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Rückzahlungspflicht bei erhaltenen Scheingewinnen und Scheindividenden

Im Fall einer Insolvenz sind Scheingewinne oder Scheindividenden, die ein Unternehmen vorher ausgezahlt hatte, wieder an das Unternehmen zurückzuzahlen. Dies gilt nach dem BGH unabhängig davon, ob dem Unternehmen im Zeitpunkt der Zahlung bekannt war, dass nur Scheingewinne vorliegen oder nicht.

Hintergrund

Dem Urteil des Bundesgerichtshofs liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Der Beklagte zeichnete bei einer später insolventen Aktiengesellschaft (im Folgenden auch „Schuldnerin“) Genussrechte. Diese sahen vor, dass der jährliche Dividenden- und Gewinnanspruch vom erzielten Jahresüberschuss abhängig sein soll. Da die festgestellten und geprüften Jahresabschlüsse der Schuldnerin jeweils einen Jahresüberschuss auswiesen, erhielt der Beklagte in den Jahren 2010 bis 2013 Auszahlungen in Höhe von insgesamt etwa EUR 13.500,00.

Zum 1. April 2014 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Aktiengesellschaft eröffnet und der Insolvenzverwalter verlangte vom Beklagten die Rückzahlung der erhaltenen Dividenden- und Gewinnzahlungen. Als Begründung führte der Kläger aus, dass die Gesellschaft zu keinem Zeitpunkt Gewinne erzielt habe, da die Einnahmen allein über ein Schneeballsystem generiert wurden. Demnach bestand auch kein Anspruch auf die erhaltenen Zahlungen. Der Beklagte verweigerte die Zahlung, gab aber zum 02.11.2017 eine Verjährungsverzichtserklärung für „Rückzahlungsansprüche aufgrund Insolvenzanfechtung wegen Ausschüttungen“ ab. Da zwischen den Parteien keine Einigung erzielt werden konnte, erhob der Insolvenzverwalter Klage.

Das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 22.07.2021, Az. IX ZR 81/20

Die Vorinstanzen hatten die Klage noch abgewiesen. Der Bundesgerichtshof (BGH) gab dem Insolvenzverwalter nun letztendlich Recht und entschied, dass sofern es sich um Auszahlung von Scheingewinnen und Scheindividenden handelte, diese vom Beklagten zurückzuzahlen seien. Dabei ergebe sich der Anspruch des Insolvenzverwalters entweder aus den bereichungsrechtlichen Vorschriften oder sei nach den insolvenzanfechtungsrechtlichen Normen zu erstatten. Sofern der Anspruch auf die bereicherungsrechtlichen Vorschriften zu stützen sei, sei dieser auch nicht verjährt. Zwar beziehe sich die Verjährungsverzichtserklärung ausdrücklich nur auf „Rückzahlungsansprüche aufgrund Insolvenzanfechtung wegen Ausschüttungen“, allerdings seien im Zweifel auch solche Ansprüche zu umfassen, die wirtschaftlich an deren Stelle treten.

Da diese Punkte noch offen waren, hat der BGH die Sache zur Entscheidung an die Vorinstanz zurückverwiesen.

Anmerkung

Mit dem Urteil stellt der BGH klar, dass erhaltene Scheingewinne oder Scheindividenden in der Insolvenz des Unternehmens zurückzuleisten sind; und zwar unabhängig davon, ob dem Unternehmen im Zeitpunkt der Zahlung bekannt war, dass es sich nur um Scheingewinne handelt oder nicht.

Rechtlich kann der Anspruch auf zwei unterschiedliche Normen gestützt werden: Für den Fall, dass dem Unternehmen nicht bekannt war, dass keine Gewinne erzielt werden, besteht der Anspruch auf Rückzahlung aufgrund der allgemeinen sog. bereicherungsrechtlichen Vorschriften, die auch außerhalb eines Insolvenzverfahrens Anwendung finden. War dem Unternehmen aber bekannt, dass es keine Gewinne erzielte und nimmt es dennoch die vermeintlichen Gewinnauszahlungen vor, geht das Gesetz davon aus, dass das zahlende Unternehmen nicht schutzwürdig ist und ein Anspruch auf Rückzahlung auch nicht bestehen soll. Im Fall der Insolvenz würde diese rechtliche Wertung aber zum Nachteil aller anderen Gläubiger gehen. Daher greift in solchen Fällen das insolvenzrechtliche Anfechtungsrecht ein, um eine gleichmäßige Gläubigerbefriedigung zu gewährleisten. Die erhaltenen Scheingewinne sind dann zurückzuzahlen, weil der Empfänger diese letztendlich „unentgeltlich“ erlangt hat; denn dieser hätte nur für den Fall, dass tatsächlich Gewinne erzielt werden, eine Zahlung erhalten sollen.

Der BGH ließ es auch nicht gelten, dass vorliegend die bereicherungsrechtlichen Ansprüche verjährt sein könnten. Zwar sei es möglich eine Verjährungsverzichtserklärung begrenzt auf einen bestimmten rechtlichen Anspruch abzugeben. Allerdings ist immer das Interesse beider Parteien zu berücksichtigen. Eine Verjährungsverzichtserklärung wird in der Regel abgegeben, um eine außergerichtliche Einigung zu erzielen ohne dass einem dabei die Zeit „ausgeht“. Kann eine Einigung aber nicht erzielt werden, soll weiterhin eine gerichtliche Klärung möglich sein. Damit wird ein Verjährungsverzicht aber in der Regel nicht nur für einen Anspruch aus einer bestimmten rechtlichen Grundlage abgegeben, sondern letztendlich geht es um den „wirtschaftlichen Anspruch“ und nicht um die rechtliche Begründung dahinter. Soll daher eine rechtlich begrenzte Verjährungsverzichtserklärung abgegeben werden, muss dies auch ausdrücklich dargestellt werden. Denn im Zweifel entspricht dies gerade nicht dem, was die Parteien unter Berücksichtigung der beidseitigen Interessen erwarten dürfen.

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