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Keine Einschränkung der Vertretungsmacht des Vorstands durch Stiftungs- oder Vereinszweck

Die Vertretungsmacht des Vorstands eines Vereins oder einer Stiftung kann – anders als bei Kapital- und Personengesellschaften – nach außen durch die Satzung beschränkt werden. Ein neues Urteil des BGH zeigt, dass eine solche Beschränkung gerade für gemeinnützige Vereine oder Stiftungen von großer Bedeutung sein kann.

Zum Sachverhalt

Dem Urteil des BGH liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Eine gemeinnützige Stiftung entwickelte u.a. Produkte zur Bekämpfung von Schlaganfällen. Die Produkte sollten von einer neu zu gründenden Management-Gesellschaft (deren Gesellschafter verschiedene Berater der Stiftung sein sollten) vertrieben werden. Noch vor der Gründung der Management-Gesellschaft verpflichtete sich die Stiftung in einem Verwertungs- und Vermarktungsvertrag zur Übertragung von Nutzungsrechten an den von ihr entwickelten Produkten an die „in Gründung befindliche“ Management-Gesellschaft.

Bald kam es zu Streitigkeiten darüber, ob der Abschluss des Verwertungs- und Vermarktungsvertrags mit den Vorgaben des Gemeinnützigkeitsrechts vereinbar war. In diesem Zusammenhang klagte die Management-Gesellschaft gegen die Stiftung auf Zahlung eines siebenstelligen Betrags (entgangener Gewinn, Minderung des Unternehmenswerts usw.). Über diese Klage entschied nach dem OLG München zuletzt der BGH – mit weitreichenden Praxisfolgen für die Vertretungsmacht von Stiftungsvorständen.

Das Urteil des BGH vom 15.04.2021 (Az. III ZR 139/20)

Der BGH hob die Entscheidung des OLG München auf. Der Abschluss des Verwertungs- und Vermarktungsvertrags habe dem gemeinnützigen Stiftungszweck widersprochen. Da die Stiftungssatzung ausdrücklich vorsah, dass in solchen Fällen der Stiftungsvorstand keine Vertretungsmacht haben sollte, sei die Stiftung beim Vertragsschluss durch den Stiftungsvorstand nicht wirksam vertreten worden. Der Vertrag sei deswegen unwirksam. Der BGH stellte dabei klar, dass der Stiftungszweck alleine (ohne eine ausdrückliche Satzungsregelung) die Vertretungsmacht des Stiftungsvorstands nicht hätte beschränken können. Für die Praxis hat er damit einigen Handlungsbedarf geschaffen.

Praxishinweis

Der Stiftungsvorstand ist das einzige gesetzlich zwingende Organ von rechtsfähigen Stiftungen des bürgerlichen Rechts und vertritt sie im Rechtsverkehr. Seine Vertretungsmacht ist grundsätzlich umfassend und unbeschränkt. Bei eingetragenen Vereinen gilt das entsprechend.

Im Vereins- und Stiftungsrecht gibt es jedoch eine Besonderheit gegenüber Personenhandels- und Kapitalgesellschaften: Die Satzung kann die Vertretungsmacht des Vorstands mit Wirkung gegenüber Dritten beschränken. Die Gestaltungsfreiheit ist groß. Die Satzung kann insbesondere Beschränkungen der Vertretungsmacht auf bestimmte Geschäfte oder Geschäftswerte vorsehen bzw. die Vertretungsmacht für diese Fälle modifizieren (z.B. Entfallen der Vertretungsmacht, Gesamt- statt Einzelvertretungsbefugnisse, Mitwirkungsrechte für andere Stiftungsorgane). Der Vorstand kann den Verein bzw. die Stiftung nur in diesem Rahmen im Rechtsverkehr vertreten; ein darüber hinausgehendes Handeln ist unwirksam.

Der Vereins- bzw. Stiftungszweck allein beschränkt die Vertretungsmacht des Vorstands nicht. Die Beschränkung des Vorstands, nur im Rahmen des (gemeinnützigen) Zwecks die Stiftung oder den Verein wirksam vertreten zu können, kann sich also auch insofern nur aus einer eindeutigen Satzungsregelung ergeben. In dieser Aussage liegt die wesentliche Neuerung im Urteil des BGH vom 15.04.2021; die bisherige Rechtsprechung zum Vereins- und Stiftungsrecht sah das nämlich noch anders und ging davon aus, dass der Zweck auch ohne besondere Satzungsregelung die Vertretungsmach des Vorstands beschränkt.

Vor allem gemeinnützige Vereine und Stiftungen sollten nach dem Urteil des BGH ihren Handlungsbedarf überprüfen: Wer vermeiden will, dass sein Vorstand außerhalb des (gemeinnützigen) Zwecks wirksame Rechtsgeschäfte abschließt – und damit die Gemeinnützigkeit der Stiftung oder des Vereins gefährden kann (im schlimmsten Fall droht eine Nachversteuerung der Ergebnisse der letzten zehn Jahre) – sollte zeitnah eine eindeutige Einschränkung der Vertretungsmacht für diese Fälle in die Stiftungssatzung aufnehmen. Auch darüber hinaus sollten Stiftungen und Vereine das Urteil des BGH zum Anlass nehmen, um sich über sinnvolle Beschränkungen der Vorstandstätigkeit in ihrer Organisation Gedanken zu machen. Dabei ist darauf zu achten, dass ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Schutz der Stiftung bzw. des Vereins und Flexibilität des Vorstandshandelns bleibt, denn zu weitgehende Einschränkungen können die Arbeit des Vorstands blockieren. Das Vereins- und Stiftungsrecht lässt jedoch genügend Möglichkeiten, durch auf den Einzelfall abgestimmte Beschränkungen für das Innen- wie Außenverhältnis die für den Verein bzw. die Stiftung passende Lösung zu finden.

Die kürzlich beschlossene, umfangreiche Stiftungsrechtsreform ist bei Stiftungen ein Grund mehr zum Blick auf die eigene Satzung: Die gesetzlichen Neuregelungen können weiteren Anpassungsbedarf – und weiteren Gestaltungsspielraum – begründen, der von Stiftungen nicht verpasst werden sollte.

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