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Wirksam widerrufener Mietvertrag kann zu kostenlosem Wohnen führen

Wie wir wissen, hat der Mangel an erschwinglichem Wohnraum in vielen deutschen Städten über die Jahre zu einer äußerst angespannten Situation geführt. Oft konkurrieren hunderte Bewerber um eine Mietwohnung. Nicht zuletzt die Covid-19-Pandemie hat dazu beigetragen, dass Mietverträge in der Praxis immer häufiger online oder per Postweg und ohne vorherige Wohnungsbesichtigung abgeschlossen werden. Werden so seitens des Vermieters verbraucherschützende Widerrufsbestimmungen missachtet, riskiert dieser erhebliche finanzielle Einbußen. Das zeigt beispielshaft das LG Berlin mit seinem Urteil vom 21.10.2021 (Az. 67 S 140/21).

Der Fall

Dem Urteil des LG Berlin liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Der Mieter mietete mit Mietvertrag vom 02./17.01.2019 eine Wohnung bei einem Unternehmer-Vermieter. Eine vorherige Besichtigung erfolgte nicht. Die Vertragsverhandlungen sowie der Vertragsabschluss selbst, erfolgten unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln. Am 02.01.2020 widerrief der Mieter den Mietvertrag ordnungsgemäß und forderte den entrichteten Mietzins nebst Nebenkostenvorauszahlungen i.H.v. mehr als EUR 10.000,00 nebst Zinsen vom Vermieter zurück. Der Vermieter rechnete in gleicher Höhe mit Wert- und Nutzungsersatzansprüchen auf.

Das AG Mitte sprach dem Vermieter die Wert- und Nutzungsersatzansprüche zu und wies die Klage des Mieters ab. Mit der hiergegen eingelegten Berufung wendete der Mieter ein, dass dem Vermieter zu Unrecht aufrechenbare Ansprüche auf Wertersatz bis zur Ausübung des Widerrufsrechts zuerkannt worden seien. Diese seien jedenfalls dann gesetzlich ausgeschlossen, wenn der Mieter – so wie hier – nicht auf sein Widerrufsrecht hingewiesen worden sei.

Die Folgen

Das LG Berlin gab dem Mieter Recht und verurteilte den Vermieter zur Rückzahlung der bis zum Widerruf geleisteten Mietzahlungen einschließlich Nebenkostenvorauszahlungen (für 12 Monate) und begründet dies wie folgt:

Sofern – wie hier – die Mietsache vor Vertragsschluss nicht besichtigt worden ist und der Vertragsschluss unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln (E-Mails, Briefe, Telemedien etc.) erfolgt, steht dem Mieter unstreitig nach § 312 Abs. 4, Abs. 3 Nr. 7 BGB i.V.m § 312g BGB das 14-tägige Widerrufsrecht (§ 355 BGB) zu.

Versäumt der Unternehmer- Vermieter es allerdings, den Mieter entsprechend allen gesetzlichen Anforderungen über sein Widerrufsrecht zu belehren, so beginnt die Widerrufsfrist nicht zu laufen. Dem Mieter steht dann bis zu 12 Monaten und 14 Tagen nach Vertragsschluss ein Widerrufsrecht zu (vgl. § 356 Abs. 3 S. 2 BGB), bei dessen Ausübung der Vermieter verpflichtet ist, alle empfangenen Mietzahlungen zurückzugewähren (Mietzins und Nebenkostenvorauszahlungen).

Soweit unproblematisch. In der Rechtsprechung bisher ungeklärt hingegen war und ist die Frage, ob dem Vermieter in solchen Fällen ein Wert-und Nutzungsersatzanspruch zusteht. Mangels ausdrücklicher Regelung im BGB kommt laut LG Berlin lediglich ein Wertersatzanspruch des Vermieters nach § 357 Abs. 8 S.1 BGB in Betracht, was allerdings voraussetzt, dass die Vermietung von Wohnraum als Dienstleistung zu qualifizieren ist. Ohne auf diese entscheidende Frage einzugehen, lehnt das LG Berlin den Wertersatzanspruch ab, da der Mieter dem Unternehmer-Vermieter Wertersatz allenfalls dann schuldet, wenn

  • er vom Vermieter ausdrücklich verlangt hat, dass dieser mit der Leistung vor Ablauf der Widerrufsfrist beginnt (§ 357 Abs. 8 S. 1 BGB) und er sein Leistungsverlangen dem Unternehmer auf einem dauerhaften Datenträger übermittelt hat (§ 357 Abs. 8 S. 3 BGB);
  • der Vermieter den Mieter ordnungsgemäß über sein Widerrufsrecht und eine etwaige Wertersatzpflicht informiert hat (§ 357 Abs. 8 S. 2 BGB).

Hieran fehlte es bereits, so dass der Mieter als Ergebnis seines Widerspruchs, die Mietsache – abhängig vom Zeitpunkt seines Widerrufs – bis zu 13 Monaten kostenfrei nutzen konnte.

Fazit

Das Landgericht hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen, da es bislang höchstrichterlich ungeklärt ist, ob und gegebenenfalls unter welchen Umständen der Mieter in Fällen fehlender Widerrufsbelehrung für den Zeitraum bis zum wirksamen Widerruf des Mietvertrages Wert- oder Nutzungsersatz für die Bewohnung der Mietsache an den Vermieter zu leisten hat.

Bis zu einer gesetzlichen Regelung oder einer Entscheidung durch den Bundesgerichtshof, verbleibt für den Vermieter die Restunsicherheit darüber, ob die Überlassung von Wohnraum unter den Begriff der "Dienstleistung" fällt, was im Hinblick auf die bestehende Belehrungspflicht zu Folgeproblemen führt. Denn belehrt der Vermieter den Mieter nicht über die Wertersatzpflicht, so kann der Vermieter auch keinen Wertersatz verlangen. Belehrt der Vermieter den Mieter dagegen über die Wertersatzpflicht und kommt ein Richter zu dem Schluss, dass die dauerhafte Überlassung von Wohnraum keine Dienstleistung i.S.d. § 357 Abs. 8 S. 1 BGB darstellt und der Mieter deshalb nicht wertersatzpflichtig ist, dann ist die Widerrufsbelehrung des Vermieters fehlerhaft, sodass der Mieter bis zu zwölf Monate und 14 Tage den Vertrag widerrufen und in diesem Zeitraum kostenlos wohnen kann.

Da letztere Auffassung allerdings – soweit ersichtlich – kaum bis gar nicht vertreten wird, sollte der Vermieter sicherstellen, dass er den Mieter hinreichend über das Widerrufsrecht belehrt und insb. auch die Bestimmungen des § 357 Abs. 8 BGB einhält.

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