Stefan Daub, Fachanwalt für Arbeitsrechtandreas schubert arbeitsrecht p.jpg

Keine fristlose Kündigung eines unkündbaren Außendienstmitarbeiters wegen kurzer Aufenthalte zu Hause

Das LAG Düsseldorf (18.12.2020 – 6 Sa 522/20) hat entschieden, dass einem Außendienstmitarbeiter, der seit 35 Jahren unbeanstandet für seine Arbeitgeberin tätig war, nicht deswegen fristlos gekündigt werden kann, weil er mit seinem Dienstfahrzeug, das er nicht privat nutzen durfte, u.a. seine Wohnung mehrmals unter kurzen Umwegen für eine kurze Zeitspanne aufgesucht hatte.

Sachverhalt

Der Kläger ist seit 1984 bei der Beklagten als Energieanlagenelektroniker für die Montage von Zählern bei Kunden im Außendienst tätig. Eine ordentliche Kündbarkeit ist aufgrund tarifvertraglicher Regelung ausgeschlossen. Die Beklagte stellte dem Kläger für seine Tätigkeit ein Dienstfahrzeug zur Verfügung. Die private Nutzung des Fahrzeugs wurde dem Kläger untersagt. Ursprünglich wurden die Fahrten händisch in ein Fahrtenbuch notiert. 2019 wurden die Fahrzeuge flächendeckend auf ein elektronisches Fahrtenbuch umgerüstet. Über eine „Log-Box“ wird der Fahrer identifiziert und der Startvorgang freigeschaltet. Die erforderlichen Informationen werden in eine Web-Plattform des Anbieters importiert. Nach Anhörung des Betriebsrats kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben 25.11.2019 fristlos, hilfsweise außerordentlich mit sozialer Auslauffrist zum 30.06.2020.

Nach Ansicht der Beklagten habe der Kläger das ihm zur Verfügung gestellte Dienstfahrzeug pflichtwidrig zu privaten Zwecken genutzt und darüber hinaus Pausenzeiten eigenmächtig überzogen und so Vergütung erschlichen. Der Kläger sei seit der Einführung des elektronischen Fahrtenbuchs im Zeitraum von zwei Monaten in 18 Fällen mit dem Dienstfahrzeug zu seiner privaten Wohnung gefahren und in mindestens drei weiteren Fällen habe er sich im Bereich der Tanzschule C. aufgehalten. Darüber hinaus habe er in 16 Fällen seine Pausenzeiten teilweise eklatant überschritten. Diese und weitere private Fahrten habe er verschleiert, indem er sie nicht in das Fahrtenbuch eingetragen habe.

Der Kläger hat erwidert, er habe seine Pausenzeiten nicht überzogen. Die Zeitfenster in denen Zähler gewechselt würden, lägen zwischen 7:30 Uhr und 10:00 Uhr, 10:00 Uhr und 12:30 Uhr sowie zwischen 13:00 Uhr bis 15:30 Uhr. Diese Zeitfenster haben abgewartet werden müssen, bis der nächste Kunde habe aufgesucht werden können. Im Anschluss an die Mittagspause seien daher nur Vorbereitungsmaßnahmen möglich gewesen. Hierzu habe das Andrehen von Schrauben an den Zählerplatten gehört. Er habe zudem regelmäßig Aufträge nachgeordert, weil er mit seinem vorgegebenen Pensum schneller fertig gewesen sei. Ferner trug der Kläger vor, dass er infolge einer Erkrankung unter einem vermehrten Harndrang sowie häufigen Durchfällen leide und daher dementsprechend öfter als andere Menschen die Toilette aufsuchen müsse. Dieser Umstand sei seinem Vorgesetzten bekannt gewesen. Die Toilettengänge habe er teilweise zu Hause vorgenommen, sofern dies auf seinem Weg gelegen habe, teilweise habe er die Toilette bei einem Freund in der Nähe der Tanzschule C. aufgesucht. Sein Vorgesetzter habe ihm erlaubt, zwischendurch zu Hause anzuhalten.

Das Arbeitsgericht Wuppertal gab der Kündigungsschutzklage in erster Instanz statt.

Entscheidungsgründe

Auch das LAG Düsseldorf gab dem Kläger Recht und erachtete die fristlose Kündigung für unwirksam. So fehle es bereits an einem wichtigen Grund. Dies gelte auch dann, wenn der Kläger falsche Eintragung in das Fahrtenbuch händisch vorgenommen habe. Zwar könne die vorsätzliche Falschaufzeichnung der durch den Arbeitgeber zu kontrollierenden Arbeitszeit an sich geeignet sein, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung darzustellen. Vorliegend diente das Fahrtenbuch jedoch nicht der Arbeitszeitkontrolle, sondern ausschließlich der Dokumentation von dienstlich veranlassten Fahrten gegenüber den Steuerbehörden. Auch könne die Kündigung nicht darauf gestützt werden, dass der Kläger die ihm zustehende Mittagspause überzogen habe. Zwar stelle es grundsätzlich eine Vertragspflichtverletzung dar, wenn ein Arbeitnehmer statt zu arbeiten, privaten Interessen nachgehe. Eine solche Pflichtverletzung lasse sich hinsichtlich der Überziehung von Mittagspause jedoch nicht feststellen. So habe die Beklagte die Ausführung des Klägers nicht substantiiert genug bestritten. Auch fehle es an einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit, dass der Kläger die ihm zustehenden Pausen verlängert habe, statt, wie von ihm vorgetragen, die Zählerplatten zur Montage vorbereitet zu haben. Zugunsten der Beklagten sei zwar anzuführen, dass die vom Kläger durchgeführten Umwege aus privatem Anlass, verbunden mit der Verschleierung durch die nicht ordnungsgemäße Führung des Fahrtenbuches, steuerliche Folgen haben können. Dies stelle auch einen Vertrauensbruch dar. Ferner seien durch die privaten Umwege Kosten durch die Fahrzeugnutzung entstanden. Dem stehe allerdings eine über 35-jährige beanstandungsfreie Beschäftigungszeit gegenüber. Eine erstmalige Enttäuschung des Vertrauens zerstöre eine für Jahre ungestörte Vertrauensbeziehung nicht notwendig vollständig und unwiederbringlich. Je länger eine Vertragsbeziehung ungestört bestanden habe, desto eher könne eine Prognose berechtigt sein, dass der dadurch erarbeitete Vorrat an Vertrauen durch einen erstmaligen Vorfall nicht vollständig aufgezehrt werde. Subjektive Befindlichkeiten des Arbeitgebers seien nicht maßgebend. Entscheidend sei ein objektiver Maßstab. Es sei danach zu fragen, ob der Arbeitgeber aus Sicht eines objektiven Betrachters noch hinreichendes Vertrauen in den Arbeitnehmer haben müsse. Auch die Kündigung mit Auslauffrist zum 30.06.2020 sei nicht wirksam. Eine derartige Kündigung käme nur in Betracht, wenn der Ausschluss der räumlichen Kündigungsmöglichkeit dazu führe, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer anderenfalls trotz Wegfalls der Beschäftigungsmöglichkeiten für Jahre vergüten müsste, ohne dass dem ein entsprechende Arbeitsleistung gegenüber stünde (sog. sinnentleertes Arbeitsverhältnis). Die Beklagte könne den Arbeitnehmer jedoch ohne weiteres fortbeschäftigen.

Hinweis für die Praxis

An die Prüfung, ob ein wichtiger Grund vorliegt, ist bei unkündbaren Arbeitnehmern – auch im Rahmen von verhaltensbedingten Kündigungen – ein besonders strenger Maßstab anzulegen. Dies ergibt sich bereits aus dem Schutzzweck des Ausschlusses der ordentlichen Kündigung. Allerdings muss beachtet werden, dass dies nicht uneingeschränkt gilt. Bei betriebs- und personenbedingten Kündigungen handelt es sich um Dauertatbestände, die dann, wenn das Arbeitsverhältnis „sinnentleert“ ist, da dem Arbeitgeber über viele Jahre und womöglich unter Weiterzahlung der Vergütung keine äquivalente Gegenleistung des Arbeitnehmers gegenübersteht, eine Kündigung rechtfertigen können. Bei verhaltensbedingten Gründen können grundsätzlich nur gravierende Verstöße oder Pflichtverletzungen mit Wiederholungsgefahr eine Kündigung rechtfertigen. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass dann wenn ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung vorliegt, sich die tarifliche Unkündbarkeit im Rahmen der Interessenabwägung aber zu Lasten des Arbeitnehmers auswirkt, auf der Rechtsfolgenseite zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen dem tariflich besonders geschützten Arbeitnehmer, eine der fiktiven ordentlichen Kündigungsfrist entsprechende Auslauffrist einzuräumen ist (vgl. etwa 13.05.2015 – 2 AZR 531/14).

Kontakt > mehr