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Außerordentliche (Delegierten-)Versammlung in Zeiten der Covid19-Pandemie

In Zeiten erheblicher Kontaktbeschränkungen stellt sich bei Gesellschaften, Vereinen und Stiftungen die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen Beschlussfassungen auch ohne Abhaltung von Präsenzsitzungen möglich sind. Das im März 2020 erlassene Gesetz über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie (COVMG), sieht insofern jedenfalls für die Jahre 2020 und 2021 erhebliche Erleichterungen vor. Danach besteht für viele Gesellschaften, Vereine und Stiftungen nun (sogar ohne entsprechende Satzungsregelung) die Möglichkeit zur Beschlussfassung in virtuellen Versammlungen, im Umlaufverfahren und in vergleichbarer, „nicht-präsenter“ Weise. Das ist auch zu berücksichtigen, wenn die Einberufung einer Versammlung auf Verlangen einer Minderheit erfolgt. Ganz eindrücklich zeigt dies eine aktuelle Entscheidung des OLG München zum Vereinsrecht (Beschluss vom 23.11.2020, Az. 31 Wx 405/20).

Hintergrund: Einberufung einer außerordentlichen Delegiertenversammlung nach Minderheitsverlangen

Hintergrund des Beschlusses vom OLG München war eine Auseinandersetzung über die Einberufung einer außerordentlichen Delegiertenversammlung bei einem eingetragenen (Dach-)Verein. Ein Teil der Vereinsmitglieder hatte beim Vereinsvorstand unter Nennung konkreter Tagesordnungspunkte die Einberufung  einer außerordentlichen Delegiertenversammlung (die zulässigerweise anstelle einer Mitgliederversammlung eingerichtet worden war) beantragt. Der Vereinsvorstand lehnte die die Einberufung ab. Er begründete dies unter anderem damit, dass aufgrund der geltenden Kontaktbeschränkungen eine Versammlung nicht möglich und das Einberufungsverlangen schon deswegen rechtsmissbräuchlich war. Daraufhin wandten sich die Antragsteller an das Vereinsregister. Dort beantragten sie erfolgreich die Ermächtigung von einem der Antragsteller zur Einberufung der außerordentlichen Delegiertenversammlung. Hiergegen legte der Verein Beschwerde ein, die jedoch erfolglos blieb.

Minderheitsverlangen zur Einberufung einer Versammlung im Vereinsrecht

Das OLG München hat sich in seiner Entscheidung anschaulich mit der eher seltenen Konstellation eines Minderheitsverlangens zur Einberufung einer Mitglieder- bzw. Delegiertenversammlung bei eingetragenen Vereinen befasst und  die bei der Einleitung eines solchen Einberufungsverlangens zu berücksichtigenden Punkte nachvollziehbar dargestellt.. Nach § 37 BGB ist eine solche Mitglieder- bzw. Delegiertenversammlung einzuberufen, wenn eine Minderheit dies unter Nennung der Einberufungsgründe vom einberufungsberechtigten Organ (im Regelfall dem Vorstand) verlangt. Das erforderliche Quorum für diese Minderheit kann in der Satzung festgelegt werden; wenn keine Festlegung erfolgt, gilt ein Quorum von 10 % der teilnahmeberechtigten Vereinsmitglieder / Delegierten. Wird das Quorum durch die Satzung modifiziert – wie im Fall des OLG München – muss der Charakter als Minderheitenrecht gewahrt bleiben. Eine Herabsetzung des Quorums unter die 10 %-Schwelle ist somit regelmäßig unproblematisch, ein höheres Quorum erschwert gerade bei größeren Vereinen die Einberufung und ist daher häufig unzulässig. Neben dem erforderlichen Quorum gibt es weitere Wirksamkeitsvoraussetzungen für das Minderheitsverlangen. Insbesondere müssen die Tagesordnungspunkte, über die entschieden werden soll, hinreichend konkret benannt sein.

Kommt das einberufungsberechtigte Organ dem Einberufungsverlangen nicht nach, kann die Minderheit im nächsten Schritt beim Registergericht beantragen, zur Einberufung der Mitglieder- bzw. Delegiertenversammlung mit einer bestimmten Tagesordnung ermächtigt zu werden. Das Registergericht kann die Antragsteller dann zur Einberufung ermächtigen und sogar Vorgaben zum Versammlungsleiter für die entsprechende Versammlung machen.

Flexibilität bei der Beschlussfassung durch das COVMG

In dem Zusammenhang mit der Prüfung des Minderheitsverlangens hat das OLG München zu den durch das COVMG eingeführten und für alle Mitglieder- bzw. Delegiertenversammlungen in Vereinen bis zum 31.12.2021 geltenden Sondervorschriften für Vereine Stellung genommen. Zur Bekämpfung der Covid19-Pandemie sind durch diese Vorschriften die Möglichkeiten für Vereine zur Beschlussfassung in Umlaufverfahren, durch schriftliche Stimmabgaben und in virtuellen Versammlungen – selbst ohne entsprechende Satzungsregelungen – ausgeweitet worden. Sie gewähren, daran hat das OLG München erinnert, viel zusätzliche Flexibilität bei der Gestaltung von Mitglieder- bzw. Delegiertenversammlungen. Selbst wenn also eine Präsenzsitzung aufgrund der geltenden Kontaktbeschränkungen nicht möglich ist, können Vereine deswegen wirksame Beschlüsse fassen. Das Argument, das Minderheitsverlangen sei rechtsmissbräuchlich, weil derzeit gar keine (Präsenz-)Beschlussfassung möglich sei, hat das Gericht daher nachvollziehbarerweise zurückgewiesen.

Minderheitsverlangen und Beschlussfassung nach dem COVMG bei anderen Rechtsformen

Ähnliche Rechtsfragen können sich übrigens auch bei GmbHs und bei Personengesellschaften, die bei ihrer Beschlussfassungsstruktur der GmbH nachgebildet sind (dies sieht man beispielsweise bei GmbH & Co. KGs häufig), stellen. Zwar gibt es im GmbH-Recht ein eigenes Einberufungsrecht der Minderheit, wenn das einberufungsberechtigte Organ dem Einberufungsverlangen der Minderheit nicht nachkommt (§ 50 Abs. 1, Abs. 3 GmbHG). Bei der GmbH braucht man also keinen „Umweg“ über das Registergericht zu nehmen, sondern die Minderheit kann die Einberufung selbst vornehmen, wenn das einberufungsbefugte Organ sich weigert, ihrem berechtigten Einberufungsverlangen Folge zu leisten. In diesem Zusammenhang kann sich jedoch ebenfalls die Frage stellen, wie sich die durch das COMV auch für GmbHs eingeführten Sonderregelungen (Zulässigkeit der Beschlussfassung im Umlaufverfahren ohne Einverständnis sämtlicher Gesellschafter selbst ohne Satzungsregelung) auf das Minderheitsverlangen auswirken. Die herrschende Auffassung der rechtswissenschaftlichen Literatur ist dabei ähnlich pragmatisch wie das OLG München im vereinsrechtlichen Kontext: Sie geht davon aus, dass die Minderheit durch das Minderheitsverlangen nach § 50 GmbHG auch eine Beschlussfassung im Umlaufverfahren nach § 2 COMV anstelle einer Präsenzsitzung herbeiführen kann.

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