Dr. Christoph Fingerle, Fachanwalt für Arbeitsrecht

Aufhebungsvertrag und Gebot fairen Verhandelns

Ist ein abgeschlossener Aufhebungsvertrag unwirksam, wenn eine Vertragspartei – typischerweise trifft dieser Vorwurf die Arbeitgeberseite – unfair verhandelt hat? Das Bundesarbeitsgericht hatte dies in seinem Urteil vom 07.02.2019 (6 AZR 75/18) grundsätzlich für möglich gehalten, jedoch mangels hinreichend festgestellten Sachverhalts in der Sache nicht entscheiden können. Jetzt hat das Bundesarbeitsgericht diese Rechtsprechung bestätigt, allerdings im konkreten Fall die Voraussetzungen eines »unfairen Verhandelns« verneint.

Sachverhalt

Dem Urteil des BAG liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Die Parteien streiten über den Fortbestand ihres Arbeitsverhältnisses nach Abschluss eines Aufhebungsvertrags. Am 22. November 2019 führten der Geschäftsführer und der spätere Prozessbevollmächtigte der Beklagten, der sich als Rechtsanwalt für Arbeitsrecht vorstellte, im Büro des Geschäftsführers ein Gespräch mit der als Teamkoordinatorin Verkauf im Bereich Haustechnik beschäftigten Klägerin. Sie erhoben gegenüber der Klägerin den Vorwurf, diese habe unberechtigt Einkaufspreise in der EDV der Beklagten abgeändert bzw. reduziert, um so einen höheren Verkaufsgewinn vorzuspiegeln. Die Klägerin unterzeichnete nach einer etwa zehnminütigen Pause, in der die drei anwesenden Personen schweigend am Tisch saßen, den von der Beklagten vorbereiteten Aufhebungsvertrag. Dieser sah u.a. eine einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30. November 2019 vor. Die weiteren Einzelheiten des Gesprächsverlaufs sind streitig geblieben. Die Klägerin focht den Aufhebungsvertrag mit Erklärung vom 29. November 2019 wegen widerrechtlicher Drohung an.

Mit ihrer Klage hat die Klägerin u.a. den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses über den 30. November 2019 hinaus geltend gemacht. Sie hat behauptet, ihr sei für den Fall der Nichtunterzeichnung des Aufhebungsvertrags die Erklärung einer außerordentlichen Kündigung sowie die Erstattung einer Strafanzeige in Aussicht gestellt worden. Ihrer Bitte, eine längere Bedenkzeit zu erhalten und Rechtsrat einholen zu können, sei nicht entsprochen worden. Damit habe die Beklagte gegen das Gebot fairen Verhandelns verstoßen. Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben, das Landesarbeitsgericht hat sie auf die Berufung der Beklagten abgewiesen.

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin hatte vor dem Sechsten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg. Auch wenn der von der Klägerin geschilderte Gesprächsverlauf zu ihren Gunsten unterstellt werde, fehle es an der Widerrechtlichkeit der behaupteten Drohung. Ein verständiger Arbeitgeber habe im vorliegenden Fall sowohl die Erklärung einer außerordentlichen Kündigung als auch die Erstattung einer Strafanzeige ernsthaft in Erwägung ziehen dürfen. Ebenso sei das Landesarbeitsgericht auf der Grundlage der vom Senat in der Entscheidung vom 7. Februar 2019 (6 AZR 75/18) entwickelten Maßstäbe unter Berücksichtigung des in der Revisionsinstanz nur eingeschränkten Prüfungsumfangs zutreffend zu dem Schluss gekommen, dass die Beklagte nicht unfair verhandelt und dadurch gegen ihre Pflichten aus § 311 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 241 Abs. 2 BGB verstoßen habe. Die Entscheidungsfreiheit der Klägerin sei nicht dadurch verletzt worden, dass die Beklagte den Aufhebungsvertrag entsprechend § 147 Abs. 1 Satz 1 BGB nur zur sofortigen Annahme unterbreitet hat und die Klägerin über die Annahme deswegen sofort entscheiden musste.

Hinweis für die Praxis

Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts orientiert sich wesentlich an der altbekannten Rechtsprechung zur Anfechtung von Aufhebungsverträgen, deren Abschluss arbeitgeberseits mit der Inaussichtstellung einer außerordentlichen Kündigung verbunden wird. Zumindest die vorliegende Pressemitteilung enthält keine detaillierte Begründung dazu, warum vorliegend kein Verstoß gegen das Gebot des fairen Verhandelns vorliegt.

Angesichts der unterschiedlichen Sachverhaltskonstellation kann der Eindruck entstehen, das Bundesarbeitsgericht verwende das »Gebot fairen Verhandelns bei Aufhebungsverträgen« als Kontrollinstrument im Einzelfall, wenn Umstände und/oder Konditionen der Aufhebungsvereinbarung als unangemessen angesehen werden, indes die Voraussetzungen einer Rechtsunwirksamkeit aus anderen Gründen (Anfechtung, Geschäftsunfähigkeit etc.) nicht vorliegen. Daraus folgt eine – weitere – Rechtsunsicherheit hinsichtlich der Beständigkeit von Aufhebungsvereinbarungen, die insbesondere – typischerweise auf Arbeitgeberseite – unter dem Gesichtspunkt der Verfristung von Kündigungsgründen für eine außerordentliche Kündigung und des Vergütungsfortzahlungsrisikos infolge Annahmeverzuges erheblich sein können.

Für die Arbeitnehmerseite folgt als Empfehlung daraus, dass das Argument eines Verstoßes gegen das Gebot fairen Verhaltens neben anderen denkbaren Angriffen vorgebracht werden muss, wenn Anhaltspunkte im Sachverhalt dafür gegeben sind.

Auf Arbeitgeberseite ist die Vorgehensweise zu erwägen, statt über einen Aufhebungsvertrag nach vorherigem Ausspruch einer Kündigung über einen daran anknüpfenden Abwicklungsvertrag zu verhandeln, wie dies bereits Hümmerich von mehr als 25 Jahren dringend empfohlen hatte (siehe dazu Hümmerich: Abwicklungsvertrag kontra Aufhebungsvertrag, NJW 1996,2 1081). Wird der Abwicklungsvertrag mit dem Argument eines Verstoßes gegen das »Gebot fairen Verhandelns« beseitigt, verbleibt jedenfalls die ausgesprochene Kündigung als Anknüpfungspunkt für eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses, auch wenn darüber arbeitsgerichtlich gestritten werden mag.

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