Berufen Corona-Sonderzahlungen als unpfändbar anzusehen. Dies gilt insbesondere in der Gastronomie, wo Arbeitnehmer ebenfalls einem höheren Infektionsrisiko ausgesetzt sein können.

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