andreas imping arbeitsrecht p 1.jpgnadja schmidt vertriebsrecht.jpg

Anscheinsbeweis einer Kündigung per Einwurf-Einschreiben

Das LAG Schleswig-Holstein hat mit Urteil vom 18.01.2022 – 1 Sa 159/21 entschieden, dass der Beweis des ersten Anscheins für den Zugang des Schreibens beim Empfänger spricht, wenn das Kündigungseinschreiben per Einwurf-Einschreiben übersendet wird und der Absender den Einlieferungsbeleg und die Reproduktion des Auslieferungsbelegs mit der Unterschrift des Zustellers vorlegt.

Sachverhalt

Dem Urteil des LAG Schleswig-Holstein liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Die Parteien stritten insbesondere über den Fortbestand ihres Arbeitsverhältnisses und insoweit allein um die Frage, ob dem Kläger ein Kündigungsschreiben der Beklagten zugegangen sei.

Die Beklagte adressierte ein Kündigungsschreiben mit Wirkung zum 30.11.2020 an die Wohnanschrift des Klägers und gab es am 28.10.2020 als Einwurf-Einschreiben mit der Sendungsnummer R… bei der Post auf. Am 29.10.2020 bestätigte der Postmitarbeiter mit seiner Unterschrift diese Sendung „dem Empfangsberechtigten übergeben bzw. das Einschreiben Einwurf in die Empfangsvorrichtung des Empfängers eingelegt“ zu haben. Der Kläger wohnte in einer Hochhausanlage mit 10 Stockwerken und ca. 80 Briefkästen. Der Kläger hat behauptet, keine Kündigung erhalten zu haben. Er bestreite den Einwurf des Kündigungsschreibens in seinen Briefkasten. Selbst wenn dies der Fall gewesen sein sollte, könnten Unbefugte diesen Brief wieder dem Briefkasten entnommen haben.

Das Arbeitsgericht hat den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses festgestellt, da die Beklagte den Zugang des Kündigungsschreibens nicht bewiesen habe. Das Landesarbeitsgericht wies die Feststellungsklage des Klägers ab.

Entscheidungsgründe

Nach Ansicht des LAG habe die Beklagte die Zustellung des Schreibens am 29.10.2020 bewiesen. Denn die Beklagte habe den Einlieferungsbeleg mit der Sendungsnummer, die Reproduktion des Auslieferungsbelegs mit derselben Sendungsnummer und der Unterschrift des Zustellers sowie dem Datum 29.10.2020 vorgelegt.

Beim Einwurf-Einschreiben erfolge die Ablieferung durch Einwurf der Sendung in den Briefkasten oder das Postfach des Empfängers. Unmittelbar vor dem Einwurf zieht der Postangestellte das sogenannte „Peel-off-Label“ (Abziehetikett), das zur Identifizierung der Sendung dient, von dieser ab und klebt es auf den so vorbereiteten, auf die eingeworfene Sendung bezogenen Auslieferungsbeleg. Auf diesem Beleg bestätigt der Postangestellte nach dem Einwurf mit seiner Unterschrift und der Datumsangabe die Zustellung.

Damit werde die Zustellung eines Einwurf-Einschreibens für den Postzusteller aus der routinemäßigen Zustellung herausgenommen. Bei dieser Vorgehensweise seien fehlerhafte Zustellungen zwar nicht naturgesetzlich ausgeschlossen, aber nach der Lebenserfahrung so unwahrscheinlich, dass die Annahme eines Anscheinsbeweises gerechtfertigt sei.

Während bei einem Einfamilienhaus die Möglichkeit eines Fehlwurfs ausgeschlossen sei, sei die theoretische Möglichkeit eines Fehlwurfs bei einer Briefkastenanlage/mehreren Briefkästen so unwahrscheinlich, dass zunächst einmal der Beweis des ersten Anscheins für die richtige Zustellung begründet wird. Dieser könne ggf. vom Empfänger noch widerlegt werden.

Der allein vom Kläger erhobene Einwand, es bestehe auch die Möglichkeit, dass das Kündigungsschreiben aus seinem Hausbriefkasten durch einen Dritten entnommen worden sei, vermag den Zugang des Kündigungsschreibens nicht zu beseitigen.

Hinweise für die Praxis

In der Praxis stellt sich oftmals die Frage, wie eine Kündigung möglichst schnell, aber auch rechtssicher zugestellt werden kann. Ein Einschreiben mit Rückschein ist bereits dann problematisch, wenn der Empfänger durch den Zusteller nicht angetroffen wird. Denn in einem solchen Fall geht die Kündigung erst dann zu, wenn der Empfänger das Einschreiben auch tatsächlich bei der Post abholt.

Daher wird in der Praxis oftmals auf das Einwurf-Einschreiben zurückgegriffen. Nach Ansicht des BGH kommt dem Einwurf-Einschreiben jedenfalls dann Anscheinsbeweischarakter zu, wenn und soweit die beweisbelastete Partei sowohl den Einlieferungsbeleg als auch die Reproduktion des Auslieferungsbeleges vorlegt (BGH, Urteil vom 27.09.2016 – II ZR 299/15). Ob dies auch bei Zustellungen in Mehrfamilienhäusern im Einzelfall angewandt werden kann, ist fraglich (vgl. insoweit ArbG Düsseldorf, Urteil vom 22.02.2019 - 14 Ca 465/19).

Da dies in der Rechtsprechung bislang unterschiedlich beurteilt wird, hat vorliegend das LAG Schleswig-Holstein die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen. Es bleibt daher abzuwarten, wann hierzu höchstrichterliche Rechtsprechung und damit mehr Rechtsklarheit vorliegt.

Kontakt > mehr